Wie oft denken Sie an das römische Reich?
Von Eva Sager und Natalia Anders
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Wissen Sie noch, die Pepsi-Werbung mit Britney Spears, Beyonce und Pink im Kolosseum? „Die spinnen die Römer?“ Der Mann am Kreuz? „Veni, vidi, vici?“ Das Video von Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr, in dem er sagt, das römische Reich möge der Europäischen Union ein Mahnmal sein? Spätestens, wenn Sie in den letzten Wochen einmal die App TikTok geöffnet haben, muss es Ihnen aufgefallen sein: “Senatus Populusque Romanus” ist wieder angesagt. Allein auf der Videoplattform hat der Hashtag „roman empire“ („römisches Imperium“) mittlerweile über eine Milliarde Aufrufe. Schließlich beschäftigen sich dort gerade fast alle mit der Frage: Wie oft denkt man eigentlich an das römische Reich? Konkreter: Wie oft denken Männer daran? Ihre Antworten überraschen viele - teilweise mehrmals die Woche, manchmal sogar mehrmals am Tag. Woher kommt die Begeisterung für das römische Reich also? Ist das wirklich ein Männer-Ding? Und kann Christoph Wiederkehr die EU wirklich so einfach mit dem römischen Imperium vergleichen?
Auf nach Carnuntum!
Beginnen wir in Niederösterreich. Dort liegt Carnuntum - die ehemalige römische Stadt zählt heute zu den bedeutendsten und am umfangreichsten erforschten antiken Ausgrabungsstätten in Österreich. Seit die These, Männer würden regelmäßig an das römische Reich denken, auf TikTok viral gegangen ist, wird die niederösterreichische Römerstadt in der österreichischen Social Media-Bubble öfter als gewöhnlich erwähnt. Das fällt auch Daniel Kunc von der Carnuntum-Pressestelle auf: „Wir freuen uns, dass die römische Geschichte derzeit mehr in den Mainstream rückt.“ Ob die Besucher:innenzahlen seit der Entstehung der Tiktok-Videos gestiegen sind, lässt sich noch schwer beantworten - aufgrund eines Römerfestes vergangenes Wochenende hat es ohnehin fast 10.000 Menschen nach Carnuntum verschlagen.
„Es sind nicht immer alle in Toga herumgelaufen”
Den „Hype“ um das römische Reich empfindet Kunc jedenfalls als berechtigt: „Historisch gesehen haben viele Ereignisse das Zeug zur Netflix-Serie. Man darf jedoch nicht vergessen, dass es das römische Reich über 1000 Jahre gab und man diese Zeitepoche nicht so homogen betrachten darf. Es sind nicht immer alle in Toga herumgelaufen“, scherzt Kunc.
Fakt ist: Das Interesse an Carnuntum und dem römischen Reich nimmt je nach gegenwärtiger popkultureller Trends zu- oder ab. Im November 2024 soll eine Fortsetzung des 2001 erschienenen Blockbusters „Gladiator“ in die Kinos kommen. „Wir gehen jetzt schon davon aus, dass die Besucher:innenzahlen dann wieder deutlich steigen werden“, prophezeit der Pressesprecher.
Überall Gender
Mike Duncan ist amerikanischer Historiker und besonders bekannt für seine Podcasts und Bücher über die Geschichte des Römischen Reiches. In einem Interview mit dem US-Magazin Rolling Stone analysierte er den Tiktok-Trend und warum insbesondere Männer von dieser Zeit so fasziniert sind. „Römische Geschichte wurde zu einem Äquivalent von Militärgeschichte - einem Thema, das im Schnitt eher Männer interessiert. Da geht es viel um Schlachten, Armeen und Generäle“, so Duncan. Außerdem war das römische Reich eine überaus patriarchale Gesellschaft. „Wenn man sich mit römischer Geschichte beschäftigt, merkt man, dass es meistens nur darum geht, was Männer damals gemacht haben“, erklärt er im Interview.
Spannend ist außerdem, dass der „Roman Empire“-Trend nicht das erste TikTok-Phänomen ist, das sich auf Gender fokussiert. Bereits vor wenigen Wochen war „girl dinner“ ein viraler Hit auf TikTok (Frauen, die ihr Abendessen filmen, meistens eine simple Jause). Oder „girl math“ (Frauen, die ihre Shopping-Ausgaben rechtfertigen).
Salve, Christoph Wiederkehr!
Und was hat jetzt der Wiener Vizebürgermeister damit zu tun? In einem TikTok Video erklärt er auf die Frage, wie oft er an das römische Reich denke: „Ich denke manchmal daran, wenn ich an die Europäische Union denke, weil jedes Reich ist irgendwann zu Ende gegangen und ich hoffe, dass die europäische Union eine gute Zukunft hat und das römische Reich soll ein Mahnmal dafür sein.”
Auf profil-Nachfrage, inwiefern man seiner Meinung nach das römische Reich mit der Europäischen Union vergleichen kann, bekommen wir keine Antwort. „Zuallererst möchte ich darauf hinweisen, dass wir hier auf einen TikTok Trend aufgesprungen sind, der durchaus mit einem Augenzwinkern zu sehen ist und im Video erklärt Christoph Wiederkehr auch ausführlich, wie er den Zusammenhang für sich interpretiert”, erklärt ein Pressesprecher.
Nun, mit oder ohne Augenzwinkern, ein wenig hinkt der Vergleich dann doch. Birgit Forgó-Feldner vom Institut für Römisches Recht und Antike Rechtsgeschichte der Universität Wien sagt dazu: „Den Untergang des römischen Reichs als Mahnmal für den Fortbestand der Europäischen Union zu sehen ist nicht ganz naheliegend, zeigt aber seine (begründete!) Sorge um den Fortbestand der EU.”
Außerdem regt sie an, die Frage auch einmal an Frauen zu richten. Also hiermit an alle: Wie oft denken Sie an das römische Reich?
Eva Sager
seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.
Natalia Anders
ist Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.