Wintersuppen: Wo steckt der Löffel?
Alle Wege führten immer schon nach Rom. Und entlang dieser Wege lagen in überschaubaren Abständen immer schon Gaststätten und Klöster. Die Pilger auf dem Weg in die Ewige Stadt bekamen dort Kost und Logis; wer beteuerte, arm zu sein, zahlte nichts. Und das beteuerten nicht wenige, also musste die Bewirtung auch kosteneffizient sein. Deshalb gab es meist Suppe, und zwar Gemüsesuppe, zu einem nicht unwesentlichen Teil aus selbst gesammelten Wildpflanzen und Kräutern. Die minestra prägte die Küchen des noch lange nicht vereinten Sehnsuchtslandes Italien; die Etymologie debattiert heute noch über die genaue Herkunft des Wortes: Es dürfte nachvollziehbar vom lateinischen ministrare (dienen, aufwarten, sich kümmern) stammen, aber zusätzlich noch bedeuten, dass es sich um vermischtes Allerlei, also Mischmasch, handelt. Und das ist von Region zu Region etwas ganz anderes, einmal mit, dann wieder ohne tierische Komponenten. Im Norden Italiens, von den Karnischen Alpen bis zum Triestiner Karst, dominiert die Jota-eine dicke Suppe mit Kraut, Kohl, Hülsenfrüchten, Kartoffeln und Selchrippen bzw. einem mitgekochten Stück Prosciuttoknochen. Die Jota ist identitätsstiftend; in Triest gibt es sogar die Redewendung andemo a iota: Lass uns essen gehen.
Über Liguriens frisch-kräuterduftige Gemüsesuppen, die brotlastigen der Toskana, die käsigen der Emilia Romagna führen die Suppenströme Richtung Süden zur virtù in den Abbruzzen, die traditionell mit sieben frischen und sieben getrockneten Gemüsen gekocht wird, zur zuppa di cicoria, die im napolitanischen Karneval eine deftige Grundlage für schwere Rote bildet, zur sizilianischen minestra di San Giuseppe mit Kastanien und den Klima und Kulturgeschichte der Insel spiegelnden Suppen mit den aus dem Orient stammenden Kichererbsen.
Vermutlich ist Gemüsesuppe eine der ältesten gekochten Speisen: Pflanzen, Wasser, Feuer. Das machte sie weltweit zu einem der wichtigsten Nahrungsmittel der sogenannten Arme-Leute-Küche, zumal sie auch schon etwas mitgenommene Lebensmittel einem schmackhaften Zweck zuführt; seien es welke Blätter, verschrumpelte Wurzeln oder altbackenes Brot. Aber was haben sie daraus wieder gemacht, unsere südlichen Nachbarn? Mahlzeiten, die Körper und Seele wärmen und virtuos mit aromatischen Harmonien spielen.
Meine Lieblingssuppe ist die ligurische minestrone; das Wort ist gewissermaßen das Augmentativ der kleinen minestra und deutet ihre satte Üppigkeit bereits an. Das Gemüse dafür kann saisonal abgewandelt werden. Derzeit wähle ich (für einen Topf, an dem sich 6 Personen bedienen können) 250 g Fisolen, 1 Stange Lauch, 1 gute Handvoll Karotten, gelbe Rüben und Staudensellerie (zu gleichen Teilen gemischt und in etwa 1 cm große Stücke geschnitten),300 g ebenfalls in 1 cm große Würfel geschnittene Kartoffeln und 1 in kleine Röschen geschnittenen Karfiol; alternativ oder zusätzlich passen auch Brokkoli, Zucchini, Knollensellerie oder frische bzw. getrocknete Bohnen (weiße oder Borlotti).
Dann kommt die Hitze; man muss an dieser Stelle erwähnen, dass die minestrone kein zartes Süppchen mit knackigem Gemüse ist, sondern eine eingedickte Urgewalt mit weich gekochten Pflanzen, in der sprichwörtlich der Löffel steckenbleibt. Ich stelle einen großen Topf mit 2,5 Liter Wasser zu, lasse es aufkochen und gebe Lauch, Karotten, gelbe Rüben, Staudensellerie und Kartoffeln hinein. So köchelt das Gemüse 10 Minuten vor sich hin, dann folgen Fisolen und Karfiol und nach weiteren 10 Minuten 200 ml polpa di pomodori und 1 Schuss bestes Olivenöl. Jetzt kommt der Deckel auf den Topf, und während die Suppe sich bei kleiner Hitze etwa 20 Minuten langsam eindickt, mörsere ich schnell ein Pesto Genovese herbei: 1 Bund Basilikum grob zerreißen, in einen großen Granitmörser geben und unter periodischer Zugabe von insgesamt 1 EL grobem Meersalz und 1/8 Liter gutem Olivenöl (diese Menge kann leicht variieren) gemeinsam mit 2 zerdrückten Knoblauchzehen und 3 EL Pinienkernen zu einer groben Paste quetschen; gegen Ende 5 EL geriebenen Parmesan und-wenn vorhanden-3 EL Pecorino Sardo untermischen, oder eben 8 EL Parmesan.
Nach 20 Minuten schmecke ich mit Salz ab und gebe die gewünschte Pasta zur Suppe. Ich empfehle als kleinen Kulturbruch die griechischen Kritharaki - etwa 200 g davon (Kochzeit laut Packungsangabe).Zum Schluss würze ich mit frisch gestoßenem Pfeffer und Olivenöl. Und im Teller erfährt die minestrone ihre Vollendung mit je 1 EL Pesto und geriebenem Parmesan.