Wiener Fußball: Trotz viel Moos nix los
Was einst als Sensation gehandelt wurde, ist heute bloß Liga-Alltag für die Wiener Großklubs: Niederlagen in der Provinz. Verloren wird mittlerweile ohne großes Aufsehen gegen jeden und überall: in Mattersburg, Altach oder Wolfsberg. Dabei hätten die Wiener Klubs soviel Geld wie noch nie, um sportlich gut auszusehen. Rapid hält bei 44 Millionen Euro Umsatz, die Austria bei 32. Im Vergleich: Sturm Graz verfügt über 17 Millionen, alle anderen überschreiten die 10 Millionen-Grenze nicht. Nur Ligakrösus RB Salzburg hält nach dem Verkauf zahlreicher Spieler bei 107 Millionen Euro und spielt mittlerweile außer Konkurrenz. Auf der anderen Seite: Rapid gegen Admira heißt auch 44 Millionen gegen 8. Trotzdem besiegte die Admira zuletzt Rapid. Austria gegen LASK heißt: 32 Millionen gegen 6,5. Trotzdem dominierten die Linzer in Wien und gewannen 3:1. Die Wiener Traditionsklubs dümpeln durch die Liga. Rapid ist Vierter, die Austria gar Siebter. Weit abgeschlagen hinter Vereinen, die bloß über einen Bruchteil des Etats der Wiener verfügen. Während sich Rapid und Austria einst die Erfolge untereinander aufteilten, stürzen sie in den letzten Jahren immer wieder ab und wursteln von Spielzeit zu Spielzeit ohne nennenswerte Entwicklung. Zwar gab es immer wieder vielversprechende Ansätze. Zu oft mussten aber beide von vorne beginnen. Die Wiener argumentieren ihre Chancenlosigkeit mit dem Reichtum der Salzburger, können aber andererseits ihren Wettbewerbsvorteil gegen den Rest der Liga nicht nützen. Denn Geld spielt – anders als oft behauptet – nicht automatisch Fußball. Salzburg wurde erst zum Serienmeister, nachdem sich zum Kapital auch ein ausgeklügeltes Konzept gesellte. Ein Beispiel: Der englische Fußball schwimmt schon lange im Geld, doch wurde es anfangs in vermeintliche Bling-Bling-Stars gesteckt und erst zunehmend sinnvoll in Know-How und die innovativsten Trainer investiert. Die Wiener Vereine stehen heute im Ligavergleich wirtschaftlich außerordentlich gut da. Bloß nachhaltige Konzepte, um sportlich dauerhaft erfolgreich zu sein, scheinen nicht vorhanden.
Baustelle 1: Die Spielweise und das fehlende Problembewusstsein
Die Austria spielt aktuell behäbigen und langsamen Ballbesitzfußball. Das ist zwar ein klar festgelegtes Spielkonzept, doch die Gegner haben es durchschaut und passende Gegenmittel gefunden. Zuletzt pressten die LASK-Spieler die müden Austrianer so weit vorne an, dass die nicht mehr wussten wie ihnen geschieht. Auch Mattersburg machte das am Wochenende und erzielte prompt den Führungstreffer. Im Frühjahr hat die Austria nur einen Punkt aus drei Spielen geholt. Der Verein liegt abgeschlagen auf dem siebten Rang, neun Punkte fehlen auf einen Europacupstartplatz.
Dabei versicherten Trainer und Sportdirektor vehement, dass die Misere im Herbst an der langen Verletztenliste und der Doppelbelastung gelegen habe. Doch mittlerweile sind die meisten Spieler zurück, fallen nicht mehr Akteure aus als anderswo, und auch im Europacup ist man ausgeschieden. Trotzdem gewinnt die Austria nicht. Es wirkt mittlerweile seltsam, wenn Sportdirektor Franz Wohlfahrt verwundert darauf verweist, dass die Spieler den Ernst der Lage nicht begreifen. Fast mitleidig betonte er zuletzt, dass der Mannschaft doch jeder Wunsch erfüllt werde, die Spieler aber nicht mit guten Leistungen danken. Was niemand erwähnt: Die Gegner haben das ausrechenbare Spiel der Austria durchschaut. Der Masterplan muss getauscht werden.
Offiziell dominieren derzeit bei beiden Wiener Vereinen viele Ausreden.
Ähnliches Bild beim Stadtrivalen: Auch Rapid will das Spiel dominieren. Das ist grundsätzlich richtig. Gegen die vielen Dorfklubs von Altach bis Mattersburg sollte man forsch auftreten. Doch während Rapid mit zu wenig Tempo und zu viel Ausrechenbarkeit das Spiel aufbaut, setzen die Gegner zumeist auf giftige Kontermomente. Schon Ex-Trainer Zoran Barisic scheiterte daran, die ballbesitzorientierte Spielweise detailreich zu verfeinern. Und auch der aktuelle Coach Goran Djuricin kann sein Team seit Monaten nicht entscheidend weiterentwickeln. Nach den Spielen beklagen sich Vereinsvertreter über vergebene Chancen, unfähige Stürmer und gemeine Schiedsrichter, nicht aber über die Spielweise, die zwar viel Ballbesitz, aber zu wenige zwingende Momente bringt.
Offiziell dominieren derzeit bei beiden Wiener Vereinen viele Ausreden. Der Rapid-Sportchef ärgerte sich beispielsweise über Spieler, die dominant am Verhandlungstisch agieren, aber devot am Feld. Auch Austria-Sportdirektor Franz Wohlfahrt schlägt regelmäßig ähnliche Töne an. Letztens schienen aber gar bei ihm erste Zweifel an der These mit dem fehlenden Einsatzwillen der Kicker aufzukommen. Nach der Heimniederlage gegen den LASK vor zehn Tagen klang die Kritik eher so, als ob Wohlfahrt auch in der Spielweise ein Problem erkannt hätte. Etwas verzweifelte meinte er: „Ich verlange auch von den Spielern, selbst wenn sie jung sind, dass sie taktisch etwas verändern. Dann kann ich eben nicht immer rausspielen oder auf den Seiten Spieler suchen, der unter Druck gesetzt wird. Man muss einmal flexibel sein und auch einmal über die Vorgaben nachdenken. Ich verlange von jedem Spieler, dass er eine eigene Meinung hat." Aber was meint der Sportdirektor mit seinem Aufruf? Die Spieler müssen sich künftig den Vorgaben des Trainers widersetzen und spielen, was sie für richtig halten? Wenn die Spieler aber die Konzepte des Trainers boykottieren sollen, wäre es dann nicht sinnvoller den Coach zu tauschen?
Baustelle 2: Personalentscheidungen
Aber die Vergangenheit zeigt: selbst ein Wechsel auf der Betreuerbank ist kein Selbstläufer. Wenn die Wiener den Trainer tauschen, entsteht zumeist schon die nächste Fehlerkette. Das einst einfache Fußballspiel ist komplex geworden. Schon die bloße Bestellung eines Trainers will gut durchdacht sein. Lange sahen sich die Wiener Vereine als Familie und setzten einen ehemaligen Spieler nach dem anderen auf die Trainerbank. Das funktionierte mal gut, dann wieder nicht. Hickersberger, Pacult und Stöger wurden gar Meister. Trotzdem war es ein strategisch wenig durchdachtes Lotteriespiel. Denn zumeist folgte ein wilder Hund auf einen phlegmatischen Zauderer oder umgekehrt. Mehr Wesensmerkmale als Strategien der potentiellen Betreuer standen im Zentrum der Analysen. Auch eine lange verfolgte Idee: Den Mann holen, der gerade mit einem kleine Klub eine große Punkteausbeute erzielt. Georg Zellhofer trainierte nach seinen Erfolgen in Pasching Rapid und die Austria. Gerald Baumgartner durfte nach St. Pölten bei der Austria ran. Und Damir Canadi erhielt nach der überraschenden Tabellenführung mit Dorfklub Altach seine Chance bei Rapid. Die Logik dahinter: Wer mit einem armen Provinzverein so weit vorne sein kann, muss doch mit den millionenschweren Wienern durch die Decke gehen. Zellhofer, Baumgartner und Canadi scheiterten bei den Großklubs, weil man dort dominanten Ballbesitzfußball spielen möchte, die Außenseiter-Coaches aber auf Konterfußball spezialisiert waren. Heißt konkret: Nicht jeder Coach funktioniert bei jedem Klub. So würde der neue Sturm-Trainer Heiko Vogel mit seinem Ballbesitzfetisch wohl besser zu einem Wiener Verein als nach Graz passen, wo man bislang eher (reaktiven und durchaus erfolgreichen) Umschaltfußball forcierte.
Doch die Personalentscheidungen werden jedes Mal aufs Neue holprig gefällt. Rapid hat ein besonders intensives Jahr hinter sich. Im Zeitraffer: Der Sportdirektor wirft den Trainer hinaus und holt seinen deutschen Kumpel als Nachfolger – mit der Begründung: „alternativlos“. Der Präsident schmeißt nach ausbleibendem Erfolg Sportdirektor und Trainer hinaus und sucht den neuen Coach selbst, danach erst bestellt er einen neuen sportlichen Leiter. Der neue Trainer wird kurz darauf auch beurlaubt. Der neue Sportdirektor lässt dessen Co-Trainerteam weiter werken. (Man muss ja nicht noch mehr Geld innerhalb eines Jahres verbrennen.) Weil sich aber alle weiterhin nicht sicher sind, ob die Neuerungen auch sinnvoll sind, holt der Verein den ehemaligen Rapid-Meistermacher Josef Hickersberger aus dem Ruhestand zurück. „Hickersberger kann Berichte von Sportvorstand Fredy Bickel anfordern, muss bei strategischen Entscheidungen eingebunden sein und kontaktiert werden“, schrieb der für gewöhnlich gut informierte Rapid-Insider Peter Linden. Sprich: Ein Klub mit 44 Millionen Euro Umsatz holt eine Rapid-Legende ehrenamtlich zurück, damit die einen strengen Blick auf alles wirft, weil die Führungsetage nicht mehr so recht an die eigene Fachkompetenz glaubt. Das klingt nicht nach der ausgefeilten Strategie eines millionenschweren Wirtschaftsbetriebs, sondern nach verzweifelter Vereinsmeierei.
Aktuell wird seit Monaten biederer Fußball geboten, mit überschaubaren Erfolgen, unter oft hilflos anmutenden Zurufen der Sportchefs.
Ähnlich werden Personalentscheidungen bei der Austria getroffen. Vereinslegende Herbert Prohaska empfahl seinen Freund, die Vereinslegende Franz Wohlfahrt als Sportdirektor, obwohl der nie zuvor in dieser Position werkte und sein Konzept bis heute nicht erklärt hat. Vielmehr als Stückwerk ist nicht vorhanden. Jetzt wurde Wohlfahrts Vertrag um drei Jahre verlängert. Dabei scheint wenig Nachhaltiges entwickelt. In der letzten Saison schaffte es der Verein aufgrund der grob strauchelnden Konkurrenz noch auf Platz zwei, obwohl man jedes dritte Spiel verlor. Heuer geht gar nichts mehr. Wohlfahrts Analysen drehen sich im Kreis. Mal rügt er Spieler oder beklagt Verletzungen. Auch Trainer Thorsten Fink wusste nach der Niederlage gegen Mattersburg nicht mehr so recht, wohin er flüchten soll. Hält die Misere der Wiener Klubs an, werden beide bald wieder einen neuen Trainer suchen. Und damit beginnt zumeist das Chaos.
Dabei wäre alles gar nicht so schwer zu strukturieren: Rapid und Austria wollen dominant sein und den Ball haben. Der Trainermarkt ist mittlerweile leicht zu durchleuchten. Die Grundfrage müsste logischerweise lauten: Wer kann einer Mannschaft ein variantenreiches Offensivspiel verpassen?
Soll ein neuer Trainer her, heißt es aber zumeist: Herzog oder Kühbauer, Ausländer oder Inländer, Taktiker oder Praktiker. Die fehlende Akribie bei Personalentscheidungen lässt die Wiener Vereine auf der Stelle treten. Dazu verwehrt man sich seit Jahren jeglicher Nachhaltigkeit. Sportdirektor Franz Wohlfahrt betonte schon zu Beginn seiner Amtszeit, keine klare Philosophie zu verfolgen. Auch Rapids Sportchef, der Schweizer Fredy Bickel, hielt anfangs fest, dass eine Spielphilosophie von ihm nicht forciert werde, sondern der Charakter der Spieler und eine gute Jugendarbeit ausschlaggebend seien. Das ist alles legitim. Aber aktuell wird seit Monaten biederer Fußball geboten, mit überschaubaren Erfolgen, unter oft hilflos anmutenden Zurufen der Sportchefs. Die großen Visionen oder zumindest ein nachhaltiger Plan wurden nicht kundgetan.
Dabei waren die Wiener Vereine nach langem mal wieder richtig mutig: In der letzten Saison wollte Rapid Meister werden, heuer die Austria. Das bisherige Ergebnis: Rapid spielte letztes Jahr kurzfristig gar gegen den Abstieg und sitzt aktuell im Mittelfeld fest. Die Austria könnte heuer zum vierten Mal in den letzten sieben Spielzeiten den Europacupstartplatz verpassen. Jedes Jahr stürzt ein anderer Wiener Verein komplett ab. Derzeit spielen die Armenhäusler-Vereine von Mattersburg über Linz bis in die Südstadt den flotteren Kick.
Der Wiener Fußball zeigt, dass Geld nicht automatisch Fußball spielt. Der Wiener Fußball zeigt aber auch, wie wichtig weiterhin die richtige Strategie im Fußball ist.