Wie TikTok-Trends Frauenbewegungen starten
Die chinesische Kurzvideo-App TikTok wird oft verteufelt. Ständig berichten Medien über die Radikalisierung von Jugendlichen, für die das soziale Netzwerk mitverantwortlich gemacht wird. Und sie berichten von Frauen, die sich als klassische Hausfrauen aus den 1970er-Jahren inszenieren, bis zu männlichen Influencern wie Andrew Tate, die ihre chauvinistische und frauenfeindliche Ideologie in den Sozialen Medien propagieren. Tate zählt zu den erfolgreichsten männlichen Influencern. Er erreicht mit seinen frauenverachtenden Werten Millionen von jungen Zuschauern, die ihn als Vorbild wahrnehmen. Derzeit steht Tate wegen des Verdachts auf Missbrauch und Ausbeutung von Minderjährigen vor Gericht.
Doch es gibt noch eine andere, weniger beleuchtete Seite von TikTok: Denn zuletzt entstehen dort auch Frauenbewegungen, die unter unterschiedlichen Hashtags und Trends dieselben frauenpolitischen Themen aufgreifen: die Objektifizierung von Frauen, Angst vor sexualisierter Gewalt und männliche Überheblichkeit.
Frauen in Männerdomänen: Umgekehrte Geschlechterrollen
„Mit Kondom fühle ich nichts.“ Kennen Sie solche Aussagen? Viele Frauen haben diesen Satz von ihrem Geschlechtspartner vermutlich schon gehört. Tara-Louise Wittwer, auf sozialen Medien bekannt als „wastarasagt“, dreht diese Aussage um und postet ein TikTok-Video unter dem Hashtag WomenInMaleFields (Frauen in Männerdomänen): „Wenn er mich nach Verhütung fragt, aber ich ihm sage, dass ich mit Pille nichts fühle #WomenInMaleFields“.
Sie ist eine von vielen Influencerinnen, Feministinnen und Nutzerinnen, die diesen Trend aufgreift und damit viral gehen. Vor ein paar Tagen startete der Trend auf TikTok und bereits jetzt sind 170.000 Videos unter dem Hashtag zu finden. Wozu ist dieser Trend gut?
Frauen sprechen Themen aus ihrem Dating-Leben, ihre Beziehungen und ihren Berufsalltag an. Aussagen, die sie von ihren Ex-Partnern, Kollegen oder Männern in ihrem Umfeld gehört haben, drehen die Geschlechterrollen um und verpacken es mit Humor. Kritisiert und thematisiert wird mit diesem provokanten, humorvollen Trend das sexistische Verhalten der Männer gegenüber Frauen. In dem die Geschlechterrollen verdreht werden, soll die Absurdität hinter dieser Rollenzuteilung gezeigt werden.
4B-Bewegung: Ein Leben ohne Männer
Vor zwei Wochen war das 4Bmovement in den Sozialen Medien das Thema. Trumps Wahlsieg und Nick Fuentes, einem US-amerikanischen White-Supremacy-Anhänger und rechtsextremen Aktivisten, der mit seinem viralen Thread auf der Plattform „X“ (früher: Twitter) „Your body, my choice. Forever“ den Slogan “My body, my choice”, der für Abtreibungsrechte der Frauen, umdreht, lösen Frauenbewegungen aus. Frauen aus den USA kündigen an, sich dem ursprünglich koreanischen 4Bmovement anzuschließen. Und das bedeutet: Nein zur Ehe, Kindern, heterosexuellem Sex und Beziehungen. Kurz gesagt: 4B-Frauen wollen mit Männern nichts mehr zu tun haben.
Videos von US-Amerikanerinnen gehen viral, wo sie sich zu der Bewegung deklarieren, nachdem sie sich von ihrem Beziehungspartner aufgrund ihrer Wahlentscheidung getrennt haben. Vor allem zwischen den jungen Wählern und Wählerinnen driften die politischen Präferenzen auseinander. 67 Prozent der Frauen unter 30 hätten sich Kamala Harris als Präsidentin gewünscht, verglichen mit 40 Prozent bei Männern.
Mit dieser Bewegung soll ein Zeichen gegen Trumps Frauenpolitik gesetzt werden sowie gegen alle männlichen republikanischen Wähler. Diese Radikalität, Männer vollständig aus ihrem Leben zu verbannen, zeigt die Frustration von Frauen, die es satt haben, dass ihnen ihre Rechte abgesprochen werden und sie als „Menschen zweiter Klasse“ behandelt werden. So begründen Anhängerinnen in Videos ihre Beweggründe in den Sozialen Medien. Eine weitere überspitzte Darstellung, um auf sexuelle Gewalt aufmerksam zu machen, war die virale TikTok-Umfrage über:
Mann oder Bär: Wärst du lieber mit einem Bären oder Mann allein im Wald?
Die Antwort vieler Frauen auf diese Frage ist eindeutig: Sie würden einem Bären einen fremden Mann im Wald vorziehen. Warum das so ist? Die Begründungen in den Kommentaren, Straßenumfragen und Videos zeigen auf, dass sexuelle Gewalt an Frauen in der Gesellschaft nicht ernst genug genommen wird: „Wenn mich ein Bär attackieren würde, würde man mir wenigstens glauben“. Aber auch die Angst vor sexueller Gewalt kommt deutlich hervor: „Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, dass ich umgebracht werde. Bei einem Mann könnte mir viel schlimmeres widerfahren.“
Diese Debatte wurde im April und Mai heiß diskutiert und schaffte es aus der digitalen Welt hinaus. Bis heute machen Frauen Videos von ihnen mit Bären im Wald und verpacken ein ernstes Thema mit Humor: „Definitiv mit einem Bären.“ Auf dem Video sieht man einen Bären, der von einer Frau gefüttert wird. Das Video hat 2, 3 Millionen Likes und 9 Millionen Aufrufe.
Tradewives vs. Feministinnen: Zwischen traditionellem Rollenbild und selbstbestimmten Frauen
Anfang des Jahres wurde der “Tradewives”-Trend auf TikTok viral. Gemeint sind Frauen, die in den Sozialen Medien ein traditionelles Rollenbild darstellen. Sie selbst bezeichnen sich dezidiert nicht als Feministinnen. In Vlogs zeigen sie sich von ihrer besten Seite: Sie backen den ganzen Tag, putzen hinter ihren Ehemännern und Kindern her und spielen die klassischen Hausfrauen, die in den 70er Jahren in Werbungen inszeniert wurden. Sie sind schön gekleidet, gepflegt und in großen modernen Häusern zu sehen. Die vermutlich bekannteste Tradewife ist Nara Smith.
Bei den meisten Tradewives auf TikTok wirkt es nach außen hin so, als wären sie finanziell komplett von ihrem Beziehungspartner abhängig - als würden sie sich nur um den Haushalt und Kinder kümmern. Tatsächlich sind sie aber Content Creatorinnen, die mit ihrer Arbeit in den Sozialen Medien ihr eigenes Geld verdienen. Außerhalb des Haushalts kümmern sie sich immerhin um ihren Account und Videos: Im Hintergrund werden diese Videos also gedreht, geschnitten und der Content eben produziert. Hinzu kommt Community Management, Interviews sowie Buchhaltung.
Gefährlich ist der Trend vor allem für junge Mädchen, die diesen Hintergrund nicht verstehen und sich diese Influencerinnen als Vorbilder nehmen. Vor allem ist die Darstellung einer Hausfrau, die Tradewives abbilden, meist weit von der Realität entfernt. Denn die pompösen Häuser, Produkte und Babysitter, die im Hintergrund auf die Kinder aufpassen, kann sich nur ein kleiner Teil der Gesellschaft leisten.
Ein Video von einer sogenannten Tradewife ging auf TikTok viral und löste damit einen feministischen Gegentrend aus:
„I’m not a feminist. I can actually cook“, sagt sie im Video und zeigt dann ihr selbstgekochtes Gericht. Übersetzt bedeutet der Satz: „Ich bin keine Feministin. Ich kann tatsächlich kochen.“ Dadurch entstand der Trend: „I’m a feminist… Watch me cook.“ Übersetzt ins Deutsche: „Ich bin eine Feministin… schau, was ich kann.“ Daraufhin folgen dann Videos von Frauen, die auf Podiumsdiskussionen stehen, erfolgreich in ihrem Beruf sind oder ein Master-Diplom in der Hand halten. Frauen auf TikTok setzen mit solchen Videos ein klares Zeichen gegen sexistische Rollenbilder: