Fußball

Wie der ÖFB Ralf Rangnick vertreiben könnte

Österreichs Fußball-Nationalteam spielt groß auf. Trotzdem hat Ralf Rangnick zunehmend Kritiker im ÖFB. Nun gerät er gar in den tobenden Machtkampf im Präsidium – mit unabsehbaren Folgen.

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Marko Arnautovic war so gut aufgelegt wie selten. Er hatte am vergangenen Sonntag beim 5:1 gegen Norwegen zwei Tore erzielt – davon ein Prachtschuss unter die Latte. Das sei „die beste Fußballnationalmannschaft, die es je in Österreich gegeben hat“, frohlockte er. Schon bei der EM im Sommer wurde das ÖFB-Team weltweit bewundert. Hauptverantwortlich dafür: Teamchef Ralf Rangnick. Er hat den Österreichern eingebläut, immer nach vorne zu spielen und gegen jedes Team weltweit gewinnen zu können.

Noch vor wenigen Wochen war im ÖFB deshalb von einem Projekt 2030 die Rede – mit dem internationalen Kapazunder Rangnick als Mastermind. Er solle den Verband ordentlich umbauen, hieß es. Im Frühjahr wurde ihm von ÖFB-Präsident Klaus Mitterdorfer höchstpersönlich eine Vertragsverlängerung samt Kompetenzerweiterung in Aussicht gestellt. Auch deshalb, weil Rangnick kurz vor der EM nicht für 10 Millionen Euro Jahresgehalt zum FC Bayern gewechselt war, sondern dem ÖFB die Treue hielt (obwohl er hier nur etwa ein Zehntel verdient). Nun ist von alledem keine Rede mehr. profil hat bei ÖFB-Vertretern und im Rangnick-Umfeld nachgefragt. Beide Seiten betonen, dass es nach der Ankündigung keine Annäherung gegeben hat. Sprich: Ein langfristiges Engagement Rangnicks wurde bislang von ÖFB-Seite nicht verfolgt. 

Stattdessen gibt es neuerdings Funktionäre, die den Teamchef kritisch betrachten. Auch, weil Rangnick zusehends in den lodernden ÖFB-Machtkampf gerät. 

Rangnick soll sich in seiner Arbeit eingeschränkt fühlen. Vom Konflikt der Geschäftsführer, dem behäbigen Präsidium und einer Struktur, die nicht für den modernen Profifußball taugt. 

Im Mai 2022 war man froh, Rangnick zu einem Spottpreis bekommen zu haben. „Dass wir den Rangnick um das Geld kriegen, konnten wir gar nicht glauben“, erzählte der niederösterreichische Landespräsident Johann Gartner dem profil. „Wir haben uns gewundert, dass er ja gesagt hat“. Rangnick war ein unerwarteter Glücksfall für den ÖFB. Der international anerkannte Trainer verliebte sich in einen Haufen Kicker, die seine Spielidee in sich tragen – und mit denen er für Furore sorgen wollte. In Amt und Würden sprach er davon, den österreichischen Fußball in neue Höhen führen zu wollen. Die Funktionäre sicherten ihm zu, sich überall einmischen zu dürfen.

Doch momentan vergeht Rangnick zunehmend die Laune. Und das hat auch mit dem zerstrittenen ÖFB zu tun. Rangnick soll sich in seiner Arbeit eingeschränkt fühlen. Vom Konflikt der Geschäftsführer, dem behäbigen Präsidium und einer Struktur, die nicht für den modernen Profifußball taugt. 

Ende August nahm Rangnick an einem zweitägigen ÖFB-Meeting teil, zu dem ihn Präsident Mitterdorfer eingeladen hatte. Zwei Tage saß er dort mit den ehrenamtlichen Entscheidungsträgern zusammen. Die heißen Eisen kamen auf den Tisch. Eigentlich soll Rangnick vorgehabt haben, sich nicht groß einzumischen. Aber das liegt ihm nicht. Und so tat er auf Nachfrage durchaus offen seine Meinung kund. Etwa zu den beiden Geschäftsführern Bernhard Neuhold und Thomas Hollerer, deren Konflikt seit Jahren den Verband lähmt. „Er hat dort einigen die Augen geöffnet“, sagt ein Präsidiums-Mitglied zu profil. Doch nicht bei allen kamen die Worte des Teamchefs gut an. Schuld daran ist das vorherrschende Lagerdenken im Präsidium. Die einen Entscheidungsträger stehen hinter Neuhold, die anderen hinter Hollerer. Das Problem: Rangnick wird als Neuhold-Mann, zu dem er ein enges Verhältnis pflegt, wahrgenommen und jede seiner Aussagen dahingehend gedeutet. Die Mehrheit im Präsidium steht aber hinter Hollerer. Im gespaltenen Männerbund kann man sich in dieser Frage schnell die Finger verbrennen.

Einige Entscheidungsträger beklagten danach, dass Rangnick überhaupt an dem Meeting teilnehmen durfte. „Ich habe nicht erforderlich gefunden, dass er zwei Tage dort dabei sein muss“, kritisierte Landespräsident Gartner danach ganz offen gegenüber profil. Schon letztes Jahr, als Rangnick die Streitereien und die damit verbundene Außendarstellung missfiel, richtete Gartner dem Teamchef im profil aus, dass dieser sicherlich „Profi genug ist, um sich da nicht einzumischen“.

Aber da ist noch eine andere Sache. Im Verband soll (auch auf Rangnicks Anraten) einiges kräftig umgebaut werden. Etwa bei den Nachwuchs-Nationalteams, wo zuletzt U-21-Teamchef Werner Gregoritsch abtrat – und nun durch einen Rangnick-Mann ersetzt werden soll. Rangnick soll intern immer wieder beklagt haben, dass ihm die Neuausrichtung zu lange dauere. Auch Sportdirektor Peter Schöttel hätte dahingehend behäbig agiert. Nun aber soll Schöttel nach Beschluss der Strukturreform zum Geschäftsführer Sport aufsteigen, während Rangnicks Wunschkandidat, der Ex-Teamspieler Sebastian Prödl, auf die lange Bank wanderte. Für Prödl wäre die Rolle als „Team-Manager“ angedacht, der nahe am Nationalteam die Idee Rangnicks in die Nachwuchsauswahlen trägt. 

Bei dem Meeting Ende August soll Rangnick deshalb die Personalie Prödl angesprochen haben, „obwohl das gar nicht auf der Tagesordnung gestanden ist“, kritisierte Landespräsident Gartner danach gegenüber profil. Der ehemalige Bürgermeister der niederösterreichischen Gemeinde Ziersdorf gilt als Sparmeister im Verband. „Der Prödl ist auch eine Kostenfrage“, sagt er. „Wir können nicht eine Organisation immer und immer wieder verändern.“ Zudem hätte Rangnick „nicht klar definiert, wofür er ihn braucht“, moniert Gartner. „Wenn man es negativ formuliert, wollte er ihn als Ersatz für den Peter Schöttel“.

Schöttel wurde 2017 vom Präsidium zum Sportdirektor gewählt – nicht aus Überzeugung, sondern weil man einen Ersatz für den erfolgreichen Willi Ruttensteiner benötigte, den man schnellstmöglich loswerden wollte. Gartner erklärte kurz darauf im profil: Ruttensteiner habe den ÖFB „wie sein Unternehmen geführt“, Schöttel hingegen „lässt sich auch etwas einreden“. Aktuell sagt Gartner, er schätze Rangnick für seine „impulsive und kreative“ Art. Aber: „Man muss auch immer aufpassen, wo er gerade hin galoppiert“.

Einige im Präsidium argumentieren, dass sich Rangnick ohnehin zum ÖFB bekannt habe, und wiegen sich in Sicherheit. Der Deutsche aber ist international begehrt. Nach der WM könnte er schnell als deutscher Bundestrainer gefragt sein.

Im Präsidium argumentiert man auch mit angespannten Finanzen, weshalb viele Dinge in der Warteschleife hängen. Das neue, 75 Millionen Euro teure Trainingszentrum in Wien-Aspern, für das der ÖFB ein Drittel der Kosten selbst stemmen muss, wird gerade gebaut. Auch die personell immer größer werdende Geschäftsstelle ist nicht billig. So verbuchte der ÖFB zuletzt zwar einen Umsatz von 60 Millionen Euro, aber bloß einen geringen Gewinn. Umso mehr müsse man im nun jeden Euro zweimal umdrehen, erklärt man. 

Nun aber ist da Rangnick, der überall mitredet. Und den Verband – im Sinne einer Professionalisierung – fordert, wie selten jemand zuvor. Er hat Ideen für die Trainerausbildung und die Nachwuchsarbeit, engagiert sich für einen Stadionneubau, trifft sich mit der Politik und strebt auch sonst überall nach Verbesserung. Rangnick selbst sei zwar nicht teuer, heißt es. Aber sein Betreuer-Stab schon. Auch einen eigenen Pressesprecher erhielt er – und nun wird gerade ein persönlicher Assistent für den Teamchef gesucht. Gartner sagt zu profil: „Wir haben schon bei seinem eigenen Pressemann nachgegeben. Der Verband muss betriebswirtschaftlich denken, wir sind ja nicht Red Bull“. 

Rangnicks aktueller Kontrakt läuft bis Ende 2025 (und sollte die WM-Qualifikation gelingen bis zum Ende des Turniers). Einige im Präsidium argumentieren, dass sich Rangnick ohnehin zum ÖFB bekannt habe, und wiegen sich in Sicherheit. Der Deutsche aber ist international begehrt. Nach der WM könnte er schnell als deutscher Bundestrainer gefragt sein – wenn Julian Nagelsmann aufhören sollte und Jürgen Klopp bei Red Bull bleibt.

Momentan scheint das egal. Der tobende Machtkampf überschattet alles im ÖFB. Präsident Mitterdorfer will am Freitag bei einer Präsidiumssitzung eine Strukturreform beschließen. Einiges deutet aber auch darauf hin, dass es eine mit vielen Kompromissen sein könnte. Rangnick war zuletzt nicht mehr eingebunden, die Kontakte zu Mitterdorfer sollen selten geworden sein. Auch die beiden Lager bekriegen sich hinter den Kulissen weiterhin intensiv. Laut profil-Informationen könnte es bei der morgigen Sitzung rund gehen. „Es gibt die Möglichkeit, dass wir uns die Schädel einhauen“, erklärte Oberösterreichs Landespräsident Gerhard Götschhofer zuletzt schon im profil. 

Rangnick will niemandem den Schädel einhauen, sondern den österreichischen Fußball voranbringen. Zuletzt gelang ihm das. Bei der EM feierte Österreich einen historischen Gruppensieg vor Frankreich und den Niederlanden. Trotzdem gab es zuletzt Stimmen im Präsidium, die monierten, dass Rangnick mit dem Achtelfinal-Einzug auch nicht mehr erreicht habe als sein scharf kritisierter Vorgänger Franco Foda. Es ist das übliche ÖFB-Spiel, in dem es um Macht, Moneten, Posten und Einfluss geht. Aber kaum um den Sport. 

Vertreibt der Verband so seinen Hoffnungsträger? 

Andere Nationen verfolgen die Geschehnisse im ÖFB jedenfalls aufmerksam. Nach dem 5:1 der Österreicher gegen Norwegen letzten Sonntag schrieb der internationale Fußball-Experte Jan Age Fjörtoft auf der Plattform X: „Achtung, norwegischer Fußballverband! Rangnick hat seinen Vertrag noch nicht verlängert“. Dabei sei dieser doch „perfekt. Es ist erstaunlich, was er mit Österreich gemacht hat“.

Aus Rangnicks Umfeld ist zu hören, dass er die aktuelle Entwicklung im ÖFB sehr kritisch beäugen soll. Ständig nur Streit, verschleppte Entscheidungen, kein Geld. Rangnick bleibe wegen seiner Mannschaft in Österreich, heißt es. Ob er aber einen neuen Vertrag (über 2025 hinaus) derzeit überhaupt unterschreiben würde, sei nach den jüngsten Entwicklungen mehr als ungewiss.

Gerald Gossmann

Gerald Gossmann

Freier Journalist. Schreibt seit 2015 für profil kritisch und hintergründig über Fußball.