Wie die Transdebatte in Österreich polarisiert
Dieser Streit spaltet die feministische Bewegung: Die einen bezeichnen sich als transinklusive oder „intersektionale“ Feminist:innen, für sie sind Trans Frauen ganz selbstverständlich Frauen. Auf der anderen Seite stehen Feminist:innen, die als transexlusiv bezeichnet werden. Sie wehren sich unter anderem dagegen, dass - in ihrer Diktion - Männer, die sich als Frauen fühlen, in ihre Räume eindringen. Für diese Gruppe hat sich die mitunter abwertend verwendete Formulierung „Terf“ etabliert, ausgeschrieben steht das Akronym für „transexklusive Radikalfeminist:innen“.
Am vergangenen Wochenende eskalierte die Debatte heftig. Bei dem Event „Let Women Speak Vienna“ trat die umstrittene britische Aktivistin Kelly Jay Keen, die sich „Posie Parker“ nennt, im Wiener Votivpark auf. „Let Women Speak“ ist eine weltweite Initiative, begründet von Parker, die das Ziel hat, dass „Frauen ihre geschlechtsbasierten Rechte verteidigen“ und transsexuelle Menschen offen nicht anerkennt.
Trans Frauen seien Männer - häufig wird diese Meinung bei den Events vertreten. Parker tritt gegen die „Auslöschung der Frauen“ auf, die durch die „Gender-Ideologie“ und die Existenz von Transfrauen passiere. Das Argument dieser feministischen Strömung lautet: Die Auflösung der binären Geschlechterrollen würde biologische Frauen aus der öffentlichen Wahrnehmung drängen und damit den Kampf für Frauenrechte - etwa gleiche Löhne - verwässern.
Die Gegenseite widerspricht vehement. Trans Frauen seien wie sonst kaum eine Gruppe von gesellschaftlicher Ausgrenzung und Ächtung betroffen. Feministische Anliegen müssten für alle erkämpft werden, die sich als Frauen identifizieren - unabhängig davon, mit welchem biologischen Geschlecht sie geboren wurden.
So verlaufen die Gräben
Von Trans Personen spricht man dann, wenn die Geschlechtsidentität, also das erlebte und gefühlte Geschlecht einer Person nicht mit dem zugewiesenen Geburtsgeschlecht übereinstimmt - so lautet die Definition der Österreichischen Sozialversicherungen. Laut deren Schätzung gab es im Jahr 2019 400 bis 500 Trans-Personen in Österreich.
Intersektionale Feminist:innen legen besonders großen Wert darauf, Personen, die nicht nur von Sexismus, sondern auch von anderen Diskriminierungsformen wie Transphobie oder Rassismus betroffen sind, zu inkludieren. Sie erkennen Transpersonen klar an. Für sie gilt: Trans Frauen sind Frauen und Transmänner sind Männer. Auf der anderen Seite stehen transexklusive, „gender-kritische“ Feminist:innen, die Transpersonen nicht anerkennen und der Ansicht sind, dass das Geschlecht, mit dem eine Person geboren wird, ihr ein Leben lang zugeordnet ist. Für diese Feminismus-Gruppierung existieren Transpersonen de facto nicht. Sprich: Biologisch geborene Männer, die sich als Frauen identifizieren, bleiben immer Männer - egal, ob mit Transition und Geschlechtsangleichung oder ohne.
Die Bruchlinien verlaufen hier nicht zwischen rechts und links, auch in traditionell progressiven Parteien wird gestritten. Die Stimmung ist aufgeladen, in der Debatte kann es schon einmal passieren, dass sich Parteifreundinnen gegenseitig den Tod wünschen. Etwa bei den Grünen: Die Grazer Bezirksrätin Julia Köck postete auf Twitter „P99“ unter einen Livestream der „Let Women Speak Veranstaltung“. P99 steht für ein Pistolenmodell. Köck spricht von einem „Versehen“ und hat mittlerweile ihr Mandat zurückgelegt.
Standpunkt gegen grüne Parteilinie
Die Grünen-Abgeordnete Faika El-Nagashi hielt bei dem „Let Women Speak Vienna“-Event eine Rede. Sie vertritt in dieser Debatte einen Standpunkt, der nicht der Parteilinie entspricht. Aus dem Grünen Klub heißt es auf profil-Anfrage: „Unsere Position in dieser Frage ist glasklar: seit 2001 – also seit über 20 Jahren – steht es schwarz auf weiß in unserem Grundsatzprogramm, dass wir Grüne die LGBTIQ-Community und transidente Menschen unterstützen und das wir selbstverständlich auf ihrer Seite stehen.“ LGBTIQ steht für lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, intersexuelle und queere Menschen.
El-Nagashi selbst hat nicht auf eine Anfrage geantwortet, allerdings hat sie auf Twitter ausführlich zum Thema Stellung genommen: „Ich teile viele der Ansichten und Zugänge von Posie Parker nicht. Es geht aber nicht um sie, sondern um die Komplexität einer Debatte, in der sowohl Unterstützung für Trans Menschen möglich ist, als auch Kritik über die Art der Diskussion und an bestimmten (aktivistischen) Forderungen.“
Kritik an El-Nagashi
El-Nagashis Auftritt bei dem Event erschütterte zahlreiche Trans-Aktivist:innen im Netz, so auch die Wienerin Steffi Stanković, die an jenem Sonntag auf Instagram Kritik äußerte und Konsequenzen - darunter einen Parteiausschluss von El-Nagashi - forderte. „Die Grünen erwähnen immer wieder, dass sie sich für LGTBQI+-Rechte einsetzen. Dann kommt eine Person aus der Partei, die zeigt, dass sie bei den Grünen ist und sich sehr transfeindlich äußert“, berichtet die Trans-Aktivistin im profil-Interview.
Auf Stankovićs Kritik wurde wiederum prompt reagiert, und das sehr heftig: Die Veranstalterin der Votivpark-Demo, Donna Krasniqi, sei beleidigend geworden, so die Aktivistin. „Ich habe danach ein Statement-Video auf meinem Instagram-Kanal gepostet, weil ich sehr aufgewühlt, schockiert und aufgeregt war. Daraufhin hat sie getweetet, dass ich manipuliere, ein Mann sei und eine Opferrolle spielen würde. Sie hat den ganzen Abend nicht aufgehört“, schildert Stanković. Krasniqi hat dazu nicht Stellung genommen.
Das ist exemplarisch für die Debatte: Einer Trans Frau wird das Frau-Sein abgesprochen. Und Feministinnen, die den transinklusiven Ansatz nicht teilen, werden zum Rücktritt aufgefordert. Verhärtete Fronten also.
Edding-Statements auf Wiener Frauenkonferenz
Krasniqi ist nicht zuletzt wegen einer Aktion bei der Wiener Frauenkonferenz der SPÖ im Mai des letzten Jahres einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden: Sie trat spontan ans Rednerinnen-Pult, auf die Stirn hatte sie sich mit schwarzem Edding „Terf“ geschrieben, auf die Schultern und Arme weitere Edding-Statements. „Ich kämpfe seit eineinhalb Jahren in der Partei mit Händen und Füßen dafür, dass man mich hört“ - so begann sie ihren Redebeitrag. Krasniqi wollte gegen ein etwaiges Self-ID-Gesetz argumentieren, dass es Transpersonen erleichtern soll, ihre Geschlechtsidentität auf dem Papier zu ändern.
Ihre Argumentation drehte sich auch darum, wie sehr sie aufgrund ihrer Haltung angegriffen werde - von Parteikolleg:innen und von Journalist:innen. In Deutschland wird ein solcher Gesetzesentwurf gerade diskutiert: Die Änderung des Geschlechtseintrages beim Standesamt soll weniger umständlich werden, damit stelle man die Rechte von transidenten Personen sicher, heißt es vom deutschen Familienministerium. Das Gegenargument: Die Räume von Frauen müssten geschützt werden und seien in Gefahr - auch vor Transfrauen.
Gerade Aktivist:innen aus der Community sollten wissen, dass es uns nur selbst beschädigt, wenn wir uns spalten. Das ist für mich unbegreiflich.
Spaltung der feministischen Community
Auch in der SPÖ wird also gestritten: „Wir haben Statuten und Beschlüsse, und ob man das mag oder nicht, man hat sich daran zu halten. Das gilt für alle. Für uns ist ganz klar, und das ist Beschlusslage: Trans Frauen sind Frauen, und Trans Männer sind Männer“, sagt Mario Lindner, SPÖ-Nationalratsabgeordneter und Bundesvorsitzender der sozialdemokratischen LGBTIQ-Organisation SoHo.
Gleichzeitig warnt Lindner vor einer Spaltung der Community: „Gerade Aktivist:innen aus der Community sollten wissen, dass es uns nur selbst beschädigt, wenn wir uns spalten. Das ist für mich unbegreiflich.“
Mutmaßliche Trolle haben ihre Freude an dem Streit und feuern die Debatte an. Ende Mai ging eine Person mit Bart und Penis in die Damensauna im Hermannbad - und gab sich an der Kassa als Transfrau aus. Ein paar Tage später dann die Auflösung: Es dürfte sich um einen Zündler gehandelt haben, der bloß provozieren wollte. Boulevardmedien schlachteten die Chose aus. Der Stunt wirft allerdings eine Frage auf, die gar nicht so einfach zu lösen ist: Wie lassen sich Scharlatane von jenen Menschen unterscheiden, deren Geschlechtsidentität sich von ihrem biologischen Geschlecht unterscheidet?
Denn was bei all dem Furor auf der Strecke bleibt: Der nüchterne Diskurs.