Worten folgen Taten
Am Samstag, dem 18. September 2021, möchte ein Mann an einer Tankstelle Bier kaufen. Er trägt keine Maske und wird vom 20-jährigen Mitarbeiter an der Kassa auf die Maskenpflicht hingewiesen. Wütend verlässt der Mann die Tankstelle. Später kehrt er mit einer Waffe zurück – er trägt nun Maske, geht zur Kassa, setzt die Maske ab und schießt dem jungen Mitarbeiter in den Kopf. Der 20-Jährige stirbt.
So stellen die deutschen Ermittler und Ermittlerinnen den Mord, der sich in Deutschland in Idar-Oberstein ereignete, dar. Der Tatverdächtige soll im Verhör angegeben haben, dass er die Corona-Maßnahmen ablehne. Demnach schien ihm das Opfer „verantwortlich für die Gesamtsituation, da es die Regeln durchgesetzt habe“. Die Deutsche Presse Agentur berichtete außerdem, dass laut Ermittlerkreisen der Tatverdächtige in den Ansichten der Corona-Leugnungs-Szene „bewandert sei“. Es hieß: „Er kennt die Quellen und hat auch angegeben, dass er sich da schlaugemacht hat.“
Während ich diese Zeilen schreibe, ist vieles noch unklar am Mord in Idar-Oberstein. Aber eines müssen wir ernst nehmen: Worte können brandgefährlich, sogar tödlich sein, wenn sie Gewalt verharmlosen oder sogar herbeisehnen. Und wir können seit Monaten ein wutentbranntes Klima in der Corona-Leugnungs-Szene beobachten: Dort wird das Vertrauen in die Demokratie erodiert. Es heißt, die Pandemie sei eine Erfindung, eine geplante Inszenierung (eine „Plandemie“), um bürgerliche „Freiheiten“ einzuschränken, um eine „Diktatur“ einzuführen.
In verschwörungsaffinen Telegram-Kanälen wird von einer „Kriegserklärung“ an „Machteliten“ geträumt oder diskutiert, ob es eine „Todesstrafe“ für Abgeordnete geben soll, die den Corona-Maßnahmen zustimmten. Die Gefahr ist, dass in Teilen dieser Szene Gewalt zunehmend nicht mehr als Gewalt gesehen wird, sondern als „Notwehr“ umgedeutet wird – gegen die angebliche „Diktatur“, gegen ein System, das angeblich „Freiheit“ raubt. Es mag skurril klingen, was für Thesen in der Corona-Leugnungs-Szene umherschwirren, weil diese so fernab der Realität sind, doch witzig oder harmlos sind solche Erzählungen nicht.
Worte können zu Taten werden – und wir müssen hier auch von jenen eine rhetorische Abrüstung verlangen, die diese „Corona-Diktatur“-Rhetorik selbst benutzen oder sich populistisch dieser anbiedern.