Es war vor genau 40 Jahren, als die österreichische Weinbranche ihren eigenen Untergang erlebte und auch die renommierte Rohrendorfer Weinkellerei Lenz Moser an den Rand des Abgrunds schlitterte. Im Zuge des Glykol-Weinskandals wurden gesundheitsgefährdende Panschereien heimischer Winzer aufgedeckt, Familie Moser war zwar nicht unter den Tätern, aber doch von den wirtschaftlichen Folgen schwer angeschlagen – und schließlich zum Verkauf an die Linzer Handelsgruppe VOG gezwungen. Eine große Familientradition ging damit zu Ende, die in den 1920er-Jahren unter dem damaligen Patriarchen Lenz Moser III. ihren Höhepunkt erklomm: Moser entwickelte damals eine neue Form der Rebstock-Erziehung, die später sogenannte „Lenz-Moser-Hochkultur“, bei der die Triebe der Weinstöcke zwischen parallel gespannte Drahtrahmen eingeflochten werden. Es war eine Innovation im Wirtschaftswundersinn: Gut ist, was sich gut bewirtschaften lässt. Als solches fand die Moser-Hochkultur in den Nachkriegsjahren eine rasante Verbreitung, in Österreich setzte sie sich flächendeckend durch und ist auch im übrigen Europa weinbauliche Standard-Praxis. Lenz Moser III. eröffnete mit seinen praktisch angelegten Rebzeilen die Weingärten für den Traktor, Wein konnte so endlich zum echten Massenprodukt werden – und die Weinkellerei Moser zum Leitbetrieb. Bis zum April 1985: Weinskandal.
Wobei „Skandal“ halt immer auch das ist, was man daraus macht. Lenz Moser V. machte tatsächlich das Beste daraus. „Für meinen Vater war es damals sicherlich dramatisch. Er hat mit 56 die Firma verloren, als vierter Lenz Moser, das war alles andere als schön. Aber für mich muss ich sagen: Ich bin auf die Butterseite gefallen. Nachdem die Firma verkauft war, wurde ich Geschäftsführer und habe dort elf schöne Jahre verlebt, einen der modernsten Weinbaubetriebe Mitteleuropas aufgebaut und unfassbar viel gelernt.“ 1997 stieg Lenz Maria Moser dann bei einem anderen internationalen Weinwirtschaftswunderbetreiber ein, dem kalifornischen Winzer Robert Mondavi, für den er bis 2005 die Europa-Geschäfte leitete. „In Kalifornien habe ich das kennengelernt, was man heute vielleicht Obama-Spirit nennen würde. Yes we can. Das hat mich unfassbar fasziniert. Dass an Probleme herangegangen wird mit der Einstellung: Klar, das schaffen wir. Davor war ich eher mit der raunzerischen österreichischen Art vertraut: Das geht nicht anders, das haben wir immer schon so gemacht, das bleibt so.“
Man darf sich Lenz Moser V. als neugierigen Menschen vorstellen und als einen, den sein Interesse an der Welt auf weite Wege führt. Man will ja auch etwas erleben. „Als ich vor 20 Jahren das erste Mal in China war, gab es dort auf den Straßen noch kaum Autos, es war wirklich eine andere Zeit, aber du konntest schon dieses Knistern fühlen: dass sich da etwas tut. Dass da Menschen leben, die einfach mehr wollen, als nur satt zu werden. Auch deshalb bin ich für meine chinesische Aufgabe so dankbar. Weil sie meinen Horizont erweitert. Ich wurde in Österreich geboren und bin da aufgewachsen, in einem ziemlich konservativen Umfeld, der Vater ÖVP-Bürgermeister, sonntags in der Kirche, und so weiter.“ Und so weiter: nach Kalifornien, nach Frankfurt, nach Yinchuan.
Ein Schloss am Gelben Fluss
Bei der jüngsten Volkszählung hatte die chinesische Provinzmetropole am Gelben Fluss rund 2,8 Millionen Einwohner. Sie liegt im Norden der autonomen Region Ningxia, in nordwestlicher Richtung schließt das Helan-Gebirge und dahinter die Wüste Gobi an. Die Region zählt über 2800 Sonnenstunden im Jahr, durchschnittlicher Niederschlag: knapp 200 Millimeter. Ebenfalls pro Jahr. „Man darf nicht vergessen, dass wir da in der Wüste Wein machen, Luftfeuchtigkeit 20 Prozent, ohne Bewässerung geht nichts.“ In einer gutbewässerten Grünfläche am Rand von Yinchuan steht – umgeben von Rosengärten und Weinreben – das Château Changyu-Moser XV, errichtet im Jahr 2013 mit einem kolportierten Investitionsvolumen von 70 Millionen Euro, gehalten im Stil eines typischen Bordeaux-Schlosses: Wassergraben, Kuppeltürme, Brunnen in der Auffahrt. Die römische 15 im Château-Namen bezeichnet Lenz Marias Generation im Moserschen Familienstammbaum und schlägt kulturelles Kapital, das Changyu steht für den Mutterkonzern, die größte und älteste Weinkellerei Chinas, 1892 gegründet, schon damals mit europäischer Inspiration und österreichischem Beistand: Der Firmengründer Zhang Bishi importierte damals Hunderttausende europäische Rebstöcke und vertraute bei deren Kultivierung einem gewissen Maximilian Freiherr von Babo, österreichischer Vizekonsul in China und Sohn des Klosterneuburger Weinbau-Professors August-Wilhelm von Babo. Inzwischen produziert Changyu in acht verschiedenen Betrieben über 100 Millionen Flaschen Wein, eine halbe Million davon entsteht auf Château Moser, das der Guru aus Niederösterreich mindestens dreimal im Jahr persönlich besucht, um die Weinproduktion zu überwachen und anzuleiten – der Rest lässt sich via WeChat und Zoom klären, China ist in technologischen Fragen tendenziell sehr fortschrittsfreundlich.
Der chinesische Weinmarkt ist wiederum – stark untertrieben – ein Wachstumsmarkt. Noch wird in China deutlich weniger als ein Liter Wein pro Kopf und Jahr getrunken (Österreich: 26 Liter), hier wäre also noch einige Luft nach oben, was Herrn Moser, aber auch seinen Auftraggebern durchaus bewusst ist: „Derzeit wird in China, wenn man ehrlich ist, Wein effektiv nur in fünf Städten getrunken. Diese fünf Städte sind zusammen zwar zehnmal so groß wie Österreich, aber wenn einmal alle Chinesen auf den Geschmack kommen, ist das schon noch einmal eine ganz andere Größenordnung.“ Der neue Markt will aber erst beackert werden, das gleicht manchmal einer Ochsentour. Noch vor der Covid-Pandemie absolvierte Lenz Moser V. eine erste Vorstellungsrunde in chinesischem Maßstab: „Damals habe ich in drei Wochen 28 Städte besucht. Meine einzige Bedingung dafür war, dass jede Stadt mehr Einwohner haben sollte als Österreich, also neun Millionen oder mehr. Das war die härteste Tour meines Lebens. In jeder Station wurde ein Saal für mehrere hundert Leute angemietet, in der Mitte eine Bühne. Da tritt dann die Langnase auf und erklärt dem geneigten Publikum einmal Wein von A bis Z. Und zum Schluss stehen fünf Paletten Wein bereit, 2000 bis 3000 Flaschen, die werden gleich vor Ort verkauft und einzeln signiert. Da sitzt du dann auch noch einmal ein paar Stunden. Aber so eine Personality ist halt wichtig.“
Win-Win ist auch keine Lösung
Nun zur Gretchenfrage: Wie hält er es mit der Politik? „Ich habe eine politische Meinung, aber auch in China hilft es, wenn man sich politisch nicht äußert. Doch wenn mich einer fragt, sag ich auch was. Ist China perfekt? Nein. Aber ist Österreich perfekt? Auch nein.“ Insgesamt schlägt das Pendel für Moser klar ins Positive aus, er lobt die Mentalität der Chinesen, er findet das Land insgesamt sehr beeindruckend, und er erzählt sehr gerne davon, erkaltende Seezunge hin oder her: „Bei dem Thema gehen die Gäule mit mir durch. Natürlich habe ich mir am Anfang auch Sorgen gemacht, ob die chinesische Politik mein internationales Geschäft beschädigt. Aber wenn der Wein gut ist, wenn die Geschichte dahinter passt, dann wird er gekauft, egal woher. Ansonsten hätte man in Europa auch nie Wein aus Chile gekauft oder aus Südafrika, und aus Argentinien schon gar nicht.“
Andererseits: „Ich verstehe die Aufregung, wenn ich die Geopolitik betrachte. Aber ich kann beruhigen. In Europa müssen wir keine Angst vor China haben. Die Chinesen lieben Europa. Um Europa ist mir überhaupt nicht bang in diesem Zusammenhang.“
Natürlich kann man mit seiner europäischen Herkunft in China auch nicht einfach so daherkommen, und wenn sie noch so viele Generationen zählt. Gewisse Spielregeln sollte man schon beherrschen. Zum Beispiel beim Umgang mit Verhandlungspartnern. „Business in China funktioniert wie Kampfsport. Das hat mir vor 15 Jahren ein deutscher Siemens-Manager erklärt, und ich bin ihm bis heute dankbar dafür. Ich habe mich in Meetings oft gefragt: Was wollen sie denn noch? Wir sind uns doch längst einig. Aber es wird weiterverhandelt, zäh bis dorthinaus. Weil der Chinese immer gewinnen möchte. Win-Win ist keine Lösung für ihn. Die DNA des Chinesen ist: Win-Lose. Das musst du wissen, und dann kannst du, wenn du geschmeidig genug bist, auch einmal eine taktische Niederlage einfahren.“
Und nein, das war jetzt kein politischer Kommentar zum österreichischen Koalitionspoker.