Only You! Wie man Freunde findet - und was gegen die Einsamkeit hilft

Freundschaft gilt als die unattraktive Schwester der Paarbeziehung. Dabei ist die soziale Vereinsamung die eigentliche Psycho-Pandemie der Stunde. Warum wir immer mehr vereinzeln und was wir gegen die grassierende Unverbindlichkeit tun können.

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Es ist die bei Weitem traurigste Geschichte zum Thema, eine bewegte Postkarte aus der Wüste urbaner Vereinsamung: Ein Videoclip auf der Website von „Vice Asia“ zeigt einen jungen japanischen Mann, der seine spartanische Bleibe für eine Party dekoriert – mit spitzen Papphütchen, Glitzerschlangen am Fenster und bunten Klebebuchstaben, die sich zu einem „Happy Birthday“ formieren, an der Wand. Plötzlich geht die Tür auf, und eine Schar junger Leute betritt mit großem Hallo das Zimmer. Einer von ihnen wedelt mit einem Pappschild, das die Aufschrift „Birthday Hero“ trägt. Der Gastgeber verneigt sich schüchtern: „Schön, euch kennenzulernen. Ich habe heute Geburtstag. Ich bin sehr glücklich, dass ihr ihn mit mir feiert.“ Der Jubilar und seine Gäste waren sich bis dahin noch nie begegnet. Er hatte die auf Knopfdruck ausgelassene Meute bei dem Mietservice „Family Romance“ bestellt, wo freundlose Menschen für Partys oder Freizeitaktivitäten stundenweise menschliche Nähe buchen können. Das gespenstische Service liefert unter anderem auch Leiheltern für Hochzeiten und Feiertage, falls wegen Funkstille mit der eigenen Familie Bedarf herrscht.

Einsamkeitssupermacht Japan

Ein deprimierendes Kuriosum aus einer bizarren Alltagskultur, könnte man meinen. Dass in einem leistungsversessenen Land wie Japan, wo die Menschen, was Freizeit, Urlaub und die Größe des Wohnraums betrifft, seit jeher eklatant unterversorgt sind, das Gefühl der Isolation zur Grundstimmung gehört, ist nicht nur Klischee, sondern statistisch belegbar: Rund 40 Prozent aller Japaner:innen geben in Umfragen an, einsam zu sein. Aber längst hat die wachsende Beziehungslosigkeit und die damit verbundene psychische Leere, die sich auch in somatischen Beschwerden wie Herzkreislauferkrankungen, Atembeschwerden oder Rückenschmerzen niederschlagen kann, auch die westliche Welt erfasst. Im „Zeitalter der Unverbindlichkeit“, so die „New York Times“, scheint die Rasanz, in der Beziehungen geknüpft und auch wieder entsorgt werden, nicht nur auf Romanzen oder Sexdates beschränkt, sondern auch freundschaftliche Verbindungen zu betreffen. Die Kulturtechnik der Freundschaftspflege und die regelmäßige Investition des „energetischen Inputs“, den Freundschaften verlangen (wie es in dem für Jugendliche gestalteten YouTube-Lehrvideo „Why you are lonely und how to make friends“ heißt), dürften nicht nur durch eine gewisse Post-Pandemie-Lethargie in Mitleidenschaft gezogen worden sein, sondern auch durch den Gewöhnungseffekt, den die Digitalisierung und die damit verbundene Oberflächlichkeit beim Umgang mit Kontaktaufnahmen mit sich bringen. Die „Digital Natives“, die im Psychojargon auch als „Gen Maybe“ (Generation Vielleicht) apostrophiert werden, zeichnen sich durch eine vage Untentschlossenheit und viel „Alles nix Konkretes“ (wie die Kölner Band „AnnenMayKantereit“ 2016 ein Album nannte) aus. Vielleicht ist aus dieser Unterversorgung an konkreten, analogen Begegnungen auch der Nostalgie-Hype rund um die Sitcom „Friends“ zu erklären, jener TV-Serie aus den 1990er-Jahren, die das turbulente WG-Leben einer mittelständischen New Yorker Neurotiker-Clique zum Thema hat.

Vermeidungsstrategie Emojis

„Es passierte mir immer wieder“, erzählt ein 27-jähriger Züricher in einer Online-Selbsthilfegruppe, „dass ich Leute zu mir einlud. Die sagten dann auch zumindest teilweise vorher zu, aber von zehn kamen im besten Fall drei oder manchmal gar keiner.“ Als Entschuldigung wird am nächsten Tag, wenn überhaupt, ein schlafendes oder fieberndes Emoji-Gesicht auf WhatsApp geschickt. Emojis sind ja die beste Vermeidungsstrategie für direkte Konfrontationen und wirken entsprechend verflachend, was sich bei Dauereinsatz auch auf die Qualität einer Beziehung schlägt. „Pläne absagen ist wie Heroin“, ironisiert der US-Komiker John Mulaney, der eben ein neues Netflix-Special zu seiner Drogensucht veröffentlichte, die grassierende Unverbindlichkeit in einer Prä-Corona-Show: „Ein Wahnsinnsgefühl, augenblickliches Glück!“ In einschlägigen Foren, wo sich Menschen mit Kontaktschwierigkeiten austauschen, fallen immer wieder die gleichen Sätze: „Wochenenden sind definitiv das Härteste.“ „Ich fühle mich wie ein Komplettversager, weil ich keine Freunde habe.“ „Je länger ich im Rückzug bin, desto schwieriger wird jede Form von Kontaktaufnahme für mich.“

Psychokrücken für Schüchterne

Für notorisch Schüchterne existieren inzwischen Hunderte Apps, die als Psychokrücken zur Kontaktaufnahme dienen sollen. Bumble BFF (ein Derivat der gleichnamigen Dating-App) und „Meet up“ oder die In-App „Explore“ in der weltweit erfolgreichsten Partnerbörse Tinder sind Plattformen, auf denen man seinen sozialen Hunger schnell und unkompliziert stillen kann. „Natürlich hast du auch wegen Bumble BFF voll den Erklärungsnotstand,“ erzählt eine Userin im US-Magazin „Atlantic“: „Die Frage ,Bist du so ein Freak, dass du keine Freunde hast?‘ schwebte natürlich auch bei der Frau, die ich so kennenlernte und mit der ich heute befreundet bin, mit.“ Beide waren beruflich in eine Stadt gezogen, in der sie keinerlei Kontaktanknüpfungspunkte hatten. Lebensveränderungen wie Schulwechsel oder der Umzug in eine neue Stadt stellen junge Menschen heute oft vor Kontaktherausforderungen, die sie überfordern.

Die deutsche Psychologin Susanne Böcker, die sich dem Forschungsschwerpunkt Einsamkeit widmet und auf der Grundlage ihrer Studien „jedem siebenten Deutschen zwischen 26 und 35 Jahren“ attestiert, sich chronisch allein zu fühlen, beschreibt den Zustand in einem NDR-Feature „als die wahrgenommene Diskrepanz zwischen den Verbindungen, die man sich wünscht, und denen, die man tatsächlich hat“. Dass die Altersgruppe der über 80-Jährigen am meisten mit einer solchen Isolation zu kämpfen hat, ist logisch: Schließlich sterben in dieser Lebensphase zunehmend Menschen weg, mit denen man im besten Fall jahrelang sozial interagierte. Bei jungen Menschen zeige sich allerdings verstärkt „wegen ihrer Einsamkeit ein Schamgefühl. Sie geben sich oft selbst die Schuld, sozial zu versagen, und empfinden diesen Zustand, der ja durchaus phasenweise normal sein kann, oft nicht als vorübergehend.“ Selbsthilfe und Prävention in Form von Gemeinschaftssportaktivitäten, Computerspiel-Communitys oder Institutionen wie „Speedfriending“, einem Konzept, das in Norwegen seinen Anfang fand, inzwischen europaweit existiert und auch in Wien Nachahmer hat, können helfen. Die Gruppe der „Speedfriender“ (speedfriending.at) hat in Österreich schon fast 10.000 Mitglieder. Wie bei der Urform der Speeddatings werden auf Events wie einem Picknick auf der Donauinsel oder einem After-Work-Clubbing auf der Summerstage Nummern an die Teilnehmer verteilt, die in Drei-Minuten-Sequenzen ihren gegenseitigen Sympathiefaktor abchecken können. Auf der Website versichern die Betreiber, dass 70 Prozent der Speedfriender einander nach einer solchen Beschnupperung auch „weiter wöchentlich, 14-tägig oder monatlich sehen“ und „der erste Eindruck noch immer der verlässlichste“ sei. Nur sollte man natürlich auch entsprechend interaktionsbereit drauf sein. Wenn Kinder und Jugendliche, verstärkt durch die verstörenden Phasen der Lockdowns, Krisenerfahrungen zunehmend „mit sozialem Rückzug beantworten“ (so die deutsche Psychologin Petra Kingsbury, psychologische Leiterin der auf Kurzzeittherapie spezialisierten Heiligenfeld Kliniken), besteht Handlungsbedarf: „Bei gravierender Verhaltensveränderung ist ein rasches Ansprechen ratsam, da Jugendliche in dieser sensiblen Lebensphase ohne stabile Basis rasch den Halt verlieren.“ Es sei angeraten, „sich bald beratende und therapeutische Hilfe zu holen“, ansonsten bestünde die Gefahr, so Kingsbury, „dass sich aus dieser Jugendkrise schwerwiegende Erkrankungen entwickeln, die sich im Erwachsenenalter chronifizieren.“ Bedauerlicherweise ist mentale Gesundheit in Österreich noch immer vor allem eine Geldfrage; profil hat mehrfach über die katastrophale psychiatrische Unterversorgung für Kinder und Jugendliche berichtet, die oft mit monatelangen Wartezeiten für Therapieplätze konfrontiert sind.

„Emotionaler Kapitalismus“

Die Existenz von Freunde-Vermittlungs-Apps begrüßt die Wiener Soziologin Barbara Rothmüller (siehe auch Interview), denn damit erschließen sich auch sozial ängstlichen Menschen Möglichkeiten für Bekanntschaften, die sie in der analogen „irl“ („in real life“)-Zone vielleicht nie machen würden. Andererseits herrscht im digitalen Raum, auch was das Knüpfen von Freundschaften betrifft, eine ähnliche Brutalität wie bei der Suche nach sexuellen Abenteuern oder romantischen Partnerschaften. „Emotionalen Kapitalismus“ nennt die israelische Soziologin Eva Illouz das System, in dem der Mensch einem Konsumprodukt gleichkommt und bei Fehleranfälligkeit oder vermeintlicher Nichtkompatibilität, egal ob als Freund oder potenzieller Beziehungspartner, sehr schnell entsorgt wird. Illouz hält die Flagge der Freundschaft hoch. In einem profil-Interview sagt sie: „Es würde uns so viel besser gehen, wenn wir Freundschaften ein ebenso großes Gewicht verliehen wie unseren intimen Beziehungen. Aber wir haben leider gelernt, unser Selbst durch unseren Beziehungsstatus zu definieren. Freundschaft hat leider nicht die kulturelle Sichtbarkeit, die sie verdienen würde.“

 

Es würde uns so viel besser gehen, wenn wir Freundschaften ein ebenso großes Gewicht verliehen wie unseren intimen Beziehungen.

Eva Illouz, Soziologin

In der so kitschigen wie rührenden Netflix-Serie „Firefly Lane“ (auf Deutsch: „Immer für dich da“), in der es um die Achterbahn einer Lebensfreundschaft zwischen zwei extrem unterschiedlichen Frauen geht, stöhnt eine Journalistin nach einem Speeddating-Versuch, der ins Leere ging: „Die Technologie des Datens hat aus allen einen Haufen unhöflicher Feiglinge gemacht, die nicht einmal in der Lage sind, ein normales Gespräch zu führen. Die Liebe ist tot!“ Die Kraft eines ganz normalen Gesprächs im Echtleben wird in einer Epoche, in der so viel wie nie zuvor, allerdings teils verkürzt oder auch verstümmelt, geschrieben wird, komplett unterschätzt. Dabei, so erzählt uns die Empathieforschung, überstrahlt die direkte Kontaktaufnahme und das damit signalisierte Interesse am Gegenüber alle anderen Kommunikationskanäle als effektives Freundschaftsfundament.

Literatur, Theater und Popkultur sind seit jeher verlässliche Seismografen für neue gesellschaftliche Ist-Zustände. Dieser Tage hat die dritte Staffel der Sky-Serie „Der Pass“ Premiere. Es gibt wohl zurzeit keine fiktive Figur, die wie Nicholas Ofczarek im Part des abgehalfterten Kommissars Gedeon Winter zeigt, wie Einsamkeit einen Menschen zerstören kann. In Yasmina Rezas Erzählband „Glücklich die Glücklichen“ sagt ein Pariser Psychiater: „Wenn ich bei mir zu Hause bin, habe ich Angst davor, dass jemand vorbeikommen und sehen könnte, wie einsam ich bin.“ Das Wiener Schauspielhaus widmet seine letzte Premiere unter der Intendanz von Tomas Schweigen unter dem Titel „Eisbären“ „Dramoletten zum Alleinsein“. In einem „aus der Zeit gefallenen Shoppingcenter“ sagt eine der Figuren: „Ich möchte andere nicht mehr mit mir belasten müssen. Ich finde, das sollte ein Grundrecht sein. Es ist natürlich auch ein Problem.“ Das ist das Paradoxon der sich verschränkenden digitalen und analogen Lebenswelten: Noch nie war es so einfach, sein Leben individuell und frei zu gestalten, und noch nie haben sich so viele Menschen aller Altersgruppen dabei so einsam gefühlt.

Dieses Paradoxon bringt der eingangs beschriebene japanische junge Mann, der sich fremde Menschen als Freunde für seine Geburtstagsparty anmietete, naiv und freien Herzens so auf den Punkt: „Ich möchte, dass meine Follower auf Instagram wissen, dass ich ein so tolles Leben mit viel Spaß habe.“

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort