ZARA Rassismus Report 2020: „Wir müssen das ernst nehmen“
Am Donnerstag blickte der Verein für Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit (ZARA) auf ein Jahr zurück, welches, geprägt von der Corona-Pandemie, der Black Lives Matter-Bewegung und dem Terroranschlag in Wien, Diskriminierung und Rassismen sichtbar machte.
Bewusstsein für Rassismus stärker denn je
Es seien viele Wahrheiten über Ungleichheit ans Tageslicht gekommen, sagte ZARA-Geschäftsführerin Caroline Kerschbaumer. „Wir müssen das ernst nehmen.“
Das Jahr 2020 habe rassistische Strukturen noch stärker als sonst aufgezeigt, heißt es im ZARA Rassismus Report 2020. Das Bewusstsein für Rassismus wurde stärker denn je offenbart – in der Beratungsstelle gingen im Pandemiejahr insgesamt 3039 Meldungen ein. Das ist ein Drittel mehr als im Vorjahr. Dabei wurden in den häufigsten Fällen Übergriffe im Internet aufgezeigt.
Gründe für die vielen Meldungen zu Übergriffen im Internet sind einerseits die Verlagerung des Lebens in soziale Netzwerke und andererseits, dass es durch wenige Klicks einfacher ist, diese Vorfälle zu melden. Ein Screenshot mit der Quelle und Zeitangabe genügt, um ein Posting zu melden.
Auffällig ist, dass die Mehrheit der Meldungen nicht direkt von den Betroffenen eingebracht wurden, sondern durch ZeugInnen von Rassismus.
Einige Beispiele
Während der Übertragung des Wiener Opernballs sagt ein Moderator beim Anblick eines Tänzers, dem er eine chinesische Herkunft zuschreibt, folgenden Satz: „Es ist auch ein gesunder Chinese auf dem Tanzparkett.“
Eine Lehrerin berichtet, dass ein Schüler ihrer Klasse sich selbst stolz Rassist nennt und sowohl in einer Klassen-Whats-App-Gruppe als auch im Schulgebäude massiv rassistische und antisemitische Aussagen und Beleidigungen tätigt.
Eine Mutter dreier Schwarzer Kinder findet in der Klassenlektüre von einem der Kinder ein Buch, in dem Sklaverei als Normalität existiert und rassistische Schimpfworte (N-Wort) vorkommen.
Z. will gemeinsam mit fünf FreundInnen in einen Nachtclub gehen. Beim Eingang werden die vier weißen Personen problemlos eingelassen, die zwei Schwarzen Personen nicht: „So wie ihr ausschaut kommt ihr nicht rein.“
Rassistische Polizeigewalt, Diskussionen zu strukturellem Rassismus und die Auseinandersetzung mit den Themen White Supremacy, White Privilege und White Fragility gewannen an medialer Aufmerksamkeit. Für Kerschbaumer ein Zeichen, dass Medien eine große Rolle in der Bewusstseinsbildung spielen.
„Wenn wir von Rassismus sprechen, geht es nicht um einzelne rechte Sprüche oder einzelne rassistische Vorfälle,“ so die Geschäftsführerin. Es gehe um ein rassistischen System, welches hinterfragt und bekämpft gehöre.
Black Lives Matter in Österreich
„Es muss mittlerweile überall angekommen sein, dass Rassismus in Österreich sehr präsent ist“, so Kerschbaumer, „und dass es eine starke und laute Bewegung dagegen gibt.“ Ein Ereignis, das 2020 besonders zeichnete, war die Black Lives Matter-Bewegung. Rund 50.000 Menschen hatten sich im Juni bei einer Anti-Rassismus-Demo versammelt. Dass diese so große Resonanz fand, liege zum Teil sicher an der Pandemie. Der Pandemiezustand offenbarte strukturelle Diskriminierungen und machte Rassismen deutlich.
Die Black Lives Matter-Bewegung begann 2013, die weltweiten Proteste wurden 2020 durch den Tod von George Floyd ausgelöst.
Terroranschlag in Wien
Der Angriff am 2. November – auf die Innenstadt, aber auch auf demokratische Werte – trug zu Islamfeindlichkeit bei. Die Anzahl der Opfer von antimuslimischem Rassismus ist seitdem gestiegen und macht einen Viertel der eingegangenen Meldungen aus. Besonders Frauen, die in öffentlichen Räumen ein Kopftuch tragen und allein unterwegs sind, seinen betroffen, so ZARA-Geschäftsführerin Barbara Liegl.
Rassismusformen
Nicht nur Anti-Schwarzer Rassismus kam im Jahr 2020 noch stärker als sonst zum Vorschein. Auch Rassismus gegen asiatische Menschen zeigte sich in zahlreichen Vorfällen weltweit, in Schlagzeilen und vonseiten der Politik. Als sich die Pandemie Anfang des vergangenen Jahres auch über die Grenzen Chinas hinaus verbreitete, begannen diverse Politiker – insbesondere der ehemalige US-Präsident Donald Trump – und einige Medien den Begriff „chinesisches Virus“ zu verwenden.
In weiterer Folge waren Rassismus gegen geflüchtete Menschen, antimuslimischer Rassismus, antisemitische bzw. allgemein rassistische Verschwörungstheorien sowie Antiziganismus, also rassistische Vorurteile gegen Roma und Sinti, zu beobachten. Von vielen wurde die Krise genutzt, um rassistische Vorurteile zu schüren und Ängste zu mobilisieren.
Mit der Corona-Pandemie stiegen die Diskriminierungen von Personen aufgrund einer zugeschriebenen asiatischen bzw. chinesischen Herkunft. Später im Jahr richteten sich die gemeldeten Diskriminierungen vor allem gegen geflüchtete Menschen sowie gegen MuslimInnen.
Ein Viertel der gesamten Meldungen ist Rassismus, der sich explizit aufgrund der Hautfarbe gegen Schwarze Menschen und People of Colour richtet.
Struktureller Rassismus
„Rassismus findet sich in allen Lebensbereichen und ist im System verankert,“ sagt die Leiterin der ZARA-Beratungsstellen Dilber Dikme.
Weltweit konnte laut Report festgestellt werden, dass bei Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte sowie bei Black, Indigenous und People of Colour (BIPoC) überdurchschnittlich hohe Infektionsraten sowie viele schwere Krankheitsverläufe in Zusammenhang mit Covid-19 vorliegen. In Dänemark etwa war das Risiko an Covid-19 zu erkranken für Menschen mit Migrationsgeschichte drei Mal höher als jenes von Menschen ohne Migrationsgeschichte.
Keine Überraschung für ZARA. Hürden im Zugang zum Gesundheitssystem seien strukturell bedingt. Oft würden Vorerkrankungen nicht erkannt, chronische Stresserkrankungen nicht behandelt, Rassismuserfahrungen ignoriert. Sprachliche Barrieren erschweren Menschen, sich umfassend über das Corona-Virus zu informieren.
Zudem arbeiten BIPoC oder Menschen mit Flucht- bzw. Migrationsgeschichte häufiger in systemrelevanten Jobs, in welchen Homeoffice nicht möglich ist, wie etwa in Supermärkten, im Lieferservice oder in der Gesundheitsversorgung. In weiterer Folge könne in den Milieus auch das Risiko einer Corona-Erkrankung steigen.
Was war positiv an 2020?
Laut dem Report hat vergangenes Jahr auch positive Entwicklungen gebracht. Die Ereignisse führten zu einer verstärkten Präsenz des Themas Rassismus im öffentlichen Diskurs. Dadurch seien auch mehr Spenden eingegangen.
Darüber hinaus war das Gesetzespaket „Hass im Netz“, welches am 1. Jänner 2021 in Kraft trat, ein wichtiger Meilenstein in der Bekämpfung von Rassismus. Nun soll es einfacher werden, gegen Hasspostings vorzugehen. Der strafrechtliche Bildnisschutz durch die Einführung des Tatbestands „Upskirting“ wurde ausgeweitet, verletzende und diskriminierende Mitteilungen sollen schneller gelöscht werden können.
Die Ausweitung des Verhetzungsparagraphen ermöglicht den Schutz von Betroffenen. Menschen, die im Internet mit Hass konfrontiert werden, können sich nun, zum Beispiel von ZARA, bei Prozessen begleiten lassen.
Und auch Zivilcourage und Zusammenhalt konnte bei vielen Menschen, vor allem während des ersten Lockdowns, beobachtet werden.
Weitere Analysen, Einschätzungen, und Tipps rund um die eigenen Rechte sind auf der Webseite des Vereins nachzulesen.