„Welcome Home Baby“ ist Prochaskas vierter Kinofilm, oder sein fünfter, weil er von „In 3 Tagen bist du tot“ ja einen zweiten Teil gemacht hat (oder sein sechster, weil er davor auch noch einen Kinderfilm gedreht hat, Anm.). Es ist jedenfalls der erste, seit vor elf Jahren „Das finstere Tal“ in die Kinos kam, dieser seltsam verstörende Alpenwestern, in dem Sam Riley und Tobias Moretti durch eine brutale, patriarchale Gesellschaft und das tief verschneite Südtiroler Schnalstal ritten. Auch bei „Welcome Home Baby“ geht es wieder um eine Familiengeschichte, der Film ist irgendwo zwischen Horror und Psychothriller angesiedelt, ein „Body-Horror der Seele“, hat der Autor Thomas Willmann den Film laut Prochaska genannt, und das ist eine Charakterisierung, mit der er ganz gut leben kann. „Ich habe versucht, psychologisch tiefer zu gehen. Mein größter Horror ist, das Publikum zu langweilen.“
Wobei das ein Vorwurf ist, dem man Prochaska sowieso selten machen kann. Im Gegenteil: Er hat ein Händchen für Suspense, und damit wurde er in den vergangenen Jahren zu einem der wohl umtriebigsten Regisseure des Landes, auch weil er wenig Berührungsängste hat, schon gar nicht vor Mainstream und Massengeschmack. Kino macht er genauso wie Filme fürs Fernsehen und Serien, für Sky zum Beispiel die erste Staffel von „Das Boot“, für ZDF Neo die Vampirserie „Love Sucks“ . Nicht alles eignet sich für eine Retrospektive im Stadtkino, manches aber doch, und genau diesen Spagat findet Prochaska spannend. „Es muss einem bewusst sein, dass das ein Industrieprodukt ist und kein Arthousefilm“, sagt er zum Beispiel über die Arbeit an „Das Boot“. Oder über die britische Teenager-Serie „Alex Rider“: „Ich habe da die Regie in einem komplett kommerziellen Umfeld gemacht. Das einzige Kriterium war da, dass die Serie weltweit funktioniert, und das war spannend.“
Im sehr hörenswerten Podcast „Was soll das alles?“ von Philip Dulle hat Prochaska erst kürzlich zu Protokoll gegeben, dass man, „wenn man in dem Business eine Familie ernähren will, am Fernsehen nicht vorbeikommt“. Der Satz liest sich transkribiert sehr pragmatisch, aber wenn man mit Prochaska im Ubl über seinen Job spricht, dann klingt das überhaupt nicht mehr so, im Gegenteil. Er ist ein guter Erzähler, er spricht leise, langsam, aber trotzdem fast ohne Pause, und in seinen Sätzen schwingt immer ein bisschen Ironie mit. Er erzählt dann, dass er selbst ein „sehr ungeduldiger Mensch“ ist, vor allem wenn er Serien schaut. „Eine Serie frisst unglaublich viel Lebenszeit, eine Staffel sind schnell mal acht, neun Stunden. In der Zeit kann man sich vier Filme anschauen und dabei in vier verschiedene Welten eintauchen und nicht nur in eine.“ Eine Serie, die vier oder fünf Staffeln hat, schaue er sich heute nicht mehr an, meint er, die Gefahr, reinzukippen und dann „gleich mehrere Tage zu verlieren“, sei einfach zu groß.
Meint er das ironisch? Der Mann, der in den vergangenen zehn Jahren insgesamt 45 Stunden Material produziert hat, also Filme und Serien für fast zwei Tage ununterbrochene Bildschirmzeit, sorgt sich um Lebenszeit? Wobei: Bei ihm waren es immerhin zwölf Produktionen, also zwölf verschiedene Welten – für ungeduldige Konsumenten ein fairer Deal. Er selbst hat im Jahr 2024 übrigens insgesamt 125 Filme und Serien gesehen, auf der Database IMDB führt er darüber Protokoll. Jemand, der so viel Zeit mit Bewegtbild verbringt, muss wohl wählerisch sein.
Wir trinken Kaffee, Espresso, doppelt, und Prochaska erzählt jetzt, dass er sehr gern immer unterschiedliche Dinge macht. Er möchte sich nicht wiederholen, meint er, genau deswegen mag er auch, anders als die meisten Menschen, Wes Anderson nicht so gern, weil der doch immer das Gleiche macht. Genau deswegen sei er auch kein Mann für zweite Staffeln, sagt er, Wenn er bei Serien Regie führt, dann interessieren ihn vor allem die jeweils ersten Folgen, die, in denen man die Schauspieler auswählt und den Sound und die Farbe der Erzählung vorgibt. Und wie ist das so mit dem Loslassen, wenn man etwas Erfolgreiches entwickelt hat? Er habe damit kein Thema, meint er.
Die zweite und dritte Staffel der sehr erfolgreichen Sky-Produktion „Das Boot“ hat er übrigens nicht gesehen. Er macht das nie. „Das ist eine Lose-Lose-Situation“, sagt Prochaska: „Wenn sie schlecht sind, dann ärgert man sich, weil man ja die Vorarbeit geleistet hat. Wenn sie besser sind als die eigene Arbeit, aber natürlich auch.“