Zum Tod von Richard Lugner: „Der Kasperl gewinnt immer“
Es war gegen acht Uhr abends und still in Lugners Büro in einem Seitentrakt der Lugner-City, alle waren längst nach Hause gegangen. Die Bettruhe, zu der ihn sein Arzt, fünf Tage vor seinem 90. Geburtstag im Oktober 2022, wegen einer schweren Bronchitis eigentlich verdonnert hatte, ignorierte Richard Lugner (die Haarpracht in frischem Schneewittchenschwarz) selbstredend. Auf die Frage, was heute noch auf dem Terminplan stehe, sagte er „Nichts. Aber ich kann nicht allein sein. Wenn nichts ist, bleibe ich im Büro und arbeite noch ein bisschen.“ Die Angst vor dem Nichts stand ihm ins Gesicht geschrieben. Zum damaligen Zeitpunkt lebte er mit seiner aus Kroatien stammenden Haushälterin und dem Hund Michi in seiner Döblinger Villa. Den Hund habe ihm „die Katzi, eine aus meinem Tierchen-Pool, hinterlassen, sie hat ihn nach ihrem früheren Freund genannt.“ Solche skurrilen Geschichten erzählte Lugner ohne auch nur einen Schimmer für deren Ironie. Er habe immer sehr viel Spaß „mit meinen Bekannten“ gehabt.
Dann räumte er die Kaffeetassen ab und stellte sie in die Küche. So sei er erzogen worden. Seine Mutter habe den Halbwaisen (der Vater, ein Anwalt und späterer NS-Kommandant, kam nicht mehr aus dem Krieg zurück) früh nicht nur mit Disziplin gefüttert, sondern auch mit Selfmade-Millionärsbiografien, „Ford. Rockefeller. Sowas halt.“ Hat gefruchtet. In den „goldenen Zeiten“ habe er bis zu 600 Baustellen gleichzeitig zu betreuen gehabt. Die Antwort auf die Frage nach den möglichen Kriegsverbrechen seines Vaters blieb im Nebulosen. Weit schmerzhafter wirkten die Erinnerungen an die vergangenen Bauboom-Jahre.
Ein paar Zimmer weiter stand auf dem Türschild der Name seines Sohnes Andreas zu lesen. Zwischen Vater und Sohn herrschte trotz der räumlichen Nähe seit Jahren eisiges Schweigen, man habe aber inzwischen gute Übung darin, sich aus dem Weg zu gehen : „Ich hab’ ihm einfach nicht verzeihen können, dass er meine Baufirma nach der Übergabe 1997 innerhalb von zehn Jahren ruiniert hat.“ Sein sehnlichster Wunsch sei es, vermeldete Richard Lugner damals beim Abschied, „noch einmal eine nette Frau zu finden, die ich als meine Nachfolgerin aufbauen kann.“
Die Sause zum 90. Geburtstag in der Hofburg fand damals dann natürlich trotz Bronchitis-Schwäche, mit Hilfe von Kältekammern und Eigenbluttransfusionen statt: 220 Gäste, menschenhohe Torten, ein Segen von Toni Faber, Arien aus der „Zauberflöte“. Drunter ging es nahezu nie. Obwohl, wie Ehefrau Nr. 4, „Mausi“ Christina, einst seufzend feststellte, „die Zeiten echter Dekadenz in Form eines dunkelhäutigen Butlers mit weißen Handschuhen, bei uns war das Geld einfach abgeschafft“ leider schon lange vorbei waren.
Beim Geburtstagsinterview im Oktober 2022 kannte er die spätere Ehefrau Nr. 6, Simone Reiländer, eine Baumarkt-Angestellte, zwar schon, aber noch war die Liaison nicht in trockenen Tüchern. Was sich bald ändern sollte. Das wie immer zwischen Operette, Trash-Kitsch und totalem Camp oszillierende Verbindungsritual der beiden, die bis zu seinem Tod nichts, außer einem halben Jahrhundert Lebenszeit, zu trennen schien, war erst im vergangenen Juni über die Bühne der Öffentlichkeit gegangen. Bei der im Unfrieden geschiedenen Ehefrau Nr. 5, Cathy („Spatzi“), einer pfälzischen Ausdruckskrankenschwester, hatte er noch mit voller Inbrunst „Meine Leidenschaft ist heißer als Gulaschsaft“ geträllert. Auf diese Showeinlage war bei jüngsten Kutschen-Frack-Fantasma verzichtet worden.
Vergangenen Montag starb Österreichs öffentlichster Mensch, der sich Jonathan Safran Foers Romantitel „Extrem laut und unglaublich nah“ zum Lebensmotto gemacht zu haben schien, im Alter von 91 Jahren in seiner Villa in Döbling. Wenige Tage zuvor hatte er noch zu einem Pressetermin zur Promotion eines Piercing-Salons in seine Lugner-City geladen, jenes bunte Geschäftekonglomerat aus Supermärkten, Haarverlängerungsläden, Wettbüros und Kebab-Schnellimbissen („Damit die Leut' nimmer nach Ungarn fahren müssen!“). Auf Krücken, gestützt von Ehefrau Nr. 6 alias Bienchen, soll er dem Fotografen Andreas Tischler versprochen haben, dass dieser „als einziger Fotograf“ in der ersten Reihe stehen werde, wenn Toni Faber die kirchliche Segnung des Bundes von Simone und dem heiratsfreudigen „Kasperl aus Leidenschaft“ (so die Eigendefinition) Anfang Oktober im Stephansdom vornehmen werde.
Schwer zu glauben: Ein einziger Fotograf wäre im Leben des Richard Lugner quasi einer Aufmerksamkeits-Nulldiät gleichgekommen. Lugner war ein Öffentlichkeits-Berserker; mit völliger Ungerührtheit, was spöttelnde Blicke und hämische Kommentare anging, transformierte er sein Leben in einen einzigen Amüsierbetrieb, zu dem er ganz Österreich willkommen hieß – egal, ob in seiner ATV-Dokusoap „Die Lugners“ oder den Opernballdramen um die jeweiligen Leasing-Cinderellas von Paris Hilton bis Kim Kardashian, ob auf Ochsentour als Bundespräsidentschafts-Stimmenfänger oder beim Selfie-Parcours durch die Lugner-City. 300 Selfie-Anfragen seien der Schnitt bei solchen Promenaden gewesen, auch von jungen Leuten, „die mich offensichtlich als Vorbild sehen.“
„Gemma Himmel“ (eine Paraphrase des gängigen Slogans „Gemma Lugner“) wurde in der ZiB2 ein Nachruf-Beitrag am Tag seines Todes getitelt, und tatsächlich hätte sich Lugner wohl diebisch gefreut, denn in allen hiesigen Medien war sein Ableben flächendeckend die Nummer Eins unter den Meldungen; der deutsche Boulevardtanker „Bild“ ließ schon einen Tag nach dem Ableben auf der „Einser“ nach den üblichen „Seine letzten Stunden“-Oden den Streit um das Erbe zwischen den vier Kindern eskalieren und der letzten Gattin „Bienchen“ (die sich auf ein Inserat hin als Gefährtin beworben hatte) eskalieren. Die Nachkommenschaft besteht aus den beiden Söhnen Alexander, 61, und Andreas, 58, aus erster Ehe, Tochter „Jacky“, 30, (aus der Verbindung mit Christina „Mausi“ Lugner) und der 40-jährigen unehelichen Tochter Nadine aus einer kurzen Verbindung „mit einer Schauspielerin der Löwingerbühne. Die Nadine will aber ka Öffentlichkeit, da is die ganz heikel“. Nadine lebe gut verheiratet als Familienrichterin in Nevada, erzählte Lugner („Republikanerin?“ – „Selbstverständlich!“). Wenige Monate vor seinem Tod soll er sie noch in den USA besucht haben.
Dass das Erbe, das u.a. in zwei Stiftungen liegt, nicht nur wegen der Aufteilung, sondern auch wegen der Schulden, die Lugner 2022 „im zweistelligen Millionen-Bereich“ ansiedelte (kolportiert werden 65 Millionen), keine leichtfüßige Angelegenheit werden wird, ist sicher. Tochter Jacky, inzwischen mit dem FPÖ-Stadtpolitiker und ideologischem Hardliner Leo Kohlbauer (der sich nach der Trauung Lugner nennt) verheiratet, gilt in dieser Kombi als satisfaktionsfähige Phalanx, aber auch Witwe „Bienchen“ wird mit Sicherheit nicht aufhören, um ihre Rolle zu kämpfen.
Ehefrau Nr. 4 Christina Lugner trommelte die Medienmeute, gestylt wie eine Jackie O. der „Seitenblicke“-Karawane, in ihrer üblichen Party-Location, dem „Strandcafé an der Alten Donau“, bereits einem Tag nach dem Tod ihres Ex-Mannes zusammen. Weinend und stark geschminkt ließ sie die Mikrofone wissen, dass „das Leben irgendwann endet, aber die Liebe nie“ und dass sie überdies hoffe, dass Richard beim kommenden Opernball „auf uns alle von oben herabschauen und Alles Walzer rufen wird!“ The show must go on.
Lugners alljährliche Reality-Operette in der Oper, der die inzwischen verstorbene Ball-Organisatorin Christl Schönfeldt einst den Titel „Der Lugner und seine furchtbaren Frauen“ verpasst hatte, begann eigentlich mit einem Mann und war die Rache an einer Society, die ihn trotz seines unternehmerischen Erfolgs nie für voll nehmen wollte. 1992 hatte Lugner sein Damaskuserlebnis, als er sich die Showgröße Harry Belafonte heuerte. Da begriff der Selfmade-Millionär, der seine ersten Jahre in einer Zimmer-Küche-Kabinett-Tristesse mit Gangtoilette verbracht hatte, dass eine Trittbrettfahrt im Scheinwerferlicht eines A-Promis ihn auch selbst in ungeahnte Höhen katapultieren konnte. Plötzlich hatten sich auch jene, die Lugner zuvor vor allem vom Wegschauen kannten und als penetranten Parvenu abstempelten, vor seiner Loge artig angestellt. Auf einmal baten auch jene Society-Reporter, die Lugner sonst nur mit spitzen Fingern angriffen und gerne witzelten, „dass der Mörtel auch zur Eröffnung eines Briefkuverts kommt“, um Audienzen.
Hatte sich Österreichs öffentlichster Mensch in früheren Balljahren noch an den Erotik-Idolen seiner Generation wie Joan Collins oder Raquel Welch abgerackert, wurden die Miet-Madamen später zunehmend jünger: Carmen Electra, Spice-Girl Geri Halliwell („Die war die schlimmste von allen“), Paris Hilton oder 2011 (die bloße Erwähnung des Namens lässt die Ball-Organisationsseelen bis heute nach ihren Riechfläschchen verlangen) Silvio Berlusconis „Bunga-Bunga“-Ruby Rubacuori, damals freche 19. Seit dem Ruby-Gate war Lugner in eine Loge im zweiten Rang verbannt, was ihn so fuchste, dass er einer Mitarbeiterin des Ballbüros gar mit einer polizeilichen Anzeige drohte.
„Schauen Sie“, erklärt er seine Aufmerksamkeitsbesessenheit, „mir macht das halt einfach Spaß.“ Seine seit 2007 Ex-Ehefrau Nr. 4 Christina fürchtete bisweilen, dass dieser Spaß auch Suchtcharakter habe: „Der Richard braucht das ständige Kasperltheater inzwischen wie Sauerstoff.“ Lugner war eben der Mann, der sein Leben konsequent mit einer Reality-Soap verwechselte und mit fortschreitenden Jahren eine Kasperltheater-Pathologie entwickelte : Mit dem privaten Fernsehsender ATV schloss er schon 2003 einen faustischen Pakt und turnte im Trash-Format „Die Lugners“, zuerst mit „Mausi“, danach mit wechselnden (vom Sender gecasteten) Gespielinnen, die alle Tiernamen wie „Katzi“, „Hasi“ oder „Bambi“ verpasst bekamen, und der bedrückend introvertierten Tochter Jacky den Reichen für Arme vor. Vor der Kamera ließ er sich die Nasenhaare trimmen, zwängte sich in Samba-Kostüme, verlangte Ketchup zu seinen Austern, gab ungenierte Kostproben seines marginalen Englisch („I don’t be a playboy“ oder „Pliiis, we have contract“ in Richtung seiner Opernball-Mieterrungenschaften) und zoffte sich mit der Familie.
Seinen TV-Redakteur Titus Hollweg, der über fünf Jahre slang Lugners Manien dokumentiert, konnte sein Protagonist immer noch erstaunen: „Als sich der Lugner wieder einmal mit der Mausi fetzte, musste ich das Band wechseln. In der Sekunde haben sie aufgehört. Als die Kamera wieder lief, kam der Einsatz nahtlos. Sowas ist ein Geschenk.“
Im Exhibitionismus um jeden Preis und mit der größten Schonungslosigkeit gegenüber sich selbst war Lugner Pionier. Er stellte sich freiwillig und in Eigenregie bloß und hatte auch noch Spaß dabei. Zumindest temporär: „Der Richard war immer ein Getriebener, der nie seine Ruhe gefunden hat“, konstatierte Mausi schon vor Jahren sorgenvoll aus der Ferne. Lange vor den öffentlichen „Golden Trash“-Dynastien wie den Kardashians, Osbournes und den Geissens lebte Lugner die These des Schriftstellers Philip Roth, dass das „Leben eine einzige große Show ist.“ „Ich kenne keinen Menschen, der so authentisch ist“, schwärmt seine Biografin Andrea Buday („Die Mörtel-Story“): „Er verstellt sich eben nicht. Das macht ihn einzigartig.“
Über die Angst, beim Authentisch-Sein zur Lachnummer zu werden, war Lugner längst erhaben: „Schauen Sie“ (so begann er seine Interview-Antworten nahezu durchgehend), „wo Licht ist, ist eben auch Schatten. Ich sehe immer alles positiv.“
Der Münchner Regisseur Helmut Dietl setzte dem Nestroyschen Wiener, ohne ihn zu kennen, schon 1986 ein Denkmal –mit dem Klebstoff-Mogul Heinrich Haffenloher, brillant von Mario Adorf dargestellt, in der TV-Satire „Kir Royal“. Der Geldprolet winselt den Klatschreporter Baby Schimmerlos an, Teil einer Gesellschaft zu werden, die der Wiener Publizist Karl Kraus Jahrzehnte zuvor skizziert hatte: „Es war alles da, was da sein muss, und was sonst nicht wüsste, wozu das Dasein ist, wenn es eben nicht dazu wäre, dass man da ist.“ Als Schimmerlos zickt und die Berichterstattung über den Klebe-Magnaten unter seiner Würde findet, brüllt der Fabrikant: „Ich scheiß’ dich zu mit meinem Geld!“
Über solche Verzweiflungsakte konnte Lugner nur lachen, denn: „Der Kasperl gewinnt doch am Ende immer, der Kasperl wird von niemanden derschlagen.“
Er sollte Recht behalten.