Zwei Gänge mit … Christian Kern
Von Markus Huber
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Christian Kern sitzt im Gastgarten der Chinabar in der Burggasse, ganz hinten im Eck, eng an den Spielplatz gedrückt. Er sitzt ganz allein, niemand sonst ist im Gastgarten, keine Begleitung, kein Hund, auch kein Sicherheitsmensch. Und bevor man da jetzt blöde Witze macht: Das gehört wahrscheinlich zu den besseren Dingen, die man über Österreich sagen kann. Du hast in diesem Land meistens deine Ruhe, selbst wenn du mal Bundeskanzler warst. Ein paar Monate nach dem Rücktritt lebst du wieder genauso unbehelligt und in Frieden wie davor. Außer natürlich, du bist Sebastian Kurz, aber dann willst du das auch gar nicht, weil du dann nämlich wieder zurück in die Schule und vom Taschengeld deiner Eltern leben müsstest.
Als ich fünf Minuten vor unserem Termin ankomme, ist Christian Kern schon da. Pünktlichkeit war ihm immer schon wichtig, und jetzt hat er endlich auch die Zeit dafür. Seit nicht ganz sieben Jahren ist er nicht mehr Kanzler, seit etwas mehr als fünf auch nicht mehr in der Politik aktiv, wobei man sich jetzt die Frage stellen könnte, was eigentlich absurder war: der Wahlkampf gegen Kurz, in dem er das Kanzleramt verlor, oder die Phase, in der er den SPÖ-Vorsitz an Pamela Rendi-Wagner abgab, um Spitzenkandidat für die EU-Wahl 2019 zu werden, was er dann ein paar Wochen später auch nicht mehr wollte. „Das war nicht meine beste Phase“, sagt Kern heute: „Viele politische Freunde waren zu Recht sauer auf mich und enttäuscht über die Art und Weise, wie ich aus der Politik gegangen bin. Ich hatte deswegen auch lange ein schlechtes Gewissen, es war ein harter persönlicher Aufarbeitungsprozess.“
Kern sieht blendend aus, gut erholt, er trägt einen Anzug, der absolut kanzlertauglich wäre. Blau, in sich gemustert, ein optisch ähnliches Modell hängt bei Sebastian Kurz im Kasten. Gemeinsam mit seiner Ex-Frau hat Kern nach seiner Kanzlerschaft gutes Geld im Energiegeschäft verdient, jetzt arbeitet er unter anderem für einen französischen Konzern im Bahnbusiness und hat daneben ein paar Beratungsmandate: „Ich wollte nie im Lobbying arbeiten und dann an Türen klopfen, hinter denen ich davor selbst gesessen bin. Ich bin froh, dass ich das auch heute nicht muss.“
Er sitzt ganz allein, niemand sonst ist im Gastgarten, keine Begleitung, kein Hund, auch kein Sicherheitsmensch. Und bevor man da jetzt blöde Witze macht: Das gehört wahrscheinlich zu den besseren Dingen, die man über Österreich sagen kann. Du hast in diesem Land meistens deine Ruhe, selbst wenn du mal Bundeskanzler warst.
Gerade war er ein paar Tage am Meer. Jeder, der ihm auf Instagram folgt, weiß das. Er hat offenbar tatsächlich einige Dinge in seinem Leben geändert, auch privat, darüber will er aber nicht sprechen: „Wenn du zu viel über dein Privatleben redest, dann holt es dich irgendwann ein, und du musst auch dann darüber reden, wenn du eigentlich gar nicht drüber reden willst.“ Fest steht jedenfalls, dass er jetzt einen Hund hat, nicht mehr im Siebten wohnt, sondern in einem Haus in den Döblinger Weinbergen, und dass er nicht mehr jede „ZIB 2“ vom Sofa aus via Twitter mitkommentiert, sondern lieber unter den Influencer*innen von Instagram abhängt.
Wir haben uns durch die Vorspeisen gearbeitet (Couscous mit Räuchertofu, 8,20 Euro, sehr spannend, und Thunfisch-Carpaccio „Japan-Style“, 11,40 Euro, in anderen Restaurants nennt man das ganz einfach Sashimi) und sind jetzt bei den Hauptgerichten: Reis mit Spargel für ihn, Calamari mit irgendwas für mich. Kern erzählt, dass er das Kochen für sich entdeckt hat („Ich liebe alles, was ein barockes Vergnügen sein könnte, aber in Maßen. Ein Ossobuco für zwölf Personen zu Weihnachten war jedenfalls mein Durchbruch“) und dass sein neues Arbeitsumfeld ihn angenehm reduziert hat: „Es gab eine Zeit, da waren mir Statussymbole wichtig, ein Dienstwagen zum Beispiel. Als ich beim Verbund angefangen habe und einen Audi bekam, da dachte ich mir: Jetzt hab ich’s geschafft. Heute ist das so ziemlich das Letzte, was mich interessiert.“
Die Leute glauben entweder, du kannst übers Wasser gehen, und dann gibt es andere, die glauben das genaue Gegenteil davon. Aber nichts davon hat mit dir als reale Person zu tun.
Es ist sehr angenehm, mit Christian Kern zu reden. Er spricht in kurzen, pointierten Sätzen, immer mit diesem leicht ironischen Unterton, den er damals schon hatte, als ihm noch häufiger Mikrofone unter die Nase gehalten wurden, und so wie früher kann er komplexe Themen gut auf das Wesentliche herunterbrechen, ohne einem das Gefühl zu geben, dass alles noch banaler ist, als der Boulevard glaubt. Kern hat ein breites Themenspektrum, er analysiert Wirtschaft und Gesellschaft, er kann über Sport, Musik, Literatur und neuerdings auch über Theater plaudern, er ist da ziemlich up to date. Am Ende wird aber jedes Gespräch zur Politik zurückkehren. Kern ist von dem, was derzeit geboten wird, vorsichtig gesagt nicht sehr überzeugt. Den EU-Wahlkampf fand er arm, den öffentlichen Umgang mit Lena Schilling sogar peinlich: „An der Spitze der Gesellschaft, auch in der Politik, sind sehr viele Menschen mit charakterlichen Auffälligkeiten unterwegs, ich würde sehr aufpassen, wenn ich die Eignung für den Job auf die Charakterfrage reduziere.“ Außerdem habe er gelernt, dass man sich in der Politik „im Urteil mäßigen soll: Man ist immer sehr schnell, jeder weiß immer sofort alles und vergisst dabei, dass es im Leben auch Grauzonen gibt.“
Er kann sich bei diesem Thema ziemlich in Rage reden, also zumindest für seine Verhältnisse, und das liegt daran, dass man an der Geschichte mit Lena Schilling gut erkennen kann, was gerade falsch läuft in der Politik: „Viele in dem Betrieb sind zynisch und werden immer zynischer. Der Grund, warum sie eigentlich in die Politik gegangen sind, ist dabei längst verschüttet worden, und das ist das eigentliche Problem.“ Schilling habe zumindest ein Anliegen, einen Grund, für den sie in der Politik kämpfen will, und das sei heute sehr selten geworden, sagt er, und spätestens an dem Punkt ist er wieder bei Sebastian Kurz: „Der war eine ungeformte Persönlichkeit, Politik hat er nur l’art pour l’art gemacht. Er hatte keinen übergeordneten Plan, keine Vision, sondern hat nur Dinge gemacht, die Stimmen bringen.“
Sebastian Kurz verfolgt Kern offenbar immer noch, was einerseits komisch, andererseits ein bisschen verständlich ist. Der polarisierende Wahlkampf 2017 hat die beiden in tiefer Abneigung verbunden, gleichzeitig aber auch dafür gesorgt, dass sie in den jeweiligen Parteien immer noch jede Menge Fans haben, die mehr oder weniger heimlich auf eine Rückkehr hoffen. Bei Kurz ist das offensichtlich, aber auch unter SPÖ-Sympathisanten gibt es nach wie vor einige, die Kern wieder an der Parteispitze haben wollen. Kern weiß das, genauso wie er aus dem Stand weiß, wie viele Menschen ihm auf Instagram folgen (29.100), wie viele seinen letzten Post gelikt haben und wie viel mehr Menschen das sind, als zum Beispiel der aktuelle Parteichef Andreas Babler in den sozialen Medien aktiviert.
Kern hat ein breites Themenspektrum, er analysiert Wirtschaft und Gesellschaft, er kann über Sport, Musik, Literatur und neuerdings auch über Theater plaudern, er ist da ziemlich up to date. Am Ende wird aber jedes Gespräch zur Politik zurückkehren.
Also doch noch nicht so ganz abgeschlossen mit der Politik? „Doch“, sagt Kern. „Die Leute glauben entweder, du kannst übers Wasser gehen, und dann gibt es andere, die glauben das genaue Gegenteil davon. Aber nichts davon hat mit dir als reale Person zu tun. Abgesehen davon sehe ich nicht, wie das in der aktuellen Parteienlandschaft funktionieren soll. Der Rausch des Populismus ist mir einfach viel zu stark ausgeprägt – bei allen Parteien.“ Dass das explizit die SPÖ miteinschließt, muss Kern nicht dazusagen, ich verstehe es auch so.
Wir sind mittlerweile beim Kaffee angekommen, Kern nimmt kein Dessert, die Zeit, das wegzutrainieren, hat er dann auch wieder nicht. Im Moment ist er viel mit seinem Hund unterwegs, auch in der Hundezone im Prater. Die Gespräche, die er dort führt, relativieren vieles. Und dabei hat er erkannt, dass er in seiner Karriere bisher immer sehr viel Glück gehabt hat. Sowohl in der Energiebranche als auch bei der Bahn war der Zeitpunkt für ihn perfekt, er konnte nicht viel falsch machen, meint Christian Kern: „Nur ein einziges Mal hatte ich kein Glück mit dem Timing. Beim Einstieg in die Politik. Da war alles falsch.“
Sebastian Kurz würde nicht widersprechen. Oder vielleicht eben schon.
Markus Huber
ist im Hauptberuf Herausgeber des Magazins „Fleisch“ und schreibt für profil alle zwei Wochen die Kolumne „Powerlunch“.