Warum Rangnick tatsächlich ÖFB-Teamchef wurde

Star-Trainer Ralf Rangnick wird zum Sonderpreis Teamchef – ohne, dass der ÖFB groß um ihn werben musste. profil-Recherchen zeichnen den perfekten Coup nach - der gar nicht geplant war.

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Die Fußballgötter müssen verrückt sein: Startrainer Ralf Rangnick wird zum Sonderpreis Teamchef des ÖFB-ohne dass der Verband groß um ihn werben musste. Jetzt soll der Deutsche den verstaubten ÖFB reformieren. profil-Recherchen zeichnen den perfekten Coup nach-der so gar nicht geplant war.

Die Überraschung war groß, selbst die ÖFB-Führungsriege wirkte verdutzt. Endlich ein neuer Name, jubelte der niederösterreichische Landespräsident Johann Gartner gegenüber profil und bemängelte, dass ansonsten ja "viele Kandidaten" im Spiel gewesen waren, "die gerade keine Hackn haben". Ganz Österreich hatte damit gerechnet, dass Peter Stöger zum neuen Trainer des Nationalteams gekürt werden würde. Der Ex-Dortmund-Trainer rangierte in der inoffiziellen Thronfolge seit geraumer Zeit noch vor Rekordteamspieler Andreas Herzog. "Na", lacht Funktionär Gartner, "da hätten wieder alle gesagt: Denen beim ÖFB ist nix eingefallen!"

Erleichtert, aber auch ein wenig verwirrt wirkten die ÖFB-Funktionäre, als sie vor einer Woche im Wiener Hotel Marriot den neuen Teamchef verkündeten. ÖFB-Präsident Gerhard Milletich war gar so aufgeregt, dass er den Startrainer Ralf Rangnick (aktuell Coach des Weltklubs Manchester United) etwas hastig "Ralf Ramnick" nannte. Und Sportdirektor Peter Schöttel erklärte mehrmals, dass er dieses Engagement noch vor wenigen Wochen für "undenkbar" gehalten hatte. Es sei "Zeit für einen österreichischen Teamchef", hatte sein ursprüngliches Credo gelautet. Dann aber "hat sich für uns eine Möglichkeit aufgetan, die ich am Anfang gar nicht gesehen hätte".

Rangnick ist im Fußballzirkus ein Superstar wie Jürgen Klopp oder Pep Guardiola. Der 63-jährige Deutsche gilt als Messias für Taktik-Freaks-und mehr noch: als international gefragter Entwicklungshelfer für marode Fußballklubs. Das passt: Beim ÖFB liegt vieles im Argen. Ex-Teamchef Franco Foda ließ mit einer mutigen (und 320 Millionen Euro teuren) Spielergeneration vorsichtigen Fußball spielen-und rutschte in der Weltrangliste auf den 34. Platz ab. Es gibt keine einheitliche Spielweise. Machtkämpfe waren im eitlen Männerbund oft wichtiger als die sportliche Entwicklung. Mit Rangnick hat der ÖFB nun die Antithese zur bisherigen Verbandsgepflogenheit verpflichtet: Der Schwabe gilt als konsequenter Entwickler, der dem Erfolg alles unterordnet. Aus Red Bull Salzburg bastelte er innerhalb weniger Jahre ein internationales Vorzeigemodell-und der von ihm geprägte Angriffsfußball-Stil diente vielen aktuellen Teamspielern als Blaupause.

Dem verstaubten ÖFB bietet sich eine Jahrhundertchance zur Rettung der goldenen Spielergeneration. Und viel mehr noch: zur Restauration des gesamten Verbandes. Doch die einmalige Gelegenheit entspringt nicht dem Kalkül der zuständigen Funktionäre, sondern einer glücklichen Fügung. profil-Recherchen zeichnen den perfekten Coup nach-der gar nicht so geplant war.

Die Beziehung zwischen Rangnick und dem ÖFB beginnt schon vor Wochen-mit einem zwanglosen Telefonat. Eine Pflichtübung ohne Herzklopfen sei das gewesen, beschreiben beide Seiten. Schöttel hat sich Rangnicks Telefonnummer von RB Salzburg-Sportchef Christoph Freund besorgt, der beim Deutschen seine Lehrjahre absolviert hat. Eigentlich glaubt Schöttel nicht recht an die Sache. "Ich habe ihn am Anfang nicht kontaktiert und bin dann doch dazu gekommen, ihn anzurufen-ohne zu glauben, dass das wahnsinnig interessant für ihn sein könnte",erklärt der ÖFB-Sportdirektor.

Beim ersten Telefonat schrecken Schöttel Rangnicks Gehaltsvorstellungen ab. "Sein Manager hat anfangs ein Vielfaches von dem verlangt", was der ÖFB zu stemmen bereit war, erzählt Landespräsident Gartner gegenüber profil. Beim Schweizer Marcel Koller ging der Verband vor sechs Jahren an die Schmerzgrenze: Zwei Millionen Euro Jahresgehalt wurden kolportiert. Foda soll zuletzt etwas mehr als eine Million verdient haben. Der ÖFB hat nichts zu verschenken: Im nächsten Jahr will man mit dem Bau eines 60 Millionen Euro teuren Trainingszentrums in Wien beginnen. Zwar teilen sich Bund, Stadt und ÖFB die Finanzierung - doch die aktuelle Weltlage treibt die Baukosten in die Höhe. Der Verband will sich auch deshalb keinen sündteuren Teamchef leisten.

Rangnick hat sich seinen stolzen Preis hart erarbeitet. Im schwäbischen Backnang geboren, kam er als Fußballer nicht über die dritte Liga hinaus. Erst als Trainer sorgte der studierte Lehrer (Englisch und Sport) für Aufsehen. Schon als Sechsjähriger erteilte er Freunden am Fußballplatz Kommandos, den Trainerschein hatte er mit Mitte 20 in der Tasche. Sein manisches Faible für Taktik ließ ihn schnell zum Avantgardisten eines modernen, angriffigen Spielstils aufsteigen. Heute gilt Rangnick als Fußball-Professor, der selbst Unterligaklubs wie TSG Hoffenheim und RB Leipzig (zwar mithilfe von Mäzenen, aber doch in Rekordtempo) zu internationaler Klasse verhalf. Der Schwabe wurde zur Stilikone mit Weltruf. In Leipzig soll er als Kreativdirektor vier Millionen Euro pro Jahr kassiert haben. Rangnick hat es zu einem Superstar im Fußballgeschäft gebracht-zu einem Mann für Manchester United. Aber doch wohl nicht für den ÖFB?

Sportdirektor Schöttel ging also weiter auf die Pirsch. Gespräche mit Peter Stöger (arbeitslos), Andreas Herzog (Admira Wacker Mödling), Markus Schopp (arbeitslos) und Adi Hütter (Mönchengladbach) wurden bestätigt. Die erfolgreichen Österreicher mit Traineramt in England und Deutschland sagten schnell ab - zu verlockend sind Weltligen und Millionengehälter.

Währenddessen kam es eine Woche vor Ostern, wie profil exklusiv berichtete, zu einem Streit unter den ehrenamtlichen ÖFB-Entscheidungsträgern. Eigentlich sollten die Funktionäre erst am 29. April zur Teamchef-Wahl zusammentreffen - doch drei Landespräsidenten forderten vorab einen Lagebericht. Sportdirektor Schöttel erkrankte, die Sitzung wurde vertagt - und die machtbewussten Herren beflegelten einander. ÖFB-Präsident Milletich, dessen Außendarstellung oft tollpatschig wirkt, versuchte, als Macher aufzutreten. Der Verlagschef aus dem Burgenland ließ seinen Kollegen nur häppchenweise Informationen zukommen. Dazu tingelte er durchs Land, stets auf der Suche nach Experten-Tipps. Seinem verbandsintern unter Beschuss geratenen Sportdirektor gab er den Rat, so erzählte es Milletich profil, "offen für alles zu sein, sich Trainer im In-und Ausland anzuschauen".

Zum Favoriten auf den Teamchef-Posten stieg der erwartbare Peter Stöger auf, der nach zwei Gesprächen mit Schöttel nur noch auf ein Zeichen wartete. Als Assistenten hätte ihm dieser gerne Franz Schiemer zur Seite gestellt, einen jungen Mann aus dem Red-Bull-Stall-sozusagen als Kompromiss zum konservativen Stöger. Nicht Fisch, nicht Fleisch-aber immerhin wäre angerichtet gewesen.

Dann aber kam Christoph Freund, der Sportchef von RB Salzburg, ins Spiel. Wenige Tage vor der Wahl war Rangnick für den ÖFB-Präsidenten zum Luftschloss geworden: "Ich habe gesagt, im Normalfall wird es uns nicht gelingen, einen zu engagieren, der bei Manchester United tätig ist", erzählt Milletich. Dann aber "wurde ich von Christoph Freund ermuntert, dass es funktionieren kann. "Freund pflegt seit gemeinsamen Salzburger Zeiten besten Kontakt zu Rangnick. "Über Freund wurde kommuniziert, was unsere Möglichkeiten sind", erzählt Milletich. "Ich war ein bisschen ungläubig, aber es ist zu intensiven Gesprächen gekommen."

In der Woche vor der Wahl überraschte Rangnick den gesamten ÖFB. "Er hat sich bei uns angeboten", staunt Landespräsident Gartner gegenüber profil. "Richtiggehend elektrisiert" sei er davon gewesen, österreichischer Teamchef zu werden, erzählt ein enger Vertrauter des Deutschen. Bei seinen Gehaltsforderungen ruderte Rangnick ordentlich zurück: "Ralf ist dem ÖFB sehr weit entgegengekommen." Nun soll sein Jahressalär bloß zwischen einer und eineinhalb Millionen Euro liegen. "Er verdient nicht mehr als Foda", verrät Gartner.

Der ÖFB hatte ein großes Ass im Ärmel: die goldene Spielergeneration. Rangnick hat heimische Pressing-Monster wie Konrad Laimer (RB Leipzig), Xaver Schlager (VfL Wolfsburg) oder Marcel Sabitzer (FC Bayern München) während seiner Zeit in Salzburg geprägt-und einen Narren an den mutigen Männern gefressen. Schöttels Begeisterung hielt sich bislang eher in Grenzen: "Ich würde mir nicht sagen trauen, dass es die beste Generation ist, die wir je hatten", hielt er zuletzt fest. "Wir haben einen einzigen, der bei einem Weltklasseverein spielt." Rangnick dagegen zaubert das angeblich durchschnittliche Team offenbar Herzchen in die Augen. "Peter Schöttel musste Ralf gar nicht überzeugen", erzählt ein enger Vertrauter Rangnicks gegenüber profil. "Die Aussicht mit dieser Mannschaft hat ihn gepackt. Er denkt, dass mit dieser Truppe Rangnick-Fußball möglich ist-das war für ihn das wichtigste Kriterium."

Peter Stöger (durchaus ein Erfolgstrainer, aber wenig kompatibel mit dem heimischen Kader) wäre wohl zum Teamchef ernannt worden-hätte Rangnicks Liebeswerben nicht in letzter Sekunde alles über den Haufen geworfen. "Das Team um Ralf Rangnick hat uns immer konkreter zu verstehen gegeben, dass ihn der Reiz an der Aufgabe antreibt ", erklärt Bernhard Neuhold, Geschäftsführer des ÖFB. Und der oberösterreichische Landespräsident Gerhard Götschhofer betont gegenüber profil: "Er hat sich kurzfristig gemeldet. So eine Entwicklung, dass Rangnick von sich aus auf uns zukommt, das muss geschehen, das könnte man gar nicht erwirken." Nicht das schüchterne Balzverhalten des ÖFB war ausschlaggebend, sondern die Lust Rangnicks.

Rangnick war nicht auf der Suche nach Millionen, sondern nach dem perfekten Spiel. Genau daran hakt es bei seinem aktuellen Klub in Manchester. Ballartisten wie Cristiano Ronaldo neigen zum Tänzeln, aber nicht zu dem kollektiven Angriffsrausch, den Rangnick bevorzugt. So verhandelten Sportdirektor Schöttel und Geschäftsführer Neuhold auf Wunsch des Präsidenten im Eiltempo einen Vorvertrag.

Der ÖFB profitierte dabei von Rangnicks Geschäftsmodell. Der Deutsche hat sich als Fußballberater selbstständig gemacht-und kann so mehrere Entwicklungshilfeprojekte nebeneinander betreuen. Prompt kritisierte Manchester-Legende Gary Neville, Rangnick könne nicht gleichzeitig auf mehreren Hochzeiten tanzen. Dabei sieht dessen Vertrag bei den Engländern laut profil-Informationen genau so eine Mehrfachbeschäftigung vor. "Wenn United ihn Fulltime anstellen hätte wollen, hätten sie es gemacht", erzählt ein enger Rangnick-Vertrauter: "Sie haben ihn aber als Berater verpflichtet."Sechs Tage pro Monat ist er zu deren Diensten verpflichtet , den Rest der Zeit kann er sich um das Wohl des österreichischen Fußballs kümmern.

Das klingt nach keinem schlechten Deal-für den ÖFB. Einen Fachmann wie Rangnick hatte man selten im Haus. Er solle sich ruhig "mehr einbringen, als das Teamchefs normalerweise tun",betont der oberösterreichische Landespräsident Götschhofer gegenüber profil. Und den Niederösterreicher Gartner würde es gar "überhaupt nicht stören, wenn kein Stein auf dem anderen bleibt".

Rangnick ist bekannt dafür, nicht den Pinsel mitzubringen, sondern die Abrissbirne. Er hat den Ruf eines brutalen Entwicklers, der auch vor einem Blutbad nicht zurückschreckt. Ehemalige Weggefährten beschreiben ihn als extrem kompetent, kreativ und manisch am Fortschritt werkend. Aber auch als skrupellos, "wenn jemand den Erfolg gefährdet". Rangnick bestellt den Juristen um sechs Uhr früh und den Medienberater um Mitternacht, wenn ihm etwas missfällt, erzählt ein ehemaliger Mitarbeiter. Er liebt die Alleinherrschaft. Bei Traditionsvereinen wie Schalke 04 fühlte sich Rangnick unwohl, beklagte die vielen Gremien und Funktionäre, die ihm ohne Fachwissen ins Handwerk pfuschten.

Beim ÖFB erwartet ihn freilich genau das: Entscheidungsträger, die sich gerne als Hobby-Fußballmanager inszenieren-zudem ist Sportdirektor Schöttel der Gegenentwurf Rangnicks. Schöttel ließ als Trainer seine Mannschaften immer erbarmungslos verteidigen, Rangnick treibt sie in die gegnerische Hälfte. Rangnick fordert Spielphilosophien, Schöttel verwehrte sich bis zuletzt dagegen. Rangnick verliert keine Zeit, um Erfolg zu haben. Schöttel verlor sich zuletzt in Ausreden: Es fehle Zeit, Pressing sei nicht umsetzbar, die Mannschaft wäre gar nicht so großartig, wie alle behaupten.

Sogar im ÖFB gibt es Zweifel, ob die beiden Männer zu einem harmonischen Gespann werden. "Vielleicht krachen sie zusammen", orakelt Landespräsident Gartner gegenüber profil. Nachsatz: "Aber der Peter muss wissen, wen er sich ins Bett nimmt."

Präsident Milletich erwartet jedenfalls "keine bequeme Zeit", jedem müsse bewusst sein, "dass ein Rangnick Veränderungen bringt". Sein Kollege Gartner spricht gar von einem Stufenplan: "Zuerst soll er sich um die Nationalmannschaft kümmern, dann um die Nachwuchsteams und dann um die Trainerausbildung". Mit anderen Worten: Der neue Teamchef soll auch zentrale Aufgaben des Sportdirektors übernehmen.

Ein persönliches Treffen mit Rangnick hat es laut profil-Informationen während der Verhandlungen nicht gegeben. Sein Vertrag läuft vorerst bis 2024, mit Option auf Verlängerung. "Rangnick hätte sich sogar einen langfristigen Vertrag gewünscht", erzählt Landespräsident Gartner, "wir haben aber gesagt: Gemach gemach!"

"Ich bin mir sicher, dass er uns als Team und jeden Einzelnen besser machen kann", erklärte Teamspieler Laimer von RB Leipzig gegenüber "SportBild". Und Marko Arnautović erwartet, dass er "dem österreichischen Fußball viel weiterhelfen wird".

Gespannt wird der neue Teamchef nun zum Trainingslager Ende Mai im burgenländischen Bad Tatzmannsdorf erwartet. Rangnick wolle sich nicht bloß für die Europameisterschaft 2024 qualifizieren, berichtete ÖFB-Präsident Milletich zuletzt aufgeregt, sondern dort kräftig "aufmischen".

Gelingt das Kunststück, wäre Rangnick wieder einmal der Held-und die ÖFB-Funktionäre hätten ihren Platz in den Geschichtsbüchern sicher: als die perfekten Glücksritter.

Gerald Gossmann

Gerald Gossmann

Freier Journalist. Schreibt seit 2015 für profil kritisch und hintergründig über Fußball.