Zum Tod von Martin Blumenau: Der Fußballverbesserer
Unter Sportjournalisten genoss „der Blumenau“ nicht den besten Ruf. Zu oft fühlte sich die Szene angegriffen, von den spitzen Analysen des Intellektuellen, der große Fußballexpertise besaß. „Ein Gscheiterl“, nannte ihn ein Sportjournalist mir gegenüber einmal und bestätigte damit, was Blumenau so treffend kritisierte. Zu gescheit ist hierzulande verdächtiger als alles andere. In der kleinen, gut „verhaberten“ österreichischen Fußballbranche wurde er der Besserwisserei bezichtigt. Doch alle, die sich von Blumenau an den Pranger gestellt fühlten, haben seine Intention gründlich missverstanden. Blumenau prangerte Zustände und Missstände an, nicht Personen. Er kritisierte Vetternwirtschaft, Dilettantismus, Verbandspolitik, die Bestellung von Funktionären aufgrund alter Meriten, also das Wesen des heimischen Fußballbetriebs. Blumenau stellte das System an den Pranger. Und das war vor zwanzig Jahren (und auch danach) dringend nötig, weil es sonst niemand tat. Man werde doch nicht die Hand, die einen füttere, beißen und das Produkt, von dem alle gut leben, beschädigen, betonten Sportjournalistengrößen freimütig. Kritik galt als etwas Destruktives, als „Suderei“. Doch wer Blumenaus Texte akribisch las, entdeckte vor allem Konstruktives in ihnen, sofern man dazu bereit war, eigene Denkmuster zu hinterfragen.
Blumenau war lange der einzige Journalist, der in der kleinen österreichischen Fußballszene Zusammenhänge vielschichtig betrachtete. Er verstand das Spiel, die Verbände, die Vereine, die Politik dahinter, die Medien, die Verhaberung. Er erkannte die Probleme und verstand es, sie präzise und pointiert zu beschreiben. Sein Vorteil: Er konnte sich den Blick aus der Vogelperspektive leisten, war kein Sportjournalist, welcher der Sozialisation seiner Branche oft gar nicht entkommen konnte. Außergewöhnlich war sein Tun trotzdem. Österreich ist reich an Intellektuellen. Doch die klugen Köpfe des Landes haben in der Regel ein Manko, eine Schwachstelle, ein großes Defizit: Sie interessieren sich nicht für Fußball. Und wenn sie es doch tun, begreifen sie diesen mit dem verstellten Blick des Fantums, nicht mit der nötigen Distanz wie sie ihre Kernthemen Politik, Wirtschaft, Kultur verstehen. Der ORF-Anchor Armin Wolf zum Beispiel brächte all das Rüstzeug mit, um auch das Fußballgeschäft kritisch zu durchleuchten, doch es interessiert ihn (wie so viele kluge Köpfe) einfach nicht. Martin Blumenau war ein rares Gut: Ein intellektueller Fußballfreak und Fußballversteher.
Sportjournalismus funktioniert bis heute oft nach einem problematischen Muster: Man arrangiert sich mit den Protagonisten und erfährt dadurch jene Dinge, die Zeitungsseiten nun mal füllen. Im Gegenzug verschont man den auskunftsfreudigen Präsidenten, den Trainer, den Sportdirektor von Kritik. Blumenau brach dieses System auf – zumindest geistig – indem er ungeniert mit dem Finger darauf zeigte. Er durchleuchtete den oft dilettantisch geführten Fußballbetrieb und die willfährigen Medien. In seinem Windschatten konnte eine Generation an Journalisten heranwachsen, die sich an seinem Tun, seinem Zugang, seinen aufrüttelnden Appellen, ein Beispiel nahm. Blumenau gefielen kritische Geister, Aufmüpfige, Kluge, Mutige, Widerspenstige.
Wie so viele, die den Fußballbetrieb kritisch betrachten, ermüdeten ihn die immer gleichen Spielberichte der etablierten Medien, die Niederlagen mit vergebenen Torchancen, Schiedsrichter-Fehlentscheidungen oder einem verletzten Starspieler erklärten und dabei das große Ganze nicht sehen wollten oder konnten. Blumenau war es eine Freude zu beobachten, wie (vor allem in den neuen Online-Medien) eine kritische Szene entstand, die das Fußballspiel so beschrieb, wie es journalistischen Standards entsprach, frei von Klüngelei, aber mit scharfem Verstand. Er versammelte junge, mutige, und kritische Stimmen in seinen Analysen zu einer Art Gegenbewegung, die dem etablierten Sportjournalismus zunehmend zur ernsthaften Konkurrenz wurde und den Boden bereitete für die heutige, wesentlich diversere Szene.
Ein Sport-Redakteur bezeichnete diese neue Welle vor einem halben Jahrzehnt noch abschätzig als "Journalisten, die sich selbst allzu gern zur kritisch-intellektuellen Kontrollinstanz emporschwingen". Das Wesen der Sportberichterstattung war hierzulande derart entfremdet, dass die tatsächliche Aufgabe jeglichen Journalismus – nämlich Kontrollinstanz zu sein – offen als Gegenmodell angeprangert wurde.
Blumenau schrieb dagegen an. Seine Analysen wurden oft als Besserwisserei abgetan, sein Tun als Nörgelei abgestempelt. Was dabei übersehen wurde: In der Regel wusste er es tatsächlich besser. Martin Blumenau war kein Suderant, sondern ein Hoffender; kurz: ein Fußballverbesserer. Er liebte das Spiel und bildete aus diesem Verhältnis heraus ein Korrektiv, das dem Fußballbetrieb und der beobachteten Szene Weiterentwicklung ermöglichte. Blumenau appellierte, den Fußball nach journalistischen Grundsätzen zu betrachten; er tat dies nicht um zu vernadern, sondern um zu verbessern.
Seine Analysen fanden eine große Leserschaft, weil der damalige Sportjournalismus ein Vakuum geschaffen hatte, das Blumenau gekonnt bespielte. Er war dazu in der Lage, den Fußball und vor allem das Fußballgeschäft als großes Ganzes zu betrachten, mit all seinen Einflüssen. Heute muss man ihn, der den dringend nötigen Blick von außen auf die gesamte Szene warf, als Pionier bezeichnen – der die Entwicklung des lange wegen seiner Kumpanei und Zahnlosigkeit belächelten heimischen Sportjournalismus vorantrieb. Das ist rückblickend betrachtet eine der großen Hinterlassenschaften des Martin Blumenau, der sich mit so viel Hingabe, Ernsthaftigkeit, kritischem Blick und Scharfsinn einer Nebensächlichkeit wie dem Fußballspiel widmete, wie kein Intellektueller vor ihm.