In den 1980er-Jahren galt der Greifvogel in Österreich als ausgestorben – inzwischen sind die Aussichten besser. Wenn da nicht die Wilderer wären.
Gesellschaft

Wilderei in Österreich: Der Fall des verschwundenen Rotmilans

Immer wieder verschwinden in Österreich Rotmilane und andere seltene Greifvögel. Es ist von Gewaltverbrechen auszugehen. Das Landeskriminalamt ermittelt.

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Ende März kam Torekov_01 nach Österreich. Das war ein Fehler. Der junge Rotmilan war auf dem Weg von seinem Winterquartier in Frankreich zurück nach Skandinavien, wo er im Jahr zuvor geboren wurde. Weil der Greifvogel einen Sender trug, kennt man seine Bewegungen: Am 28. März erreichte er den Bezirk Braunau in Oberösterreich und hielt sich danach im Grenzgebiet der Gemeinden Auerbach und Feldkirchen bei Mattighofen auf. Am 5. April verschwand Torekov_01 schließlich, und das wahrscheinlich nicht auf natürliche Weise. Wäre das hier ein Kriminalroman, es würde jetzt heißen: Es ist von einem Gewaltverbrechen auszugehen.

Irgendjemand hat Torekov_01 auf dem Gewissen, und sein Schicksal ist kein Einzelfall. Vor allem in Ober- und Niederösterreich kommt es immer wieder zu illegalen Tötungen von Greifvögeln und anderen seltenen Beutegreifern. Sie werden geschossen oder verenden qualvoll an Giftködern. Für das Überleben der seltenen Tiere, teilweise bis vor Kurzem in Österreich ausgestorben, kann schon der Wegfall von einzelnen Exemplaren eine Katastrophe sein. Ganz allgemein gilt: Wilderei – oder besser: Wildtierkriminalität – ist auch hierzulande ein Thema.

Der Fall des Rotmilans, der im Innviertel sein Ende fand, stellt auch erfahrene Vogelschützer vor Rätsel. Zwar wurde der Sender gefunden, der dem Greifvogel zugeordnet war – im Rahmen des Projekts „Life Eurokite“ werden so viele europäische Rotmilane wie möglich bereits im Nest besendert –, aber der Kadaver war der falsche.

Jemand hatte den Sender von dem (toten) Rotmilan gelöst, an dem Gerippe einer Haustaube befestigt und diese schließlich im Gras abgelegt. „Das ist sehr ungewöhnlich“, sagt Johannes Hohenegger von der NGO Birdlife, die das Gerippe mit dem Sender aufspürte. Dass Sender ohne Kadaver wieder auftauchen, komme vor, aber so ein Fall sei neu. „Meine persönliche Vermutung ist, dass uns der Täter etwas mitteilen wollte.“ Aber was?

Rotmilan-Sender auf Taubenskelett

„Der Täter will uns etwas mitteilen“, glaubt Johannes Hohenegger von Birdlife. Aber was? 

Wenn der Rotmilan nicht gerade die traurige Hauptrolle in einem Kriminalfall spielt, ist er ein rostroter Vogel mit einem gegabelten Schwanz und einer Flügelspannweite von ungefähr 160 Zentimetern. Er ernährt sich vor allem von Kleinsäugern, Vögeln und Aas. In den 1980er-Jahren galt der Vogel in Österreich als ausgestorben, heute sind seine Aussichten nicht schlecht. Man geht wieder von etwa 200 Brutpaaren in Österreich aus, vor einigen Jahren waren es nur 130. Die intensive Grünlandnutzung bietet dem Vogel mehr Jagdgebiete, und durch den Klimawandel und die nicht mehr geschlossenen Schneedecken muss er im Winter nicht mehr zwingend wegziehen. Es könnte alles so schön sein, wenn da nicht die illegalen Tötungen wären.

Fallzahlen im Sinkflug

Die illegale Verfolgung von Greifvögeln ist kein Massenphänomen, aber sie wirft die teuren und aufwendigen Wiederansiedlungsprojekte immer wieder zurück. Seit 2017 fielen in Oberösterreich 13 Rotmilane illegaler Verfolgung zum Opfer, allein fünf im Jahr 2020. „Es gehört zur natürlichen Entwicklung dazu, dass Tiere nicht überleben“, sagt Christina Wolf-Petre, Artenschutzexpertin beim WWF. „Aber jeder Abschuss und jede Vergiftung kommt auf diese natürliche Mortalität noch einmal oben drauf.“ In Oberösterreich nimmt die Zahl der Fälle tendenziell zu. Das hat aber auch schlicht damit zu tun, dass es heute mehr Rotmilane zum Vergiften gibt und das Thema mediale Aufmerksamkeit bekommt, wodurch Funde eher gemeldet werden. Auf Gesamtösterreich gerechnet gehen die Vogelschützer eher von einem Rückgang der illegalen Tötungen aus. Vor allem in Niederösterreich, wo neben den Rotmilanen auch die seltenen Kaiseradler langsam wieder Fuß fassen, sanken die Fallzahlen in den vergangenen Jahren. Das war nicht immer so: Als Birdlife 2016 begann, in Zusammenarbeit mit dem WWF die Wiederansiedlung des Kaiseradlers zu betreuen, kam noch ein Drittel der besenderten Tiere illegal zu Tode. Eine Zahl, die auch die Organisationen schockierte. „Uns war vorher nicht bewusst, wie groß das Problem ist“, sagt Johannes Hohenegger.

So eine Vergiftung funktioniert prinzipiell sehr einfach: Ein Stück Fleisch – von der Hühnerbrust bis zum vollständigen Hasen – wird mit einem Insektizid gesalzen und ausgelegt. Häufig kommt dabei Carbofuran zum Einsatz. Es ist auch für Wirbeltiere in geringen Dosen tödlich und erst seit 2013 in der gesamten EU verboten, wodurch es noch große Restbestände gibt. Der Rotmilan lässt sich leider leicht vergiften: Er nimmt sehr gern Aas und ist dementsprechend gut darin, die Giftköder zu finden. Manche Köder sind eigentlich für Füchse oder Marder gedacht und werden vom Vogel eher zufällig gefressen. Andere sind so ausgelegt, dass das Ziel nur ein Greifvogel sein kann.

Juristisch ist die Sache mit der „Wilderei“ ein wenig kompliziert. Hinter dem Alltagsbegriff verbergen sich verschiedene Tatbestände. „Wilderei ist der Eingriff in fremdes Jagdrecht, also die illegale Jagd in einem fremden Revier“, sagt Sylvia Scherhaufer, Generalsekretärin des Niederösterreichischen Jagdverbands. „Das andere ist der Eingriff in den streng geschützten Tier- und Pflanzenbestand. Das muss man unterscheiden.“ Fachleute sprechen deshalb auch lieber von „Wildtierkriminalität“. Von strafrechtlicher Bedeutung sind dabei vor allem der §222 („Tierquälerei“) und der §181f StGB („Vorsätzliche Schädigung des Tier- oder Pflanzenbestandes“). Ersterer kommt bei illegalen Tötungen von Wildtieren immer zum Tragen, Letzterer nur bei besonders geschützten Arten wie eben dem Rotmilan. „Wilderei hat es immer gegeben und wird es immer geben“, sagt Scherhaufer, „umso wichtiger ist eine konsequente Strafverfolgung.“

Der Hauch der Rebellion

Die Geschichte der Wilderei geht tatsächlich sehr lange zurück. Bis ins 9. Jahrhundert hinein hatte jeder Bauer – nach germanischer Rechtstradition – das Recht, dem Wald für den persönlichen Gebrauch Wild zu entnehmen. Erst später schwenkte man auf das römische Recht um, das den König beziehungsweise die Feudalherren zum Eigentümer des Waldes machte. Danach hatten Bauern keine Möglichkeit mehr, sich legal mit Fleisch von Wildtieren zu versorgen. Manche taten es trotzdem, unter Androhung hoher Strafen. Das ist der Grund, warum die Wilderei lange der Hauch von Rebellion umwehte: Der Wilderer war einer, der sich gegen die Obrigkeit auflehnte. Das hielt bis in die Erste Republik an. „Nach dem Ersten Weltkrieg diente die Wilderei in Österreich noch zur Fleischversorgung“, sagt Fritz Kammerhuber, Obmann des Vereins, der im oberösterreichischen Molln ein Wildereimuseum betreibt. „Leute wilderten tatsächlich aus Not und Elend und schossen hauptsächlich Rotwild.“ Das führte teilweise zu blutigen und sehr unromantischen Zusammenstößen mit den Behörden. In Oberösterreich gipfelte es in der „Wildererschlacht von Molln“: Zwischen Oktober 1918 und März 1919 wurden sechs Wilderer von der Polizei erschossen. Auch heute noch entlädt sich die Spannung zwischen bewaffneten Wilderern und der Polizei in Einzelfällen in Gewalttaten. Im Jahr 2013 erschoss ein Wilderer bei Annaberg drei Polizisten, einen Sanitäter und nahm sich anschließend selbst das Leben.

Solche Extremfälle sind zum Glück sehr selten. Für die Polizei ist mehr die mangelnde Redebereitschaft der Jäger ein Problem, weniger ihre Gewaltbereitschaft. „In der Jägerschaft stößt man, wie überall, erst mal auf einen Korpsgeist“, sagt Othmar Coser. Wenn es so etwas wie einen „typischen“ Menschen gibt, der Greifvögel erlegt, dann müsste Coser ihn kennen: Er ist Leiter der Abteilung Umweltkriminalität im Landeskriminalamt Oberösterreich, kurz vor der Pension, und setzt sich seit über 30 Jahren zwangsläufig mit illegalen Tötungen von Wildtieren auseinander. „Die Täter, die wir überführt haben, waren in der Regel im Besitz einer aktiven Jagdkarte“, sagt Coser. Der Täter habe zudem fast immer einen örtlichen Bezug. Es seien insofern auch keine „klassischen“ Wilderer, weil sie an der Jagdbeute selbst, also dem Vogel, meist kein Interesse zeigen. Es gehe nicht um die Trophäe, sondern um den Greifvogel als Jagdkonkurrenten. „Wobei mir noch niemand schlüssig erklären konnte, warum ein Jäger in Konkurrenz zu einem Rotmilan steht.“

Die Polizeiarbeit in diesem Bereich ist nicht einfach, die Aufklärungsquote bei illegal getöteten Wildtieren liegt bei unter 50 Prozent. Es gibt kaum Zeugen, und wenn doch, reden sie nicht. Oft fehlt mit dem Kadaver sogar das wichtigste Beweisstück. Die gesetzlichen Möglichkeiten seien im Grunde ausreichend, sagt Coser. Er würde sich nur wünschen, dass die Bezirksverwaltungsbehörden als zuständige Jagdbehörden verwaltungsrechtliche Maßnahmen nicht immer von einem Urteil eines Strafgerichts abhängig machten. „Der Entzug der Jagdkarte tut dem Täter oft mehr weh als eine Diversion.“

„Nur unerhebliche Auswirkungen“

Auch wenn die gesetzlichen Möglichkeiten schon jetzt vorhanden sind, tut sich an der juristischen Front noch immer etwas. Im August 2022 beschlossen das Bundesministerium für Justiz (BMJ) und das Bundesministerium für Klimaschutz (BMK) einen Erlass zur Strafverfolgung bei Wildtierkriminalität, den NGOs als „Meilenstein“ bezeichnen. Bei dem oben bereits erwähnten §181f, der „Vorsätzlichen Schädigung des Tier- oder Pflanzenbestandes“, gibt es nämlich ein Problem. Zwar drohen bei einem Verstoß bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe, allerdings gilt das ausdrücklich nicht, wenn die Schädigung eine „nur unerhebliche Menge der Exemplare“ betrifft und das „nur unerhebliche Auswirkungen“ auf den Erhaltungszustand hat. Diese Einschränkung stellte die Behörden bei der Verfolgung immer wieder vor Probleme: Bei einzelnen Tötungen, selbst wenn es seltene Kaiseradler waren, sahen Gutachter in den Verfahren diese Schwelle oft nicht erreicht. Birdlife konnte in einer Studie für das BMK allerdings zeigen, dass bei sehr kleinen Populationen schon die Entnahme eines Vogels große Auswirkungen haben kann. Für jede geschützte Vogelart wird im Erlass eine „Erheblichkeitsschwelle“ definiert, ab der davon ausgegangen werden kann, dass der §181f erfüllt ist. „Das ist ein wichtiger Schritt“, sagt Christina Wolf-Petre. „Der Erlass gibt Staatsanwälten und Richtern jetzt etwas, an dem sie sich orientieren können. Da hat es sehr viel Unklarheit gegeben.“

Der Fall Torekov_01 ist mit Redaktionsschluss nicht aufgeklärt, Wellen hat er in Oberösterreich aber bereits geschlagen. Das Landeskriminalamt – also Othmar Coser und seine Abteilung – hat die Ermittlungen übernommen; die Braunauer Jäger haben ebenso wie die Mitarbeiter des Life-Eurokite-Projekts angekündigt, sich an der Aufklärung beteiligen zu wollen. Die Grünen im Landtag bereiten eine Parlamentarische Anfrage vor. Das Rätsel um das Verschwinden des Vogels und das Taubengerippe mit dem Sender am Bein soll gelöst werden. Auch als ein Zeichen dafür, dass Rotmilane in Oberösterreich kein Freiwild sind.