Protokoll einer Wohnungssuche
Wohnungsbesichtigungen fühlen sich ein bisschen an wie Improvisationstheater-Aufführungen von studentischen Performance-Kollektiven. In beiden Fällen steht man in unbeheizten, staubigen Altbauzimmern, die einzige Dekoration um einen herum ist eine gelbe Rolle Zewa-Toilettenpapier und wirklich jeder findet es unangenehm. Meistens hat nicht einmal der Star der Show, also der Makler Spaß, wenn er in der Mitte des Raumes vor einem Haufen fremder Leute steht und sich an der Behauptung abrackert, dass hier ganz sicher noch nie geraucht wurde und der Vermieter deshalb nicht ausmalen will. Da ändert weder der gelbliche Belag an der Decke noch der Aschenbecher in der Küchenschublade etwas. Irgendwer von den Teilnehmern ist immer zu gut vorbereitet, beim Improvisationstheater hätte er garantiert das ganze Programmheft gelesen, im Fall der Besichtigung eben die Lohnzettel des letzten halben Jahres, einen Strafregisterauszug und Lebenslauf ausgedruckt in einer Mappe mit dabei. Jemand anderes kommt da wie dort eine halbe Stunde zu spät und geht sofort wieder, weil man in der Wohnung fortan wirklich nicht mehr rauchen soll. Am Ende trotten alle mit einem schlechten Gefühl nachhause und hoffen, dass sie das so schnell nicht wieder machen müssen. In Wirklichkeit ist der nächste Termin schon längst fixiert, ähnlich wie einem studentischen Performance-Kollektiv kann man nämlich auch dem Wiener Immobilienmarkt nicht entkommen.
Dementsprechend: Sie müssen umziehen? Herzlich willkommen, die Vorstellung beginnt in Kürze.
Akt 1: Die Konkurrenten
Wenn Menschen sagen, Wien darf nicht Berlin werden, dann habe ich früher an Sekt-Mate und Menschen, die sich in Clubs zum Stricken treffen, gedacht. Heute weiß ich es besser: Es geht um Gruppen-Wohnungsbesichtigungen. In Berlin sind die ganz normal. Findet man dort eine leistbare Bleibe, tun das hundert andere auch. Letztes Jahr haben sich über 600 Personen für eine Wohnung in der Leibnizstraße 69 interessiert, die Schlange zur Besichtigung war zeitenweise über 150 Meter lang.
So schlimm ist es in Wien natürlich noch nicht. Aber schon länger haben viele Immobilienmakler auf Gruppenbesichtigungen umgestellt. Dort schleicht man dann mit zwanzig bis dreißig anderen Personen durch das Objekt der Begierde und allen ist klar: Nur einer von den Anwesenden wird hier erfolgreich sein – und der leistbare Wohnraum ist begrenzt.
Die hohe Nachfrage und die Inflation treiben die Mietpreise nach oben. Laut Holger Bonin, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), sind die Mieten seit 2020 im Schnitt um 17 Prozent gestiegen. Im ORF-Radio sprach er sich deswegen vergangenen Mai für die gezielte Unterstützung von einkommensschwachen Menschen aus und plädierte, die Bauleistung zu steigern. Denn neben der Tatsache, dass die Stadt wächst, steigt auch der Anteil der Einpersonenhaushalte kontinuierlich an. Die Baubranche kommt mit der Nachfrage nicht mit.
Bei meiner ersten Besichtigung nehmen ungefähr zwanzig andere Personen teil, die meisten von ihnen wollen hier ebenfalls allein einziehen. Wir warten gemeinsam vor der Haustüre auf die Maklerin; niemand sagt ein Wort, vom Gefühl her ist es ein bisschen so wie kurz vor der Führerscheinprüfung. Mir fällt ein, dass ich irgendwo gelesen habe, unangenehme Situationen löse man am besten dadurch auf, dass man sie anspricht. „Voll die unangenehme Situation“, sage ich. Keiner antwortet. Danach ist die Situation noch viel unangenehmer.
Fünf Besichtigungen später bin ich geübter. Meine gefährlichste Konkurrentin ist eine niederösterreichische Polizistin. Mir gegenüber steht also die geballte Macht der Exekutive, ich habe nur meine Bewerbungsmappe vorzuweisen – Einkommensnachweis, Lebenslauf, Meldezettel, Strafregisterbescheid, alphabetisch sortiert. Ich sage Dinge wie „ich spiele kein Instrument“ oder „ich habe weder Haustiere noch Kinder“, versuche mir dadurch einen stillen Vorteil zu erarbeiten. Ein junger Student will kurz darauf wissen, ob man auch einen Monat später einziehen könnte. Anfängerfehler, denke ich siegessicher.
Akt 2: Der Makler
Bei der zweiten Besichtigung lehnt die Maklerin genervt an der Wand im Wohnzimmer und kaut Kaugummi. Draußen ist es schon dunkel. „Untertags ist es aber schon recht hell in der Wohnung?“ – „Das kann ich Ihnen nicht sagen.“ – „Und wird noch ausgemalt?“ – „Nein, wir finden auch wen, der es so nimmt.“ Stimmt, eineinhalb Stunden später unterschreibe ich mein Mietanbot im Café Kriemhild und schicke es ab. Ich bekomme die Wohnung nicht, die Maklerin meldet sich nur auf Nachfrage bei mir.
Seit Juli 2023 gilt das Bestellerprinzip bei der Vermittlung von Mietwohnungen. Das bedeutet, in der Regel übernimmt der Vermieter die Maklerprovision. Mieter bezahlen nur dann, wenn sie den Makler selbst beauftragt haben ( und das lassen einen die Makler in vielen Fällen auch spüren). Bei meinem dritten Besichtigungstermin will mir einer von ihnen eine derartige Konstellation schmackhaft machen. Gestern habe er die Wohnung seinen „Suchkunden“ gezeigt, hat jemand von ihnen Interesse, reihe er sie vor. Dafür müsse man nur zwei bis drei Bruttomonatsmieten abdrücken. Laut Arbeiterkammer sei das legal.
Akt 3: Das Mietanbot
Es muss gesagt werden: Das Mietanbot ist ein Instrument aus der Hölle. Zur Erklärung: Ist man daran interessiert, eine Wohnung anzumieten, kann man ein sogenanntes Mietanbot abgeben. Der Vermieter sichtet dann die eingelangten Anbote und wählt aus, wem er seine Wohnung überlassen möchte. Hat man ein Mietanbot unterschrieben und entscheidet sich der Vermieter zu Gunsten von einem, dann ist man verpflichtet, einen Mietvertrag zu unterschreiben.
Da mein Wohnraumfindungsprozess einem Selbstfindungsprozess in vielen Phasen ähnelt, habe ich viele Anbote abgegeben, eines zurückgezogen, einige bereut und am Ende viele Abfuhren kassiert. Mit dem Mietanbot zusammen verlangen viele Vermieter außerdem oft Lohnzettel oder anderweitige Einkommensnachweise, mittlerweile manchmal sogar eine Art Zeugnis von bisherigen Hausverwaltungen. Legt man das nicht vor, ist man am Mietmarkt nur schwer erfolgreich.
In meinem Fall ist das Improvisationstheater Wohnungssuche übrigens doch noch gut ausgegangen. Meinen Nerven zuliebe meide ich in der nächsten Zeit allerdings große Menschenansammlungen und Makler, sonst wird der Sager „ich spiele kein Instrument und habe weder Haustiere noch Kinder“ zum Reflex.