Assistierter Suizid

Sterbeverfügungsgesetz in Österreich: Der Weg zum selbstbestimmten Sterben

Seit Anfang 2022 ist der Tod aus eigenem Willen für unheilbar schwerkranke Menschen in Österreich möglich. Doch Betroffene und Experten beklagen hohe organisatorische Hürden.

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Beim Begräbnis im August 2023 wurde David Bowies „Ashes To Ashes“ gespielt und Champagner in Pappbechern ausgeschenkt. All diese Dinge hatte sie im Vorfeld ganz akkurat vorbestimmt. Das Begräbnis sollte ein Fest werden, ein Fest für die endlich erlangte „Freiheit“. Auf der Parte der im 54. Lebensjahr verstorbenen Michaela* lassen Familie und Freunde wissen: „… die Traurigkeit war stärker. Wir bewundern sie dafür, dass sie das lange Verfahren der Erlangung einer Sterbeverfügung auf sich genommen hat, um legal, würdig und friedlich in den Armen ihres Mannes sterben zu dürfen.“

Michaelas Schwester erzählt, dass die Verstorbene seit ihrer Pubertät an schweren Schlafstörungen und bipolaren Schüben gelitten hat: „Sie hat wirklich alles versucht, um dagegen anzukämpfen. Jede Therapiemöglichkeit ausgeschöpft. Unmengen Geld ausgegeben. Leider auch mehrere Selbstmordversuche hinter sich gebracht; ihr Lebenswille war gebrochen, sie wollte und konnte einfach nicht mehr.“

Im Umgang mit psychischen Krankheiten und der Akzeptanz der damit verbundenen Leiden sei die Gesellschaft noch nicht versiert: „Einfacher ist es sicher, eine Sterbeverfügung mit Krebs im Endstadium zu bekommen. Das ist für jeden nachvollziehbar. Als das Gesetz in Kraft getreten ist, hat sich meine Schwester intensiv darum gekümmert, ist dabei richtig aufgeblüht. Wir mussten ihren Entschluss akzeptieren. Es hat ihr viel bedeutet, dass dieser Schritt in Österreich endlich legal möglich war. Sie ging frohen Herzens.“

Die Schwachstellen der Sterbeverfügung

Anfang 2022 trat in Österreich nach jahrelangen hitzigen Debatten, die vor allem von kirchlichen Institutionen erschwert wurden, das sogenannte Sterbeverfügungsgesetz in Kraft: Eine Sterbeverfügung können Menschen bei einem Notar deponieren, die nachweislich unheilbar und schwer erkrankt sind, die Freiwilligkeit ihres Wunsches nachweisen können sowie im Besitz ihrer Geschäfts- und Entscheidungsfähigkeit sind. Die Verfügung gilt allerdings nur ein Jahr lang (im Gegensatz zur Patientenverfügung, die acht Jahre wirksam ist) und ermöglicht den Betroffenen, innerhalb dieses Zeitraums bei einer Apotheke das Präparat Natrium-Pentobarbital in der erforderlichen Dosis zu beziehen. Straffrei gehen durch dieses neue Gesetz auch jene Personen aus, „die Hilfe leisten“, also beim Suizid assistieren, indem sie das Präparat besorgen und dem häufig nicht mehr mobilen Kranken zur Verfügung stellen. Juristisch essenziell ist, dass der Kranke im Zustand der Entscheidungsfähigkeit die tödliche Lösung selbstständig zu sich nimmt oder den Zugang zur gelegten Infusion eigenständig aufdreht. Würde ein Angehöriger dem „Sterbewilligen“ das Präparat oral verabreichen, wenn dieser zum Beispiel nicht mehr seine Arme bewegen kann, könnte das mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren geahndet werden. Denn das liefe dann unter dem Strafbestand „Tötung auf Verlangen.“ Bei der sogenannten „aktiven Sterbehilfe“, die die Niederlande als erstes Land der Welt vor Belgien und Luxemburg bereits 2001 gesetzlich eingeführt haben, wäre ein solches Prozedere legal. Dort vollführen meist Ärzte im häuslichen Ambiente den letzten Akt. Pedro Almodóvars preisgekrönter neuer Film „The Room Next Door“ thematisiert die Problematik einer gesetzlich nicht geregelten Extremsituation: Tilda Swinton im Part einer Todkranken muss sich das Präparat im „Darknet“ besorgen; denn in den USA ist in den meisten Bundesstaaten unterstützter Suizid noch immer strafbar, Pionier-Bundesstaat ist diesbezüglich das liberale Oregon.

„Unser Gesetz ist eines der besten in Europa“, erklärt Angelika Feichtner von der Österreichischen Gesellschaft für Palliativmedizin, „allerdings ist es für die Betroffenen mit hohem organisatorischen Aufwand verbunden.“ Denn ehe ein Notar eine Sterbeverfügung überhaupt errichten kann, müssen zwei Ärzte (einer davon mit einer Palliativausbildung) unabhängig voneinander attestieren, dass der oder die Kranke auch sämtliche Berechtigungsvoraussetzungen erfüllt. Zwischen den Attesten der beiden Ärzten und der notariellen Wirksamkeit der Sterbeverfügung ist eine Bedenkfrist von zwölf Wochen vorgesehen, was bei schwer fortgeschrittener Krankheit auf zwei Wochen verkürzt werden kann. Im Falle einer unheilbaren psychiatrischen Erkrankung, wie jener von Michaela, muss noch ein Psychiater zwecks eines Gutachtens hinzugezogen werden, was plausibel ist. Denn suizidale Gedanken sind häufig ein Symptom einer schweren Depression und können temporär sein.

„Die Möglichkeit eines selbstbestimmten Sterbens wird von vielen Institutionen massiv behindert.“
 

Christina Kaneider

Palliativmedizinerin

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort