Man merkt, dass er diese Frage in den vergangenen Wochen oft gestellt bekommen hat. „Es gibt eine Gruppe von Leuten, mit denen man nicht reden kann“, sagt er dann: „Aber wenn in Thüringen 33 Prozent AfD wählen, dann heißt das nicht, dass das alles Rechtsextremisten sind. Ich war vor meiner Reise hier strenger, aber jetzt sehe ich das anders.“ Kazim wirkt müde. Man merkt ihm an, dass so eine Lesereise nicht ganz unanstrengend ist. Er hat aber jede Menge spannende Dinge zu erzählen. Zum Beispiel von seinem Aufenthalt in Heilbronn: Das ist eine der wohlhabendsten Städte im wirklich wohlhabenden Baden-Württemberg – und ausgerechnet dort gibt es überdurchschnittlich viele AfD-Wähler. Woran das liegt? „An den Verlustängsten“, sagt Kazim: „Heilbronn ist ein Audi-Standort, und der deutschen Autoindustrie geht es nicht gut. Sie hat die E-Technologie verschlafen, die Leute spüren, dass da was abrutschen kann. Und wenn dann eine Partei kommt, die sagt, wir brauchen diese Technologie nicht, wir sind ein Verbrenner-Land, dann wählen sie diese Partei.“ Diese Abstiegsangst hat Kazim überall im Land gesehen, und dazu noch die Probleme mit Migration: „Wenn die Landesregierungen Flüchtlinge unterbringen müssen, dann schauen sie, wo es am wenigsten Widerstand geben wird – und das sind natürlich dann die Orte mit möglichst wenig Einwohnern.“ Kazim erzählt von einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, das er besucht hat: „Das ist ein Ort, in dem es nichts gibt, keine Geschäfte, keine Lokale, gerade mal eine Tankstelle. Natürlich kracht es dort dann, wenn auf 500 Einwohner 400 Flüchtlinge kommen.“
Und krachen hat es Hasnain Kazim oft gesehen. Er hat indisch-pakistanische Wurzeln und ist in Norddeutschland aufgewachsen. In einem früheren Leben war er Journalist beim „Spiegel“, er war Südostasien-Korrespondent, lebte in Pakistan und dann in Istanbul, bis die Regierung Erdoğan sein Visum nicht mehr verlängerte. Seit 2016 ist er nun in Wien stationiert, seit fünf Jahren freier Journalist und Autor.
Wenn er so redet, dann merkt man, dass sich Kazim bei seiner Tour sehr viel Verständnis erstrampelt hat, Verständnis und Milde. Hier im „&Flora“ löffelt ein sehr angenehmer Zeitgenosse seine Suppe, ein ruhiger und stiller Mensch, nicht der Rabiatakrobat, den er in den sozialen Medien gibt. Hasnain Kazim schreckt dort selten vor einer Rauferei zurück, und zwar mit Rechten genauso wenig wie mit Linken, auch nicht mit der Politologin Natascha Strobl, die auf ihn seit einer Diskussion über den richtigen Umgang mit der AfD nicht gut zu sprechen ist.
Kazim vertritt die These, dass man mit den Rechten reden muss, und dass es vielleicht ganz gut ist, dass es ein „politisches Ventil wie die AfD gibt“. Und er ist auch der Meinung, dass man in Migrationsfragen durchaus rigider sein muss. „Ich bin absolut gegen No Borders“, sagt er jetzt. „Eine Gesellschaft braucht eine Durchmischung von außen, wir brauchen neue Leute. Wenn man durch Deutschland fährt, sieht man in jedem zweiten Laden ein Schild, dass Mitarbeiter gesucht werden. Aber ein Land muss selbst entscheiden können, welche Leute ins Land kommen, was sie für Werte, Ausbildungen und Weltbild haben. Ich habe in Pakistan Menschen getroffen, die nach Europa wollen, von denen will ich wirklich nicht, dass sie kommen. Generell glaube ich, dass man endlich mal Flucht und Einwanderung trennen sollte.“
Fast acht Jahre lang lebt Kazim mittlerweile mit seiner Familie in Wien. Er hat den Aufstieg von Sebastian Kurz für den „Spiegel“ beschrieben, jetzt muss er in Deutschland den Aufstieg der FPÖ erklären und umgekehrt hier seinen Wiener Freunden begreiflich machen, wie das mit der AfD so ist. Letzteres fällt ihm leichter.
Für sich selbst hat er übrigens bereits eine längerfristige Entscheidung getroffen, sagt er, als wir bereits beim Kaffee sitzen. „Ich habe mir in Wien ein Haus gekauft, und ich glaube, das ist eine Lebensentscheidung. Ich mag die Stadt, ich fühle mich hier wohl, und anders als in Deutschland gibt es in Österreich oder Wien keine ‚No-Go-Areas‘ für einen Mensch mit meiner Hautfarbe, mit meiner Herkunft. In Deutschland gibt es Morde und brennende Heime, das gibt es hier nicht.“
Das werde sich wohl nicht so schnell ändern. Und sonst hat er ja immer noch sein Klapprad, mit dem er dann zu einer Österreichtour aufbrechen könnte. Das hat er an diesem Dienstag übrigens zu Hause gelassen. Es war ihm zu kalt.