König des Kelterns: Star-Winzer Timothy Mondavi im Interview
Die Fotolampe heizt das Hinterzimmer eines Edelwirtshauses im 4. Wiener Gemeindebezirk. Timothy Mondavi zieht sein Jackett aus. Darunter trägt er ein gut geschnittenes Hemd, von dessen Kragen eine Hermès-Krawatte baumelt. Am Arm eine Apple-Watch der ersten Generation. Bequeme Hose, robuste Lederschuhe. Besondere Kennzeichen: keine. Zwei Stunden zuvor ließ der kalifornische Önologe und Weinmacher acht österreichische Weinjournalisten und Blogger mehrere Jahrgänge seines besten Weins kosten: die Rotwein-Cuvée "Continuum Sage Mountain". Eine Flasche dieser flüssigen Delikatesse kostet rund 240 Euro. Wenn man sie in einem richtig temperierten Keller zehn Jahre liegen lässt, kann man im Wiederverkauf gut das Doppelte einstreichen. Abzüglich Inflation und Abgaben bringt das eine bessere Rendite als die meisten Immobiliendeals. Mondavi füllt von Sage Mountain jährlich rund 40.000 Flaschen ab. Dazu kommen weitere 100.000 Flaschen andere auf Continuum gekelterte Weine -die meisten davon tragen das Etikett des günstigeren Zweitweins "Novicum". 140.000 Flaschen mögen für österreichische Weingüter viel sein, für kalifornische Weingüter ist es wenig. Für Mondavi ist es nichts.
Vor 15 Jahren verbrachte Mondavi die meisten seiner Tage im Flugzeug und schlief die meisten Nächte in Hotels. Das Imperium seines 2008 hochbetagt verstorbenen Vaters Robert, der von der Familie immer noch als "Patriarch" bezeichnet wird, umfasste mehrere Weingüter in Kalifornien und im Rest der Vereinigten Staaten. Dazu kamen Beteiligungen an renommierten Betrieben in Chile und der Toskana. Tim Mondavi war Chefönologe einer weltweit agierenden Wein-AG und zeichnete für Spitzenweine wie Ornellaia (Toskana) und Opus One (Kalifornien) mitverantwortlich. Zusammengezählt erhielten seine Kreationen Jahr für Jahr Tausende Parker-Punkte; der Konzern brachte nach jeder Ernte alleine aus der US-Produktion zwischen 90 und 120 Millionen Flaschen auf den Markt. Mondavis Vorstellung davon, wie man Weine zu keltern habe, kam selbst im Mittelburgenland an, wo man vor dem Comeback der autochthonen Sorte Blaufränkisch hektarweise Cabernet-Sauvignon, Merlot und Syrah auspflanzte und in Frankreich Hunderte Barriquefässer orderte.
Tim Mondavi galt damals als der einflussreichste und bedeutendste Weinmacher des Planeten. Mondavi, das war die royal family der Weinwelt, "Falcon Crest" im wirklichen Leben. In ein Hinterzimmer wie dieses hätte Mondavi früher keinen Fuß gesetzt - schon gar nicht, um seine Weine vor wenig einflussreichen Weinbloggern und Regionaljournalisten zu präsentieren. Heute macht er das aus Freundschaft zu seinem Importeur, aber auch, um sich wieder in Erinnerung zu rufen -und schlicht und einfach, weil er Zeit hat.
Die Marke Mondavi ging der Familie im November 2004 verloren. Sie verkaufte nach Umsatzeinbrüchen, die den Anschlägen vom 11. September 2001 zugeschrieben wurden sowie einem gescheiterten Projekt in Südfrankreich, das Tim zu verantworten hatte, ihre Anteile an Grund, Boden, Kellereien und Beteiligungen für 1,38 Milliarden Dollar (davon 1,03 Milliarden in bar) an den US-Getränkekonzern Constellation, der das Weingut Mondavi seither mehr denn je ertragsorientiert führt. Das bedeutet auch, dass die Weine, die das berühmte Etikett mit dem Portal des Familienweinguts tragen, heute nicht mehr jene Individualität und Brillanz beweisen, die sie noch vor 15 Jahren hatten, als Tim Mondavi für jede auf den Markt gebrachte Flasche verantwortlich zeichnete.
profil: Sie haben wirklich alle Weine selbst gekeltert? Mondavi: Ich hatte viele gute Kellermeister an meiner Seite - Leute, die ich selbst eingeschult hatte und die wussten, wie jeder Wein zu schmecken hatte. Aber soweit ich mich erinnere: Ja, ich habe alle Weine während ihrer Entstehung kontinuierlich probiert, hier und da noch etwas nachgebessert und vor dem Abfüllen dann abgesegnet. Das gilt auch für die einfachen Woodbridge-Weine. Auch auf ihnen stand unser Name.
Woodbridge war die Cashcow der Mondavis, Jahr für Jahr Millionen Liter Wein, die für fünf bis sieben Dollar in den Supermarktregalen standen. Manche sagen, Woodbridge sei der Anfang der Überdehnung des Familienunternehmens gewesen.
Mondavi: Das ist Quatsch, Woodbridge war der gelungene Versuch, einen Brot- und Butterwein zu keltern, der den Namen eines Spitzenweinguts trägt. Und genau das haben uns danach viele andere Spitzenweingüter nachgemacht.
Tim Mondavi ist es sichtlich unangenehm, über jene Jahre zu sprechen, in denen die Familie alles loslassen musste, was ihren Namen trug. Noch unangenehmer, sagt ein ehemaliger Geschäftspartner, sei Tim Mondavi jedoch, was Constellation aus Mondavi gemacht habe: etwas Gesichtsloses. Mondavi, dem zu seiner Zeit als Chairman auch cholerisches und herrisches Benehmen nachgesagt wurde, lässt während des Gesprächs manchmal erkennen, dass seine Wünsche einmal Befehle waren. Aber er hat seinen hin und wieder aufflackernden Ärger gut im Griff - mit einem rasant aufgesetzten Lächeln.
profil: Wann haben Sie realisiert, dass die Strategie der Familie falsch war? Mondavi: Ich habe schon einige Jahre vor dem Verkauf unserer Anteile gewarnt, dass wir eventuell zu groß werden und unseren Markenkern verlieren könnten. So habe ich dann auch gegen eine weitere Kooperation mit einem großen australischen Weingut votiert. Aber da waren wir schon zu groß, um gefahrlos schrumpfen zu können.
profil: War es ein Fehler, andere Kapitalgeber in das Unternehmen zu holen?
Tim Mondavi wischt ruckartig mit der Hand über das Tischtuch. Er will nicht darüber reden.
profil: War der Verkauf eine Erlösung? Mondavi: Er war jedenfalls auch befreiend.
Ein Reporter einer kalifornischen Tageszeitung erzählt, dass Tim Mondavi in diesen Tagen so manches Telefongespräch abbrechen musste, weil er zu aufgewühlt war. Heute will Tim im Gespräch ausdrücklich vermitteln, dass er und sein Bruder sich sehr bald nach dem Verkauf ihrer Anteile neu aufgestellt haben. Michael gründete ein Boutiquen-Weingut, das seinen Namen trägt. Tim und seine Schwester Marcia gründeten Continuum und verzichteten darauf, der gemeinsamen Unternehmung ihren Nachnamen zu geben. Continuum sollte einen Neubeginn darstellen, aber auch die Fortführung des alten Mondavi-Weinstils, der die Delikatesse vor die Kraft der Frucht stellt.
profil: Wie waren die Jahre als einflussreichster Önologe der Welt? Mondavi: Es mag seltsam klingen, aber ich habe das nie so wahrgenommen und mich immer nur als Teil des Familienunternehmens gesehen. Ich hatte meine Zuständigkeiten und versuchte, in meinem Bereich so gut wie möglich zu arbeiten. Mein Vater war derjenige, der Mondavi repräsentierte.
Das Geschäftliche, die Zahlen, das interessiert mich überhaupt nicht. Es behindert meine Kreativität.
profil: Mit Verlaub: Schon Mitte der 1990er-Jahre standen Sie mehr im Mittelpunkt als Ihr Vater. Sie waren es und nicht Ihr Vater, der bei den wichtigsten Terminen der Weinwelt präsent war. Sie waren es, der mit seiner Entourage bei den größten Weinmessen auftauchte. Mondavi: Das mag durchaus diesen Eindruck gemacht haben, dennoch habe ich das alles vor allem als meine Pflicht wahrgenommen und nicht als Auftritt auf einer Bühne, um mich wichtig zu machen.
profil: Also kein Prinz mit seinem Hofstaat? Kein Camelot? Mondavi: Nein, kein Camelot, denn die amerikanischen Weinbaufamilien unterscheiden sich in wesentlichen Dingen von den Weinbaufamilien in Europa.
profil: Wodurch? Mondavi: Nehmen wir zum Beispiel die Antinori-Familie in Florenz, mit der wir gut bekannt sind. Piero, der ältere Bruder, führt heute den Antinori-Konzern als Geschäftsmann und önologischer Einflussgeber. Ludovico, dem jüngeren Bruder, war immer klar, dass er das Unternehmen niemals leiten würde. Stattdessen durfte er sich austoben, schicke Sportwagen fahren und wurde der Lebemann, als den wir ihn heute kennen. Als wir ihm 1999 seine Anteile an Ornellaia abkaufen konnten, weil er sie notgedrungen abgeben musste, sagte er mir: "Ich kann richtig gut Wein machen, ich kann eine Marke kreieren und sie auf dem Weltmarkt zum Erfolg führen. Aber das Geschäftliche, die Zahlen, das interessiert mich überhaupt nicht. Es behindert meine Kreativität. Ich will davon nichts wissen." Das konnte ich mir nie erlauben. Niemand bei Mondavi hatte eine Sonderrolle. Wir hatten alle unsere Aufgabe. Keines der Kinder wurde bevorzugt. Die großen europäischen Weinfamilien, die Antinoris, die Rothschilds, entstammen adeligen Häusern mit tradierter Lebensweise. Unser Großvater Cesare kam als italienischer Einwanderer nach Amerika und hat sich von ganz unten hochgearbeitet.
Cesare Mondavi und seine Frau Rosa emigrierten 1904 von Sassoferratto in den italienischen Marken nach Minnesota im amerikanischen Mittelwesten, wo Cesare einen Job als Minenarbeiter fand. Die Mondavis sparten sprichwörtlich jeden Cent und gründeten 1922, inmitten der Prohibition, einen Handel mit Weintrauben, die es damals im Überfluss gab, weil sie nicht vergoren werden durften. Nach dem Ende des Alkoholverbots kelterte Cesare seinen ersten eigenen Wein - es blieb beim Versuch. 1943 verabschiedete er sich vom reinen Traubenhandel und erwarb für 75.000 Dollar das heruntergewirtschaftete Weingut Charles Krug, eine Gründung deutscher Einwanderer im kalifornischen Napa Valley.
Ich weiß, es klingt arg nach Klischee, aber ich habe die ersten Jahre vor allem die Bottiche gereinigt, die Bodenfliesen gewischt und die Toiletten geputzt.
Mondavi: Damals gab es im Napa Valley nur eine Handvoll Weingüter, die richtige Weingüter waren, also Betriebe mit eigenen Weingärten und eigener Kellerei. Charles Krug war ein richtiges Weingut. Die meisten kalifornischen Weine wurden bis Ende der 1940er-Jahre als süße Weine ausgebaut und zusätzlich auch noch mit Alkohol versetzt. Sie waren also eine Art Portwein-Kopie. Mein Großvater aber wollte Wein wie in Italien machen: Tafelweine, die man auch zum Essen trinken kann. Und er war einer der wenigen, die daran glaubten, dass solche Weine, die es schon vor der Prohibition gegeben hatte, auch danach Erfolg haben könnten. Damit lag er richtig.
1959, nach dem Tode von Cesare Mondavi, bekam sein Sohn Peter die Aufgabe, das Weingut Charles Krug weiterzuführen. Der ältere Sohn Robert schied im Streit von der Familie und gründete 1966 sein eigenes Weingut. Tim Mondavi, 1951 geboren, begann schon als Teenager an der Seite seines Vaters und seines Bruders Michael im Weingut zu arbeiten.
Mondavi: Ich weiß, es klingt arg nach Klischee, aber ich habe die ersten Jahre vor allem die Bottiche gereinigt, die Bodenfliesen gewischt und die Toiletten geputzt. Mein Vater hat mir klargemacht, dass man sich dafür nicht zu schade sein darf.
profil: War es eigentlich immer klar, dass Ihre Schwester Marcia, Ihr Bruder Michael und Sie im Weingut bleiben? Hatten Sie nie Lust auszubrechen, Musiker zu werden oder Schriftsteller? Oder gar Banker, wie einige andere Kinder großer europäischer Winzer? Mondavi: Nein. Jene, die damals ins Investmentbanking gingen, waren Vertreter des alten Gelds. Wir hingegen waren junges Geld. Und unser Weingut war erst ein paar Jahre alt. Auszubrechen war keine Option. Jeder wurde im Betrieb benötigt. Und keiner stellte die Frage, ob es wirklich so bedingungslos war, wie es aussah.
1976 veranstaltete der in Paris lebende britische Weinhändler Steven Spurrier das sogenannte "Paris Tasting", eine Vergleichsverkostung, bei der kalifornische Winzer die besten französischen Châteaux auf die Plätze verwiesen. Dieses weinpolitisch weltbedeutende Ereignis machte die Weine aus dem Napa Valley über Nacht zum begehrten Exportgut und beendete zudem die Vorherrschaft der britischen Weinkritiker, die immer nur dekretiert hatten, dass französische Clarets die besten der Welt seien.
Robert Mondavi erkannte, dass er nach dem Paris Tasting und den Exporterfolgen der kalifornischen Weine ein Weltwein-Unternehmen aufbauen konnte. Schon 1978 vereinbarte er mit Baron Philippe de Rothschild (Château Mouton-Rothschild) ein Joint-Venture in Kalifornien. Rothschild schickte seinen Önologen Lucien Sionneau nach Napa. Robert Mondavi übertrug die Zusammenarbeit mit Sionneau seinem Sohn Tim. Die beiden kreierten den Opus One, den ersten Wein Kaliforniens, der mehr als 100 Dollar pro Flasche aufrief. Bald etablierte er sich als Signaturwein das amerikanischen Weinbaus, nicht zuletzt auch dank der hohen Bewertungen durch Robert Parker, der in jener Zeit zum einflussreichsten Weinkritiker der USA (und bald der ganzen Welt) avancierte.
profil: Sie sollen mit Robert Parker eng befreundet sein. Es heißt auch, dass Sie beide für die Etablierung des amerikanischen Weinstils, also "fett und fruchtig", verantwortlich seien. Mondavi: Ja, ich kenne Robert gut. Und tatsächlich hatten wir Anfang der 1980er-Jahre ähnliche Ideen darüber, wie es im kalifornischen Weinbau weitergehen solle. Aber ich würde nicht sagen, dass ich einen Einfluss auf ihn hatte.
profil: Und er auf Sie? Mondavi: Auch nicht. Außerdem stimmt es nicht, dass alle Weine, die Parker gut bewertet, fett und fruchtig sind. Bei meinen Weinen stand das nie im Vordergrund.
profil: Aber die kalifornischen Weine sind und waren doch größtenteils in neuen Barriquefässern ausgebaute Fruchtbomben mit hohem Alkoholgehalt. Mondavi: Aber längst nicht überall. Der Anteil an neuem Holz nimmt in Napa seit Jahren ab. Und der hohe Alkoholgehalt ist schlicht dem Klima zu verdanken. Deswegen haben wir die Weingärten von Continuum in höheren Lagen angelegt.
Die Continuum-Weine schmecken tatsächlich sehr europäisch. Man würde sie blind eher der Toskana oder dem Bordelais zurechnen. Tim Mondavi keltert heute Weine mit einer für Kalifornien seltenen Eleganz, die von einer Sehnsucht nach der alten Welt erzählt.
profil: Vermissen Sie Ihre Beteiligungen in Europa? Mondavi: Sicher. Aber man ist immer dort, wo man gerade ist.
Tim Mondavi muss jetzt weiter. Er hat gleich ein Dinner, bei dem er auf jene Klientel treffen wird, die mit seinem Namen die große Zeit schwerer und teurer Rotweine verbindet: Banker, Wirtschaftsanwälte und betuchte Weinenthusiasten mittleren Alters, die ihre Mittagstische meist in Sternerestaurants reservieren. Mit der neuen Weinwelt, die von Hipster-Sommeliers und Naturweinwinzern dominiert wird, haben Mondavi und seine Bewunderer wenig im Sinn. Warum auch? Tim Mondavis Art, Wein zu keltern, mag gerade nicht in Mode sein, aber sie stellt immer noch die Moderne dar: die vor 40 Jahren eingeleitete Abkehr von antiquierten, jahrhundertealten Weinbautraditionen. Und diese Moderne wird auch in den kommenden Jahrzehnten ihre Gültigkeit behalten. Der Weinkönig ist tot. Es lebe der Weinkönig.