Der zweite Streich oder Premiere?
Mit dem WM-Finale wartet für die Beteiligten wieder einmal das "Spiel des Lebens". Frankreich greift zwanzig Jahre nach dem Heimtriumph erneut nach dem Pokal, die enorm talentierte Equipe tricolore geht als Favorit ins Endspiel am Sonntag (17.00 Uhr MESZ) im Moskauer Luschniki-Stadion. Gegner Kroatien hofft in seinem ersten großen Finale gleich auf den größten Coup seiner Fußballgeschichte.
Frankreich ist sich selbst die beste Warnung. "Das wichtige Spiel kommt erst am Sonntag", mahnte Frankreichs Teamchef Didier Deschamps nach dem Final-Einzug: "Die Schmerzen von vor zwei Jahren haben wir noch nicht vergessen", sagte Deschamps in Anspielung an das verlorene EM-Endspiel im eigenen Land gegen Portugal. "Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass es diesmal anders ausgeht."
Tormann Hugo Lloris, Raphael Varane, Paul Pogba, Kylian Mbappe, Antoine Griezmann: Frankreich ist auf jeder Position mit Weltklassespielern besetzt. Ein Spektakel lieferte die "Grande Nation" im Turnierverlauf allerdings nur phasenweise ab. Wo der französische Fokus auch ihm Finale liegen wird, verriet Griezmann. "Ich will den Stern. Und wenn ich ihn habe, ist mir das Wie egal", antwortete der Stürmerstar auf eine Frage, ob ihn ein glanzloser Arbeitssieg stören würde. Für Teamkollege Blaise Matuidi würde ein "Kindheitstraum" in Erfüllung gehen. "Wir sind dem Pokal so nah. Wir wollen ihn berühren, aber bevor wir das können, werden wir alles geben müssen. Es ist das Spiel unseres Lebens."
Deschamps hat den talentierten Einzelkönnern erfolgreich seine pragmatische, ergebnisorientierte Spielphilosophie eingetrichtert. "Er wird von uns respektiert, weil er die WM 1998 gewonnen hat", sagte Griezmann über den Trainer. "Er kennt den Weg, der zu gehen ist. Wir glauben an ihn, wir vertrauen ihm, wir spielen für ihn."
Vergleiche mit der 1998er WM drängen sich auf
Was zählt, ist das Ergebnis. Gegen Uruguay (2:0) entschied eine Standardsituation und ein folgenschwerer Tormannpatzer das Viertelfinale. Gegen Belgien im Halbfinale reichte eine Eckballaktion. Den Rest erledigte die sattelfeste Defensive rund um Varane, Samuel Umtiti und Abräumer N'Golo Kante. Frankreich hat im Turnierverlauf nur vier Gegentore kassiert. "Wir sind hinten schwer zu bezwingen, das ist schön und gut. Und offensiv wissen wir, dass wir jederzeit treffen können", sagte Griezmann.
Vergleiche mit der 1998er WM drängen sich auf. Auch damals stand weniger das Spektakel als das kalkulierte Risiko im Vordergrund. Und Mittelstürmer Stephane Guivarc'h blieb wie bisher auch Olivier Giroud ohne Torerfolg. Auch ein Slogan, aufgekommen in der Leichtigkeit von 1998 und zwischenzeitlich schubladisiert, ist in Frankreich plötzlich wieder en vogue: "black, blanc, beur" - "Schwarz, Weiß, Arabisch". Der Dreiklang feierte das multiethnische französische Team.
Kroatien hat ebenfalls starke Erinnerungen an 1998, allerdings weniger erfreulicher Natur: Im Halbfinale unterlag man dem Gastgeber 1:2. "Jeder erinnert sich in Kroatien an dieses Spiel", sagte Teamchef Zlatko Dalic: "Vielleicht hat uns der liebe Gott ja die Möglichkeit gegeben, dieses Ergebnis zurechtzurücken." Von Revanche wollte im Lager der Kroaten trotzdem niemand sprechen. Bereits jetzt haben Luka Modric und Co. die Generation um Stürmerstar Davor Suker überflügelt.
Nachdem Kroatien durch Mario Mandzukic' Goldtor England nach Verlängerung heimschickte, soll zum krönenden Abschluss die "Grande Nation" fallen. Gegen Frankreich hat Kroatien allerdings noch nicht gewonnen. Bei fünf Aufeinandertreffen siegten die Franzosen dreimal, zwei Spiele endeten Remis. "Wir müssen Vertrauen in unsere Qualitäten haben, unsere Gegner respektieren, aber nicht glauben, dass irgendjemand besser ist als wir. Wenn wir denken, dass jemand besser ist, ist es unmöglich ihn zu besiegen", hatte Dalic bereits im Vorfeld gesagt.
Es ist angerichtet, alle sind fit
Die Kroaten bauen auf ihr funktionierendes Teamgefüge, dem sich auch die Starspieler Luka Modric und Ivan Rakitic unterordnen. "Für mich ist Messi der Größte und Neymar kommt knapp dahinter", erzählte Dalic. "Aber Fußball hat sich weiterentwickelt, jedes Team kann eine ausgezeichnet organisierte Defensive haben, die Abstände sind klein und das Team ist das Wichtigste." Das zähle ganz speziell auch für Kroatien. Modric lobte den Zusammenhalt. "Seit ich in der Nationalelf bin, habe ich noch nicht so eine Gemeinschaft gesehen, die uns dahin geführt hat, wo wir jetzt stehen."
Im Vergleich zu den Franzosen haben die Südosteuropäer einen Tag weniger Ruhe- und Vorbereitungszeit, zudem mussten sie in allen drei K.o.-Spielen in die Verlängerung, zweimal sogar ins Elfmeterschießen. An Spielminuten gemessen kommen die Kroaten auf ein Match mehr als der Gegner. Es liegt an der Moral und der Aussicht auf Erfolg nun die körperlichen Strapazen zu überstrahlen. "Die Müdigkeit darf keine Ausrede sein", sagte Dalic. Auch Frankreich erwartet keine angeschlagenen Kroaten. "Ich denke nicht, dass das ein Handicap ist", erklärte Matuidi.
Viel wichtiger ist für beide Teams sowieso, dass es keine verletzungsbedingten Ausfälle gibt. Knapp 48 Stunden vor dem vom Argentinier Nestor Pitana (43) geleiteten Showdown deutete alles darauf hin, dass Dalic und Deschamps wie zuletzt auf ihre elf Wunschspieler setzen können. Es ist angerichtet, alle sind fit.