Zwei Gänge mit … Marika Lichter
Von Markus Huber
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Marika Lichter betritt das „Schwarze Kameel“. Sie trägt ein weißes Kleid und einen weißen Sonnenhut, eine große Handtasche und ein goldenes Handy, das an einer dreireihigen Perlenkette baumelt. Sie schnauft leicht, sucht mich, entdeckt mich, nickt mir zu. Sie hat den Tisch noch nicht erreicht, da kommt von links ein Kellner geflogen und deutet katzbuckelnd einen Handkuss an.
Sie sitzt noch nicht, da kommt von rechts der nächste, Verbeugung. „Küss die Hand, Frau Professor.“ „Ich bin noch nicht Frau Professor“, sagt Marika Lichter. „Schön, Sie zu sehen, Frau Professor“, sagt der Kellner noch einmal. Lichter nickt und sagt: „Aber angefragt hat man mich schon.“ Lichter erblickt Wiens schweigsamsten Pressesprecher, der ganz allein gleich beim Eingang sitzt und sich auf seine Mahlzeit vorbereitet, grüßt ihn aber nicht. Sie stellt die Handtasche ab, lässt sich in den Sessel fallen und wedelt sich Luft zu: „Haaß isses, Wahnsinn.“
Man kann ihr nicht widersprechen.
Was war das eben für ein Auftritt. Aber er passt auch wirklich gut zu Marika Lichter. Für alle, die noch nie die „Seitenblicke“ gesehen haben: Lichter ist so etwas wie die Grande Dame der Wiener Gesellschaft. Ab 11. Juli singt sie bei den Festspielen in Mörbisch. In den Wiener Kammerspielen tritt sie mit ihrem eigenen, sehr ernsthaften Liederabend „Ich hab (k)ein Heimatland“ auf. Wikipedia führt sie als „Operettensängerin und Schauspielerin“, das ist aber etwas kurz gegriffen: „Die Lichter“, wie man sie nennt, wenn man selbst zu diesem Society-Zirkus zählen will, gehört zum fixen Inventar der „Seitenblicke“. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet sie nicht nur als Agentin und Managerin für andere Künstler, sie organisiert Events, Partys und Veranstaltungen. Lichter ist, wenn man so will, nicht nur selbst ein Star der „Seitenblicke“-Gesellschaft, sie ist auch so etwas wie der Schüssel zu ihr, und das, obwohl sie demnächst 75 Jahre alt wird.
Das „Zum Schwarzen Kameel“ in der Bognergasse ist so etwas wie ihre Heimatbühne, sie hat ihr Büro gleich um die Ecke, und auch die Wohnung, in der sie seit ihrer Kindheit wohnt, ist nur einen Steinwurf entfernt. „Täglich“ würde sie hier vorbeilaufen, sagt sie, „auch in der Früh, wenn ich in der Jogginghose mit dem Hund geh“. „Die Frau Professor sieht auch in der Jogginghose gut aus“, sagt der Kellner, mehr zu mir als zu ihr – wobei, nein, vielleicht doch eher zu ihr. Sie bestellt Wasser „ohne Eis. Wenn es heiß ist, soll man niemals Eiswürfel nehmen“, dazu einen kleinen Vorspeisensalat (7,90 Euro) und danach eine Hendl-brust mit Risotto (28,50 Euro), beides ohne lange in die Karte zu schauen. Wie ist das also mit der „Seitenblicke“-Gesellschaft, Frau Lichter?
Leute, bei denen ich nicht verstehe, was sie eigentlich wollen und warum sie an die Öffentlichkeit drängen, die kommen bei mir nicht vor.
Lichter lehnt sich in ihren Stuhl zurück und stöhnt, es ist wirklich sehr heiß. „I play the game“, sagt sie, „eigentlich gibt es nur noch drei Gründe, warum ich mich abends außer Haus bewege: weil mich ein Freund bittet, weil ich muss und bei der Veranstaltung Sponsoren treffe oder, drittens, wenn ich mir denke, dass es ein netter Abend werden könnte.“ Am liebsten würde sie aber zu Hause bleiben, hinter sich die Wohnungstür zumachen und einen netten Film schauen.
Aber kann man ihr das glauben?
Lichter ist eine Nummer in dem Business, das sagen alle, die sich damit besser auskennen. Sie kann Menschen zu Society-Größen machen, indem sie sie immer wieder auf ihre Veranstaltungen einlädt, und gleichzeitig Karrieren auch empfindlich stören, wenn sie sie von ihren Einladungslisten streicht. Vor meinem Essenstermin hatte mir eine Bekannte fast ehrfürchtig von der Macht Lichters erzählt („Du willst sie nicht zur Feindin haben“), und umso überraschter bin ich jetzt, wie entspannt sie selbst ihr Business sieht. „Wirklich viele A-Prominente gibt es in Österreich ja nicht“, sagt sie, Desirée Treichl, Elisabeth Gürtler und Agnes Husslein gehören für sie zu dieser Gruppe, dazu noch ein paar Wirtschafts- und Industriekapitäne. Aber sonst? „Ich hab für meine Veranstaltungen zwei Listen. Eine ist die für die wirklichen Promis, die andere nenne ich ‚Fake it till you make it‘.“ Da kämen immer wieder neue Leute rauf, andere runter, wenn sie in der Öffentlichkeit Blödsinn erzählen zum Beispiel, oder wenn sie sich während der Pandemie über die Maßnahmen beschwert haben und dann trotzdem zu Ostern still und leise auf die Malediven geflogen sind. Lichter ist da streng, sagt sie. „Leute, bei denen ich nicht verstehe, was sie eigentlich wollen und warum sie an die Öffentlichkeit drängen, die kommen bei mir nicht vor.“
Ansonsten ist Society in ihren Augen ein ganz pragmatisches Geschäftsmodell. Wer etwas zu verkaufen hat, der macht das einfach gerne über Veranstaltungen, sagt sie: „Die ‚Seitenblicke‘ sind nach wie vor eine der meistgesehenen Sendungen des Landes, da kann man sehr viel transportieren.“ Was es dafür braucht? Vier oder fünf gute Namen, die auf eine Veranstaltung kommen, das würde bereits reichen. Damit diese Leute kommen, muss man sie gut behandeln, sie nicht mit dem Essen fotografieren zum Beispiel, manchmal auch mit Give-away-Sackerln nachhelfen und ansonsten dafür sorgen, dass über die Veranstaltungen berichtet wird. Hier helfen ihr ihre Kontakte.
Lichter erzählt, dass längst nicht mehr auf allen Events Journalisten anwesend seien, weil die Redaktionen eben unterbesetzt seien, sie schreibt deswegen selbst Texte über ihre Events, die sie mit Fotos an befreundete Journalisten schickt: „Ich bin da sehr genau. Wenn ein Prominenter doch nicht gekommen ist, dann korrigiere ich das auch.“ Society-Berichterstattung sei ein Geben und Nehmen, sagt sie, und ich glaube ihr das sofort.
Die Hochzeit von Lugner hatte sehr hohe Quoten, offenbar können sich die Menschen daran doch nicht sattsehen.
Marika Lichter säbelt sich durch ihre Hendlbrust, ich durch meinen Tafelspitz (22,50 Euro, ein Klassiker, aber hier im Kameel echtes Essen und kein in Suppe schwimmendes geschmackloses Fleischstück mit fragwürdigen Beilagen wie anderswo). Sie ist eine schlagfertige Erzählerin, kann Pointen setzen und hat dabei einen trockenen Humor. Sie ist schnell im Kopf und bringt dabei Witze, die manchmal erst ein bisschen später sickern. Ziemlich sicher könnte man mit Marika Lichter lange und lustig lästern, aber das ist natürlich auch gefährlich, weil man ja nicht weiß, wen sie aller wie gut kennt, also entscheide ich mich dagegen. Man merkt jedenfalls sofort, dass diese Frau Jahrzehnte der Wiener Society-Geschichte in ihrem Hirn abgespeichert hat und dass sie sich dessen bewusst ist.
Wir trinken Espresso, und ich frage Lichter, ob sie nicht auch das Gefühl hat, dass ihr Geschäftsmodell allmählich ausstirbt, denn wenn man mehr als drei Mal hintereinander „Seitenblicke“ gesehen hat, dann kennt man alle Handlungsträgerinnen. Spätestens nach dem vierten Ständchen von Andy Lee Lang fühlt man sich selbst als 50-Jähriger noch blutjung – und warum sieht man eigentlich keine Influencer auf derartigen Veranstaltungen? Würden die nicht durch ihre Storys auf Instagram die Sehnsucht nach Yellow Press und schönen Menschen genauso befriedigen wie die neunte Hochzeit von Richard Lugner?
Auch das sieht Lichter pragmatisch. Die Leute schauen die Formate „Seitenblicke“, das ATV-Pendant von Dominic Heinzl, „die Hochzeit von Lugner hatte sehr hohe Quoten, offenbar können sich die Menschen daran doch nicht sattsehen“, und die Konkurrenz der Influencerinnen fürchtet sie nicht: „Wenn die Veranstaltung groß genug ist, kommen sie auch, und sie tragen die Society dann in ihre Formate. Das ist doch gut.“
Zwei Stunden sind vergangen, seit Lichter ihren großen Auftritt hatte. Jetzt muss sie sich beeilen, schnell ins Büro, dann nach Hause und ab zum ORF, wo sie einen Auftritt im Studio 2 hat. Beim Verlassen des Lokals merke ich, dass Wiens schweigsamster Pressesprecher immer noch bei seinem Essen sitzt.
Markus Huber
ist im Hauptberuf Herausgeber des Magazins „Fleisch“ und schreibt für profil alle zwei Wochen die Kolumne „Powerlunch“.