"Die wunderbare Zerstörung des Mannes": Theater nach #metoo
Das klingt doch zu schön, was die Primatenforscherin Jane Goodall kürzlich im Gespräch mit dem Pop-Doktor Eckart von Hirschhausen über den Genderdiskurs sagte: "Der Stamm ist wie ein Adler, und die Männer sind der eine Flügel, und die Frauen der andere. Und wenn das nicht ausbalanciert ist, kann der Adler nicht fliegen."
Doch wohin man auch blickt, nichts als Schieflagen. Nahezu im Tagesrhythmus wird eine neue, oftmals auch ehrwürdige Institution als Hort von Übergriffigkeiten und Machtmissbrauch demontiert: die schwedische Nobelpreis-Akademie, das Burgtheater, die Münchner Musikhochschule, Hollywood waren da nur der Anfang. Die Blutspuren, die Ikonen der Misogynie wie Donald Trump und Harvey Weinstein im Marschland der Männlichkeit hinterlassen haben, sind noch frisch; das Debattenklima dennoch inzwischen abgekühlt. Eine #MeToo-Erschöpfung oder auch Agonie macht sich langsam breit - wie bei jeder Form von dauerhaft intensiver Katastrophen-und Kriegsberichterstattung frisst sich irgendwann der Nicht-schon-wieder-Effekt in das kollektive Bewusstsein ein.
Was bleibt und auch vorher da war, ist die wachsende Verunsicherung unter jenen Männer, die schon immer nach ihrer Definition von Männlichkeit "wie nach verlorenen gegangenen Kontaktlinsen tappen", wie die "Süddeutsche" unlängst konstatierte. "Das Drama des Mannes ist", so erklärte die Feministin und Schriftstellerin Erica Jong in einem 20 Jahre zurückliegenden profil-Interview, "dass er nicht weiß, wo die gute Männlichkeit aufhört und die schlechte beginnt. Und niemand hilft ihm dabei, es herauszufinden." Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die männliche Psyche als therapeutisches und popkulturelles Krisengebiet boomte auch vor dem Weinstein-Tsunami. Egal ob in Fernsehserien wie "Shameless" oder "Breaking Bad", Katastrophenpolemiken wie Walter Hollsteins "Was vom Manne übrig blieb", wo das einst starke Geschlecht als Opfer emanzipatorischer Unterdrückung vorgeführt wird, oder in Virginie Despentes' Bestseller-Roman "Das Leben des Vernon Subutex": Geschwächt vom Turbo-Kapitalismus und der Verdrängung seiner Gefühle wird der Mann als Schatten seiner selbst gezeigt.
Doch wer ist dieser Mann eigentlich, von dem alle reden?
"Bohrarbeiten"
Der Vorarlberger Theatermacher Martin Gruber, der mit seinem aktionstheater ensemble seit Jahrzehnten zu einem verlässlichen Seismograf gesellschaftspolitischer Verschiebungen und Bruchstellen geworden ist, hat sich mit seiner jüngsten Arbeit tief in die Verunsicherungen und Ängste von Männern gegraben. In wochenlangen "Bohrarbeiten" hat er sechs möglichst unterschiedliche Typen - "weil sonst wäre es fad" - interviewt und sie sanft aus ihren Komfortzonen in jene Gebiete gelotst, wo das herkömmliche "Gockelgehabe" abfällt und "die Hosen auch schon einmal runtergelassen werden". Das aus vielen Gesprächsstunden destillierte Stück "Die wunderbare Zerstörung des Mannes" ist, wie Gruber sagt, "eine Analyse oder ein Psychogramm", man könnte es auch eine Zustandsbeschreibung nennen. Eine Botschaft oder moralische Warnsignale werden in jedem Fall nicht versendet. Das lag ohnehin nie in seiner Absicht, vor Jahren hat er schon dem konventionellen Theater, das inzwischen "zu so einem komischen Museum" geworden ist, den Rücken gekehrt . Gruber ist längst in die künstlerische Autonomie in Form seines aktionstheater ensembles gedriftet, das er in Wien und Bregenz betreibt. Für seine blitzschnelle Reaktion auf die Flüchtlingswelle "Kein Stück über Syrien" 2015, in dem er das Gutmenschliche genauso ironisierte wie die dumpfen Fremdenängste der sich langsam radikalisierenden Mitte, wurde er im Jahr darauf mit dem Theaterpreis "Nestroy" ausgezeichnet.
THOMAS: Ich bin ja ein neuer Mann. Als einer, der sich von diesen Männerklischees freigemacht hat, also zumindest denkt, sich davon frei gemacht zu haben.
Sechs Männer stehen auf der Bühne. Sie erzählen die Geschichten aus ihrem Alltag: von der dominanten Mutter, der Dauererektion im Schwimmbad, der Abneigung gegen "Blümchensex", dem Heldengefühl in einem Baumarkt und der Unsicherheit, ob man denn einer Frau überhaupt noch nachschauen dürfe. Aber sie lassen auch ihre Ängste, Sehnsüchte und Schuld-wie Schamgefühle vom Stapel. Alles mit dem Echtheits-Zertifikat, weil tatsächlich von den Protagonisten erlebt. Aber bitte nicht zu glauben, dass man es hier mit "Dokumentartheater" zu tun hätte: "Es geht weniger um Wahrheit, als um Wahrhaftigkeit. Hier wird nichts simuliert und nicht so getan als ob. Die sechs Jungs sind hier und jetzt, auf einer nackten Bühne. Und alles, was sie sagen, ist hier und jetzt."
Männliche Orientierungslosigkeit
Diese Wanderungen durch männliche Identitäten kennzeichnen sich durch einen gemeinsamen Nenner: die Orientierungslosigkeit. Jeder möchte einer sein, aber gleichzeitig wisse keiner von denen, was ein idealer Mann ist: "Wo endet der Macho auf und wo fängt der Waschlappen an. Und dazwischen schwebt immer die Frage: Was darf ich denn eigentlich noch?"
THOMAS: Was das in Frauen auch für ein Männerbild ist, das ist schon krass.
Die Idee zur "wunderbaren Zerstörung" ist ihm schon Monate vor der weltweiten Explosion der #MeToo-Debatte gekommen, wobei der Diskurs natürlich in diesem Projekt mitschwingt, ohne beim Namen genannt zu werden: "So sehr die #MeToo-Debatte auch ihre komischen Ausreißer hatte, so sehr wird sie auch dazu beitragen, alte, verkrustete Strukturen aufzubrechen. Wir brauchen einfach einen Deal. Wir leben ja schon länger in einer Art Twilight-Zone, wo die explizite Fähigkeit, sich in jemanden hineinversetzen zu können, immer gefragter wird. Und natürlich befinden wir uns auch in einer völligen Regression, wo politisch die Rückkehr zum Uralt-Macho gefeiert wird." Ein Zeitklima, das für Gruber nichts Geringeres als "eine einzige Katastrophe ist".
FABIAN: Ich kann nichts dafür. Mir steht er einfach immer. Also auch im Schwimmbad. Ich habe ihn nie unter Kontrolle. Ich kann das nicht lenken. Ich bin sozusagen meinem Schwanz total ausgeliefert.
Unlängst hatte Gruber die TV-Korrespondentin Antonia Rados in einer Talk-Sendung sagen hören, dass "Donald Trump im Nahen Osten nur mit jenen Männern paktiert, denen er auch eine bestimmte Stärke zutraut". Diese Stärke sei natürlich ein Surrogat, an dem sich Trump wie ein narzisstisches Kind festhält, weil keinerlei Schwäche gezeigt werden darf: "Das wird im klassischen Männerbild einfach nicht zugelassen Und die jugendlichen Selbstdarsteller in der Politik machen es ihm nach."
ANDREAS: "Ich nehme mich so wichtig, so wahnsinnig wichtig, wisst ihr, und dann denke ich mir: Andreas, forget it, you're just a little small piece. Bleib mal auf dem Boden. Du bist jetzt nicht Abdullah der Dritte."
Opfer auf beiden Seiten
Womit wir schon wieder einmal beim It-Knacks gelandet sind. "Der Mann als narzisstisches Kind", ein Thema, das, nicht nur seit Trumps erratischen Ego-Kreuzzügen, als vorrangig männliche Problematik in der Populärpsychologie klassifiziert wird. Ein Klischee, findet Gruber: "Der Unterschied zwischen den einzelnen Menschen ist viel größer als zwischen den Geschlechtern. DEN Mann gibt es genauso wenig wie DIE Frau, es existieren nur Frauen wie Männer."
SASCHA: "Ich habe noch nie etwas Großartiges gemacht ( ) Aber wenn ich etwas baumäßig geschaffen habe, etwas Eigenes kreiert habe, dann gibt mir das eine Kraft. Wenn ich bei der Arbeit so meine Arme sehe, fühle ich mich so ein bisschen wie, wie so ein, wie so ein Westernheld."
Die noch immer ungebrochen herrschenden patriarchalen Strukturen forderten auf beiden Seiten ihre Opfer. Frauen sei der Zugang zur Verantwortung noch immer verwehrt, während Männern der Boden unter den Füßen wegbricht, weil sie ihre Versorger- und Erhalter-Rollen in diesem System nicht mehr behaupten können: "Das führt zu einer massiven Flucht in die Selbstinszenierung und Selbstoptimierung und auch zu einer Beschwörung von Attitüden der Männlichkeit wie der Stählung des Körpers in Fitnesscentern."
FABIAN: Das Wort Versager trifft ja auch nur auf Männer zu. Versagerin hört man nie.
Vor einigen Wochen las Gruber in profil (Nr. 13/2018) das Interview mit dem Männertherapeuten Björn Süfke, der die gefühlsfeindliche Sozialisation von Männern als Ursache dafür sieht, dass ihnen das Artikulieren ihre Gefühle bis heute so schwer fällt. Eine Beobachtung, die Gruber auch bei seinen Protagonisten machte: "Da gab es viele machistische Gesten und Gockelgehabe, aber wenn man tiefer ging und das Umfeld frei gestaltete, konnte es auch schon drei Minuten später zu regelrechten Zusammenbrüchen kommen. Um es mit dem verstorbenen Kanzler Fred Sinowatz zu sagen: Es ist alles irgendwie sehr kompliziert."