Im Gegensatz zu jener 100 Kilo schweren Goldmünze, die 2017 tatsächlich aus dem Berliner Bode-Museum geklaut wurde, sieht dieses Teil richtig handlich aus.
Marvin Kren
Dass ein solches Ding durch eine Sicherheitslücke ungeniert aus einem Museum gestohlen werden konnte, war natürlich eine Inspiration. Der Gerichtsprozess war ja mitten in der Corona-Zeit. Tatsächlich habe ich dann auch einen Anruf aus dem Gefängnis während unserer Vorbereitungszeit für „Crooks“ bekommen. Am anderen Ende meldete sich einer aus dem einschlägig bekannten Clan und sagte nur sowas wie „Ich habe gehört ihr recherchiert wegen einer Münze. Das ist nicht optimal wegen der Reintegration meiner Familie.”
Wie reagiert man auf solche Anrufe?
Kren
Auflegen. Ich hab da keine Angst. Es gibt auch keinen Grund, mir gefährlich zu werden. Ich habe ja durch meine Recherchen für „4 Blocks“ nahezu eine Magisterarbeit über die arabischen Clans in Berlin geschrieben. Über Kontakte zu Taxifahrern, Schauspielern, Kleindarstellern und Kaffeehausbesitzern konnte ich da hineinriechen. Das ist alles weniger wild, als man glauben möchte. Da sitzt du dann in der Shisha-Bar mit den schweren Jungs. Und die sind richtig hungrig, ihre Räuber- und Cowboy-Geschichten auszupacken. Dieser Schatz liegt schließlich vor dir wie ein offenes Drehbuch, du musst ihn exportieren und mit anderen Zutaten anreichern. Das ist auch das Faszinierende an solchen Ganoven: Sie stilisieren sich zu Filmfiguren, zimmern ihre eigenen Legenden.
In „Crooks“ prallen mehrere Gangsterwelten und Clans aufeinander: die Wiener, die Berliner, durchsetzt mit Arabern und Türken, die Franzosen in Marseille…
Kren
Ich hatte nach „4 Blocks“ und „Freud“ Lust auszubrechen und nicht nur auf einem Schauplatz zu verharren. „Crooks“ ist ja nicht nur ein Gangsterepos, sondern auch ein Roadmovie über Freundschaft. Inspiriert wurde ich von dem frühen Claude-Sautet-Film „Der Panther wird gehetzt“ mit Lino Ventura und Jean-Paul Belmondo. Bei all den geschilderten Gangstermilieus ist es meinen Co-Autoren Benjamin Hessler und Georg Lippert sowie mir extrem wichtig, dass die Figuren, ihre Codes, ihr Styling und ihre Sprache stimmen. Wir erzählen keine Klischees, wir bedienen uns nicht irgendwelcher Schablonen. Das ist authentisch. Der Zuschauer soll das Gefühl haben
Eine besondere Qualität hat das schillernde Typenpanoptikum in „Crooks“ – mit Schauspielern wie Christoph Krutzler, Georg Friedrich und vielen mehr. Wie schwierig war es, solche international eher unbekannten Darsteller bei einer internationalen Serie durchzusetzen?
Kren
Ich hatte das Vertrauen sowohl von Netflix als auch von meinen Produzenten (Anm. Quirin Berg und Max Wiedemann). Das oberste Gesetz ist, dass der oder die die Figur tragen können. Ich liebe Schauspieler:innen, deren Gesichter vom Leben und Überleben erzählen und die das auch in ihr Spiel übertragen können. Wenn sie dann auch noch die entsprechende Technik drauf haben, dann ist das der Heilige Gral der Schauspielkunst.
Die gewaltintensiven Bilderräusche, die sich durch alle acht Folgen ziehen, sind sehr intensiv, manchmal verstörend. Wie zum Beispiel das Bild eines brennenden Menschen, der an ein Pferdefuhrwerk gebunden durch die Trabrennbahn in der Krieau geschleift wird. Erschrecken Sie manchmal selber vor Ihren Visionen?
Kren
Kann vorkommen. Ich bin natürlich kein gewalttätiger Mensch. Aber von Gewalttaten geprägte Fantasien zu gestalten, zu transportieren und sie so auszuleben, ist Teil der Kunst und des künstlerischen Prozesses. Denken wir nur an die Bilder von Hieronymus Bosch. Das stellvertretende Ausleben kann für die Zuschauer zu einer kathartischen Erfahrung werden. Der Konsum von Horrorfilmen erzielt eine ähnliche Wirkung. Wenn wir den Protagonisten eines Horrorfilms, der angsterfüllt einen dunklen Gang entlang geht, sehen, können wir durch das Mitfühlen seiner Ängste unsere eigenen ausleben.
So gesehen hat Film eine therapeutische Wirkung.
Kren
Das kann ich nur hoffen.
In der Serie ist man mit dem, was gemeinhin unter toxischer Männlichkeit verstanden wird, ausufernd konfrontiert.
Kren
Ja, es ist eine Reise in die Niederungen einer sehr destruktiven, maskulinen Gewalt. Einer Gewalt, die nichts Produktives erzeugt, sondern nur negative Energie ausstößt. Ich erinnere mich genau daran, als ich einmal bei meinen Recherchen zu „4 Blocks“ mit ein paar Ganoven in einem Auto gesessen bin, um ein paar andere Ganoven zu verfolgen. Ich wollte einmal einfach bei so einer Aktion dabei sein. De facto saßen wir drei, vier Stunden in der Karre, und es ist nicht wirklich was passiert. Als ich abends allein nach Hause ging, war ich völlig geschlaucht von dieser destruktiven Energie. Einer Kraft, die nichts schöpft oder produziert, sondern nur zerstört. Die Essenz dieser destruktiven Kraft wollte ich in „Crooks“ porträtieren.
Zerstörerische Kräfte wie Machtmissbrauch und psychische Gewalt hinter der Kamera sind nach der NDR-Dokumentation „Gegen das Schweigen“ ein großes Thema.
Kren
Dieser Diskurs ist eine extrem wichtige und wertvolle Medizin, die das Immunsystem unserer Branche aufbricht. Und längst überfällig.
In „Crooks“ spielt Kida Khodr Ramadan eine kleine Rolle, der in der besagten Dokumentation als Täter offengelegt wurde. Und sich danach öffentlich entschuldigte.
Kren
Ich habe mit Kida Khodr Ramadan auch bei der ersten Staffel von „4 Blocks“ gearbeitet, wo noch nichts von solchen Vorwürfen bekannt war. Es gab und gibt bei den Produzenten Wiedemann & Berg sowie Netflix strenge Verhaltenskodex-Auflagen, an die sich alle halten müssen.
Der Beruf des Regisseurs ist eine Machtposition, was per se gefährlich werden kann.
Kren
Die Verantwortung für ein großes künstlerisches Projekt kann natürlich zu Machtmissbrauch verleiten. Wir alle sind noch so sozialisiert worden, dass ein Regisseur oder eine Regisseurin der unwidersprochene Oberhäuptling der Kunst zu sein hat. Aber das ist überhaupt nicht notwendig. Ich kontrolliere mich ständig. Und der Gesichtsausdruck meiner Crew als Spiegel ist die beste Kontrolle. Es ist überhaupt kein geiles Gefühl, Leute kleinzumachen. Ein Filmset ist ein Ort, wo sich alle sicher fühlen sollten. Wo sich alle vertrauen und trauen sollten, den Mund aufzumachen. Wenn du das nicht kapierst, sitzt du irgendwann nur mehr allein am Tisch mit deinem Bier. Und dann kann es irgendwann sehr einsam werden.