Popkultur

Der Schmonzetten-Komplex

Die Verfilmung des Romans „Nur noch ein einziges Mal“ lockt derzeit in die Kinos und wirft wieder einmal die Frage auf: Warum finden wir ungesunde Liebesgeschichten immer noch so gut?
Eva  Sager

Von Eva Sager

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Ein Pflaster soll man am besten mit einem schnellen Ruck abziehen. Also los: Die Protagonistin des neuen Kinohits „Nur noch ein einziges Mal“ heißt Lily Blossom Bloom und ist – Floristin. Wörtlich würde man ihren Namen wohl mit „Lilie blühen Blüte“ übersetzen – ich weiß, das brennt jetzt kurz. Aber damit hat sich die Sache noch lange nicht. Lily Blossom Bloom, eine „rothaarige Einzelgängerin, die sich als 15-Jährige in einen obdachlosen Jungen verliebte und Schande über ihre Familie brachte“, führt als Teenagerin kein Tagebuch, sondern schreibt Briefe an die amerikanische Talkshow-Moderatorin Ellen DeGeneres (mittlerweile wegen eines toxischen Arbeitsumfelds gecancelt) und rettet sich als Erwachsene mit „Findet Nemo“-Zitaten aus einer missbräuchlichen Beziehung.

Ja, ja, es brennt noch immer. Verantwortlich dafür ist die US-Autorin Colleen Hoover, 44, die 2016 den Roman „Nur noch ein einziges Mal“ („It Ends With Us“) veröffentlicht hat. Auf BookTok – so nennt sich die Literatur-Community auf der Social- Media-App TikTok – ist die Schriftstellerin mittlerweile das, was Thomas Mann für Germanisten ist, und „Nur noch ein einziges Mal“ ist ihr „Buddenbrooks“. 2023 wurde Hoover vom „Time“-Magazin zu den 100 einflussreichsten Personen der Welt gezählt, seit ihrem Debüt 2012 hat sie über 20 Millionen Bücher verkauft.

Abseits ihrer tendenziell recht jungen Leserinnenschaft kennt die Autorin allerdings kaum jemand. Woher kommt das? Was macht Colleen Hoovers Roman „Nur noch ein einziges Mal“ richtig? Was falsch? Und warum stehen so viele junge Mädchen noch immer auf schlecht geschriebene und schmerzhaft ungesunde Liebesgeschichten?

Der „Bad Boy“ stirbt nicht

Vor ungefähr 15 Jahren hätten wir an dieser Stelle wahrscheinlich über „Bis(s) zum Morgengrauen“ („Twilight“) von Stephenie Meyer diskutiert. Sie erinnern sich: der 100-jährige Vampir, der sich in die Highschool-Schülerin Bella Swan verliebt, regelmäßig bei ihr einbricht, um ihr beim Schlafen zuzusehen, und ständig dem Drang widerstehen muss, sie bis auf den letzten Tropfen Blut leerzutrinken. Schon damals war der grundlegende Ton der internationalen Hit-Romanze ein problematischer: komplette Selbstaufgabe und absolute Abhängigkeit der Protagonistin gepaart mit einer beidseitigen Obsession, die immer wieder ins Übergriffige abrutscht und Rollenbilder aus dem frühen 20. Jahrhundert reproduziert. Bei Colleen Hoovers „Nur noch ein einziges Mal“ ist das ähnlich. Nur wird sie deutlich expliziter, wenn es um Sex geht.

Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.