Lebensgeschichte

Wie Rozaa Wortham, Soul-Diva aus Detroit, in Wien strandete

Vor 50 Jahren war sie eine Soul-Größe in Europas Nachtclubs. Seit 2025 ist sie in Wien gestrandet, lebt in einer Notschlafstelle – und ist voller Tatendrang. Vom erstaunlichen Leben der Rozaa Wortham.

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Ansatzlos beginnt die kleine, ältere Dame zu erzählen. Sie sitzt kaum am Kaffeehaustisch, hat nur schnell Hallo gesagt, ein kurzes Lächeln, ein tiefer Blick, und steckt schon mitten in ihrer Geschichte. „Ich habe immer gewusst, dass ich wieder nach Wien zurückkommen werde. Hier ist meine Karriere wirklich explodiert.“ Über diese Explosion will sie nun gern sprechen und lässt sich kaum einfangen beim Galopp durch die Jahrzehnte, die Namen und Ereignisse.

Im November wird Rozaa Wortham aus Detroit, Michigan, 80 Jahre alt. Sie sieht wesentlich jünger aus, trotz allem, was sie erlebt hat, es war nicht immer schön. Sie trägt eine rote Mütze, einen roten Mantel mit weißem Fell, dazu rote Lederstiefel. „Normalerweise trage ich Weiß“, sagt sie, aber in Rot fühle sie sich momentan sicherer. Ihre Habseligkeiten stecken in einem kleinen weißen Rucksack und einem Rollkoffer, den sie nicht aus den Augen lässt.

Ihre Nächte verbringt sie in einer Notschlafstelle der Caritas, der „Gruft“ in Mariahilf, seit Ende Jänner lebt sie jetzt dort. Ihr Pass ist ihr abhandengekommen, sie vermutet, dass er gestohlen wurde. Inzwischen wurde ihr zwar ein Notpass ausgestellt, die Weiterreise in die Schweiz, die ihr eigentlich vorschwebte, wird sich aber verzögern. Also macht sie, was sie zuvor auch schon in Berlin gemacht hat. Sie stellt sich auf die Straße, spielt Trompete und singt, dafür bekommt sie Kleingeld und Aufmerksamkeit. Zwischen den Songs spricht sie vom lieben Gott und seinen guten Taten.

Von Detroit nach Mariahilf

Eine Begegnung mit Rozaa Wortham (sie spricht es „Rosay“ aus) trägt Spuren einer Séance. Vergangenheit wird da recht unvermittelt zu Gegenwart, alte Freunde werden beschworen, die längst tot sind, aber, wer weiß, irgendwo weiterleben. profil trifft Wortham in einem kleinen Café in einer Seitenstraße der Mariahilfer Straße. Sie erzählt eine fantastische Story, in der wohl auch einiges an Fantasie steckt. Wenn sie davon berichtet, wie ihr Cousin Jimi einst von der Familie für sein famoses Talent an der Gitarre gefeiert wurde, wird man den Beleg für Frau Worthams Verwandtschaft mit Herrn Hendrix wohl länger suchen.

Geboren ist Rozaa Wortham, so viel ist sicher, am 28. November 1945 in Detroit, aufgewachsen im äußeren Westen der Motor City. Ihre Mutter Mary – die vor wenigen Tagen ihren 100. Geburtstag gefeiert hat – war als Friseurin tätig, zu ihren Kundinnen zählte auch eine Schwester des Motown-Impresarios Berry Gordy. Mary Wortham war in diesen Jahren wohl viel unterwegs in der Jazz- und Soul-Club-Szene von Detroit, Musik war ihr Leben und prägte so auch die Kindheit ihrer Tochter Rozaa. „Sie hat mich zur Musik gedrängt. Das war auch ein hartes Stück Arbeit, ich wollte eigentlich Malerin werden. Deshalb bin ich ja auch nach Paris gegangen.“

Rozaa Wortham ist keine ganz vertrauenswürdige Zeugin der eigenen Lebensgeschichte, ihre Biografie gleicht einem Puzzle, dem einige Teile fehlen. Andere sind allerdings gut erhalten, manche auch öffentlich dokumentiert, zum Beispiel ihre Begegnung mit dem jungen Prinzen von Wales bei einer Charity-Veranstaltung im Londoner Empress Club in den späten 1970er-Jahren, von der ein zeitgenössischer Zeitungsartikel samt Bild berichtet. Es zeigt den späteren König Charles, der beim Handshake mit der strahlenden Sängerin seinen Blick tief in deren Dekolleté versenkt. Rozaa Wortham erzählt, dass ihr ein Sekretär damals auch den Wunsch des Prinzen ausgerichtet habe, sie möge sich beim Bankett neben diesen setzen, „he fancies you“.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.