Außenansicht Lugner City
Porträt

Das letzte Fleckchen Ehrlichkeit

Richard Lugner war nicht nur ein Unikat, er hinterlässt uns auch eines: seine Lugner City. Eine Hommage an einen Ort, an dem ausnahmsweise noch jeder so sein darf, wie er ist.
Eva  Sager

Von Eva Sager

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Sogar Werner aus Aschaffenburg hat in das Kondolenzbuch von Richard Lugner geschrieben. „Du warst eine Bereicherung für diese Welt“ steht da jetzt. Es liegt auf einem schwarzen Pult, zwischen dunkelroten Blumengestecken, mitten in der Lugner City. Darüber leuchtet ein Schwarz-Weiß-Foto von „Mörtel“ auf einer LED-Videowall – „Ruhe in Frieden. #gemmalugner4ever“ – es ist sicher mehrere Meter hoch. Irgendwer hat mit Grabkerzen das Wort „Lugner“ buchstabiert, generell ist um die Bühne herum alles voll mit Kerzen und Beileidsbekundungen.

Hier, im 15. Wiener Gemeindebezirk, unter der Glaskuppel in der Lugner City, keine drei Meter von einem provisorisch aufgebauten Badebekleidungsstand und einem Tisch voller „Takis“-Packungen, Ramen-Nudeln und Erdbeermilch-Flaschen entfernt, nehmen die Wiener:innen Abschied vom stadteigenen „Society-Löwen“. Kein Ort wäre passender.

Im September 1990 eröffnete Richard Lugner zusammen mit Stargast Dagmar Koller die Lugner City, damals war sie das siebtgrößte Einkaufszentrum in ganz Österreich. 2003 wurde sie kurzzeitig an die Volksbankengruppe weiterverkauft, Lugner leaste seine Lugner City fortan nur mehr, zehn Jahre später holte er sie sich wieder zurück. 2005 kam das Kino dazu – die Lugner Kino City – dazwischen zogen dutzende Geschäfte und Lokale ein und wieder aus.

Die Lugner City ist wie Lugner selbst ein Wiener Original. Ein konstanter Antikörper gegen jedwede Oberflächlichkeit und normschöne Ästhetik, die unsere Instagram-Gesellschaft langsam auffrisst. Man kann hier keine schönen Fotos machen, das lassen weder die Neonleuchten an der Decke noch die weißgrauen Fliesen am Boden zu. Außerdem rennt einem ständig jemand durchs Bild. Die Lugner City muss es nämlich, ähnlich wie eine schlafmittelabhängige Tante zu Weihnachten, immer übertreiben. Wrestling-Veranstaltungen und Motto-Restaurants, Indoor-Eislaufbahnen und Oktoberfeste. Und wie eine schlafmittelabhängige Tante wirkt auch die Lugner City meistens nicht sonderlich stabil. Bei fast allem, jedem Handlauf, jeder Zimmerpflanze, hat man das Gefühl, es fällt gleich auseinander und trotzdem denkt man sich: Diesen Ort kann nichts erschüttern, die Lugner City ist unzerstörbar.

Im obersten Stockwerk, gleich neben der Rolltreppe, hat sich ein älterer Herr seinen ersten Spritzer bestellt. Ganz unten versucht eine Mutter, Kinderwagen und Wocheneinkauf in der Hand, ihr kreischendes Kind aus der Kinderhüpfburg zu ziehen. In der Filiale einer Drogeriekette testet eine Frau einen dunkelroten Dior-Lippenstift. Im Lebensmittelgeschäft gegenüber untersucht ein Mann die Einkaufswagen auf zurückgelassene Ein-Euro-Münzen. In der Lugner City trifft sich die ganze Stadt, ihre Gewinner:innen genauso wie ihre Verlierer:innen. Schließlich muss sich hier niemand deplatziert fühlen, per se kann an diesem Ort nichts auffälliger sein als das Einkaufszentrum selbst.

Das ist das Erfolgsgeheimnis der Lugner City. Sie ist die Objekt gewordene Anpassungsfähigkeit und gleichzeitig ein großer „Mir doch wurscht“-Mittelfinger an ihre Umwelt. Sie ist kultig und trashig und aufregend und alltäglich. Sie ist wie Wien, aber eben auch wie die restlichen Bundesländer. Sie ist ein aushaltbarer Widerspruch. Ein harmloses Paradox, dem man sich ohne schlechtes Gewissen hingeben kann.

Vor zwei Wochen starb Unternehmer Richard Lugner im Alter von 91 Jahren in seiner Villa in Döbling. Angelika Hager nannte ihn in ihrem Nachruf „Österreichs öffentlichsten Menschen, der sich Jonathan Safran Foers Romantitel ‚Extrem laut und unglaublich nah‘ zum Lebensmotto gemacht zu haben schien“. Die Lugner City ist das auch. Sie wird bleiben.

Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.