Sendungsbewusstsein: Wie YouTuber die Kinderzimmer regieren

Zwischen "Pranks" und Beauty-Tipps: YouTube hat bei Jugendlichen längst das Fernsehen abgelöst. Wer die YouTube-Landschaft in Österreich prägt, wie YouTuber ihr Geld verdienen und warum die Videoplattform erfolgreicher ist als etablierte Medien.

Drucken

Schriftgröße

San Mateo, Kalifornien. Es ist das Jahr 2005 und drei PayPal-Mitarbeiter programmieren eine Website, die es ihnen erleichtern soll, Videos im Internet zu teilen. Dreizehn Jahre später ist selbige Website mit dem Namen "YouTube" eines der einflussreichsten Medien geworden, das gleichzeitig als immense Werbefläche fungiert und eine neue Berufssparte erschaffen hat: Die "YouTuber". YouTuber haben sich zur wichtigsten Informations- und Unterhaltungsquelle für junge Menschen entwickelt. Egal ob es um Kaufentscheidungen, Beauty- und Kochtipps oder Beziehungsprobleme geht.

YouTuber - Made in Austria

2017 hat die FH Sankt Pölten eine Aufstellung der größten österreichischen YouTube-Kanäle veröffentlicht. Ganz vorne liegt "Red Bull" mit fast sechs Millionen Abonnenten. Auf Platz zwei befindet sich der Prototyp eines YouTubers: "KSFreak", der im realen Leben Marcel Dähne heißt, filmt sich selbst dabei, wie er seinen Freunden Streiche spielt oder Hundefutter isst, weil er eine "Challenge" gegen seinen Kollegen verloren hat. Seine Eskapaden werden bis zu sechs Millionen Mal geklickt.

Auf Platz sieben liegt der Channel "ViktoriaSarina", das zuckerlfarbene, weiblich-klischeehafte Gegenstück zu KSFreak. Viktoria und Sarina sind Anfang 20. In ihren Videos geht es darum, wer von den beiden mehr Eis essen kann, oder wie es ist, 24 Stunden in einem Hundekörbchen zu verbringen. Sie verkaufen sich, inklusive pink gefärbter Haare, als die quietschfröhlichen besten Freundinnen ihrer Zuschauer und sind rund um die Uhr glücklich.

Weniger auf Pink getrimmt, aber ebenfalls mit Beauty-Tutorials hat sich "KimLianne" ein 871.000 Abonnenten starkes Publikum geschaffen, damit liegt sie ebenfalls unter den Top Ten im YouTuber-Ranking. In Liannes Videos geht es hauptsächlich um Mode, sie zeigt Bilder aus ihrem Urlaub oder berichtet ausführlich über ihre Ernährung. Beiträge, in denen sie in Zusammenarbeit mit der Drogeriekette "dm" neue Produkte testet, erreichen mehr Menschen, als die größte österreichische Tageszeitung, die "Kronen Zeitung", an Abonnenten hat. Ist das das Todesurteil für den klassischen Journalismus?

"Journalismus funktioniert längst nicht mehr so."

Eine Antwort auf diese Frage gibt Mirko Drotschmann, Journalist und studierter Historiker, im profil-Interview. Er betreibt auf YouTube einen Kanal namens "MrWissen2Go". Drotschmann hat für den SWR und das ZDF gearbeitet, ist aktuell auch beim MDR. Auf seinem Kanal spricht er über Historisches, nimmt aktuelle politische Debatten auseinander und reduziert komplexe Themen wie den Nahostkonflikt oder die Weimarer Republik auf knackige zehnminütige Clips. Er zeigt vor, wie Journalismus auf YouTube funktionieren kann und erreicht damit 746.000 Abonnenten. Zum Vergleich: Die verkaufte Auflage der FAZ in Deutschland beträgt derzeit 237.780 Exemplare. Im Interview erklärt er, wie die traditionellen Medien mit der neuen Gemengelage umgehen sollten: "Ich würde das eher als Herausforderung sehen, als als Todesurteil für den Journalismus. Man muss raus aus dem Elfenbeinturm, in dem viele noch sitzen. Journalismus funktioniert längst nicht mehr so, dass es einige wenige gibt, die wissen, wie die Welt funktioniert und das der Masse erklären. Es ist wichtig, die Zielgruppe ernst zu nehmen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Es gab immer wieder neue Medienformen, der Journalismus hat es immer geschafft, darauf zu satteln. Man sollte sich dieser neuen Medienform nicht verwehren, sondern versuchen, mit ihr umzugehen. Medien müssen immer mit der Zeit gehen."

YouTube ist also eine neue Medienform, die es ernst zu nehmen und mit der es sich auseinanderzusetzen gilt. Zu oft wird die Plattform belächelt und als unwichtig abgetan. Die Zahlen sprechen dagegen. Die dieses Jahr durchgeführte Studie von "saferinternet.at" zum Medienkonsum Jugendlicher zeigt, dass über 81 Prozent der 11- bis 17-Jährigen YouTube regelmäßig nutzen. Wenn KSFreak etwas auf Instagram postet, erzeugt das mehr mediales Echo als ein Tweet des Bundespräsidenten. Grund dafür ist hauptsächlich die intimere Bindung, die Medienschaffende über YouTube zu ihren Fans aufbauen. Ein bekanntes, sympathisches Gesicht, eine gewohnte Stimme erzeugen Vertrautheit und suggerieren eine freundschaftliche Beziehung zwischen YouTuber und Konsument. Diese enge Bindung kommt folglich in der Idolisierung der Internet-Stars zu tragen. YouTuber ist mittlerweile ein populärer Berufswunsch für junge Menschen geworden.

Vom Tellerwäscher zum YouTube-Millionär

YouTube überträgt den "American Dream" ins Internet. Jeder kann – zumindest theoretisch - bei Null beginnen und reich und berühmt werden, es braucht nur genügend Ehrgeiz. Diese Philosophie und das perfekte Luxusleben, das Jugendliche auf YouTube vorgelebt bekommen, übt einen großen Reiz auf Kinder und Jugendliche aus.

Doch der Werdegang als YouTube-Star scheint oft leichter und glamouröser, als er ist: "Ich habe das zwei oder drei Jahre sehr erfolglos gemacht, aber ich bin hartnäckig geblieben, obwohl es anfangs niemanden interessierte", erzählt Michael Buchinger, einer der bekanntesten österreichischen YouTuber. Buchinger ist 153.000 Abonnenten "schwer". Sein Aushängeschild sind monatliche "Hasslisten", also kurze Videos, in denen er seinen Zuschauern zynisch und humoristisch vermittelt, was ihn nervt. Was er außerdem regelmäßig hochlädt, sind Kooperations-Videos. Er bäckt Bananenbrot nur mit Produkten einer Lebensmittelmarke oder interviewt die Schauspieler einer Netflix-Serie, um deren neue Staffel zu bewerben. Gekennzeichnet wird alles mit dem Hinweis "Enthält bezahlte Promotion". So verdient Buchinger sein Geld: "Ich habe pro Jahr um die 20 Kooperationen. Das ist somit quasi mein Hauptberuf. Die Leute glauben auch immer, dass man durch YouTube selbst viel Geld verdienen kann, aber das sind nur 300 Euro im Monat, die aus der Werbung vor den Videos kommen. Also in meiner Größenordnung macht es wirklich Sinn, Kooperationen einzugehen."

Neben Firmen-Kooperationen und Produktplatzierungen gibt es noch weitere Möglichkeiten, mit YouTube Geld zu machen. Mirko Drotschmann ist mit "MrWissen2go" teil von "funk", einem medienübergreifenden Onlineangebot von ARD und ZDF. "Mein Kanal ist also öffentlich-rechtlich und ich bekomme ein Produktionsbudget. Damit komme ich gut über die Runden. Wenn man nur von den YouTube-Einnahmen ausgeht, also der Werbung, die vor den Videos läuft, da könnte ich mit meiner Reichweite nicht davon leben", so Drotschmann.

Fake News, Vorurteile und Sexismus

Sowohl Buchinger als auch Drotschmann sind sich bewusst, dass YouTube mit seiner Niederschwelligkeit auch zweifelhaften Aussagen, Populismus und Fake News eine Bühne bietet. Viele Inhalte sind bedenklich, sei es die öffentliche Unterstützung der rechtspopulistischen AfD (Alternative für Deutschland) des deutschen YouTubers "Dner", der über drei Millionen Abonnenten hat, oder der in der YouTube-Szene allgegenwärtige Sexismus.

Die Benachteiligung von Frauen in der "offline" Medienwelt setzt sich auf YouTube fort. In den Top 100 Kanälen neun verschiedener Länder waren Frauen laut einer Studie der TU Ilmenau stark unterrepräsentiert. 25 Prozent der meistgesehenen Videos auf YouTube enthalten misogyne Inhalte. YouTuberinnen erhalten, wie viele Untersuchungen zeigen, mehr bedrohliche und sexistische Kommentare.

Unter dem Mantel der Unterhaltung propagieren zahlreiche YouTuber Geschlechterverhältnisse aus dem vergangenen Jahrhundert. Vor allem YouTuber, die eine jüngere Zielgruppe bespielen, widmen sich nur allzu gern dem Thema Sex und Geschlecht. KSFreak beschäftigt sich in seiner Video-Playlist "Realtalk" mit brennenden User-Fragen wie "Warum schlafen Frauen ohne BH?", "Furzen Frauen wirklich nie?" und "Warum sind Frauen Fingernägel so wichtig?". Es dominieren Klischees und Meinungen. Fakten spielen kaum eine Rolle. "Die Lochis", Zwillinge und YouTuber aus Deutschland, sehen als Beweis für die überlegene Intelligenz des männlichen Geschlechts zum Beispiel, dass Geschäftsführer überwiegend männlich sind. Dass Frauen aber durch benachteiligende Firmenpolitik oftmals an der Ergreifung solcher Jobs gehindert werden, dass es in vielen Institutionen strukturellen Sexismus gibt, haben die Lochis wohl noch nicht gehört, geschweige denn am eigenen Leib erfahren.

Ist die Lesbe, die männlicher ist, dann nur Lesbe, weil sie denkt von sich ‚Ich kriege keinen Kerl’?

Aber auch YouTuberinnen machen Videos wie "Das turnt Jungs bei Mädchen ab", gesehen bei Bianca "Bibi" Heinicke. Beim Vorlesen von User-Kommentaren zum Thema wird es aber selbst ihr zu bunt, als ein User meint "Frauen, die Sport machen" würden ihn abtörnen: "Ich finde das sehr frauenfeindlich" und "Wir leben im 21. Jahrhundert, Freunde" ruft Bibi unter Zustimmung ihres Freundes aus. Der meint, Männer dürften ja auch Kleider tragen, wenn sie das wollen. Das fände Bibi dann aber wieder "komisch". Vorurteile über LQBTIQ-Personen haben ebenso ihren Platz in der Szene. Cengiz von "ApeCrime" fragt seine lesbische Kollegin Melina Sophie in einem Video: "Ist die Lesbe, die männlicher ist, dann nur Lesbe, weil sie denkt von sich ‚Ich kriege keinen Kerl’?" Das ist YouTube: ungefilterte Meinung, zu oft ohne Widerspruch.

Gegenmaßnahmen von YouTube lassen auf sich warten, obwohl YouTubes CEO Susan Wojcicki selbst in einem Essay für die US-amerikanische Zeitschrift "Fortune" ihre Erfahrungen mit Sexismus in der Technik-Industrie beschrieb.

"Man muss verstehen, dass auf YouTube nicht nur blöde Videos sind"

Seinen Kindern den YouTube-Konsum zu verbieten, würde dennoch zu kurz greifen. YouTube ist laut, bunt, kommerzialisierter Fäkalhumor, sexistisches Schwarzweiß-Denken und sinnfreie Unterhaltung. Genauso ist YouTube aber auch ein mächtiges Weiterbildungstool, ein Platz, an dem sich Kinder in all ihren Facetten wiederfinden können. Michael Buchinger vergleicht pauschale YouTube-Kritik mit Kritik am Lesen: "Du kannst einen brutalen Thriller lesen oder ein Buch, das bildet, und genauso kannst du ein YouTube-Video anschauen, das dir nur Blödes beibringt, du kannst aber auch sinnvolle Videos konsumieren. Ich glaube, dass das Verständnis nicht da ist, weil man nur von sexistischen, dummen YouTubern hört. Ich kann das schon nachvollziehen, aber man muss verstehen, dass YouTube nicht nur das ist."

Mehr zum Thema:

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

war bis Oktober 2024 stv. Online-Ressortleitung und Teil des faktiv-Teams.