Zwei Gänge mit … Matthias Hartmann
Von Markus Huber
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Es werden zwei Stunden und 20 Minuten vergehen, bis Matthias Hartmann jene zwei Sätze sagen wird, die ihm wirklich wichtig sind. Zwei Stunden und 20 Minuten, in denen wir Wein trinken und essen (Thunfisch in Sesamkruste, 19 Euro, gut, aber intensiv gewürzt, Tagliatelle mit Garnelen, 32 Euro, die Nudeln sehr weich und die Sauce ein bisschen zu cremig). Hartmann wird in dieser Zeit erzählen, was er vom aktuellen deutschen Sprechtheater hält (nicht viel) und was er derzeit so macht (Oper und Fernsehen), und es werden unterhaltsame Stunden sein, weil Hartmann ein großartiger Erzähler ist. Er hat ein gutes Gespür für Pointen, weiß aber auch, dass jede gute Geschichte einen unerwarteten Twist braucht, und deswegen wird er nach zwei Stunden ansatzlos sagen: „Ich möchte nicht mehr der Matthias Hartmann sein, der ich früher war. Ich hatte keinen Respekt, war arrogant und maßlos. In dieser Position wurden mir die Füße über dem Boden zu leicht.“
Der Matthias Hartmann von früher, der etwas zum Abheben neigte, war Direktor des Burgtheaters, ein gefragter Regisseur und Intendant im deutschsprachigen Theater. Er füllte die Häuser, zuerst in Bochum, dann in Zürich und schlussendlich auch in Wien. Fünf Jahre lang war er uneingeschränkter Herrscher über die Burg, er war nicht nur der Direktor, sondern auch dessen eifrigster Regisseur, er inszenierte die großen und wichtigen Stücke, verdiente gut, und das ließ ihn noch größer werden als die 193 Zentimeter, die er im Pass vermerkt hat. Der Burg-Hartmann war fast die Karikatur des typischen Deutschen samt Porsche, Rolex, Villa in Hietzing und war zumindest nach außen so frei von Selbstzweifeln, wie es sonst nur der FC Bayern München ist, wenn die Mannschaft auf einen Regionalligisten trifft. Bei einem Heimspiel.
Doch dann platzte der Burgskandal, diese Geschichte mit dubiosen Handkassen und Bilanzfälschungen, die alle schon in der Zeit weit vor Hartmann angefangen haben. Verantwortlich waren zwar andere, zum Beispiel die kaufmännische Direktorin des Hauses, aber der Deutsche, der sich mit seinem selbstbewussten Auftreten nicht nur Freunde gemacht hatte, war ein guter Sündenbock. Der damalige Kulturminister Josef Ostermayer warf ihn im März 2014 raus. Hartmann war damals gerade 50 geworden und stand plötzlich nicht nur ohne Chauffeur und Dienstwagen da, sondern auch ohne Auftrag und Perspektive. Wie geht man damit um? Vor allem, wenn man sich selbst jetzt nicht unbedingt ganz schlecht findet?
Matthias Hartmann sitzt im Magazin in der Salzburger Augustinerstraße. Es ist sein neues Lieblingsrestaurant, eine Mischung aus Gourmetlokal, Weinhandlung und Spezialitätenladen, mit vernünftigem Essen und noch vernünftigerer Weinkarte, spektakulär in den Mönchsberg reingehauen. Man kennt Hartmann hier mittlerweile so gut wie früher in Wien im Vestibül oder im Palmenhaus, nur dass ihn der Kellner nicht mehr mit „Herr Direktor“ anspricht, sondern simpel mit „Matthias“. Als ich ankomme, ist er bereits da, er trinkt Saft und hämmert auf sein iPad, offenbar hatte er gerade einen guten Gedanken.
Wen man sich mit zu häufigem Besuch zum Feind macht?
Sepp Schellhorn, der direkt darüber, am Mönchsberg, sein Lokal M32 betreibt.
Hartmann hat sich verändert, optisch auf jeden Fall, und das liegt nicht nur daran, dass er vor ein paar Monaten 60 Jahre alt geworden ist. Er wirkt weicher. Weicher und weißer, die verbliebenen Haare sind nicht mehr so akkurat an den Seiten gestutzt wie früher, aber das ist gar keine schlechte Idee, es nimmt ihm das Strenge, Managerhafte. Und vielleicht passt das auch ganz gut zu seiner aktuellen Situation. Hartmann muss nichts mehr liefern und vor allem niemand mehr beweisen, dass er der erfolgreichste Theatermacher einer ganzen Generation ist. Seit einigen Jahren lebt er mit seiner Familie in Salzburg, Dietrich Mateschitz hatte ihn kurz nach dem Skandal in sein Reich geholt. In der Mediensparte des Getränkekonzerns war er erst kurzzeitig Senderchef von Servus TV, danach wechselte Hartmann als Berater zu Red Bull Mediahouse und entwickelt dort jetzt Formate, Serien und Dokumentationen. Daneben inszeniert er ein bis zwei Mal im Jahr Opern, zur Zeit in Genua „Idomeneo” von Wolfgang Amadeus Mozart. Warum die Oper und kein Theater? Weil fürs Theater die Zeit fehlt und eine Oper schneller geht, sagt Hartmann: „Bei der Oper bin ich demütig, die Musik ist das große Kunstwerk vor dir. Die deutschen Regisseure wollen sich immer damit profilieren, dass sie die Oper in einem anderen gesellschaftlichen Kontext zeigen und so beweisen, dass sie noch zeitgemäß ist. Aber warum eigentlich, warum muss eine Oper zeitgemäß sein? Idomeneo muss nicht Donald Trump sein.“
Ich hatte keinen Respekt, war arrogant und maßlos. In dieser Position wurden mir die Füße über dem Boden zu leicht.
Ob ihm das Theater fehlt? Matthias Hartmann spricht sehr langsam, immer wieder sucht er nach Worten, bessert sich aus, steigt in Sätze nochmals ein und hört dann zu, ob und wie sie wirken. Ungefähr so hat er seinerzeit auch inszeniert, Proben waren für ihn ein Versuchslabor, in dem er seine Schauspieler erst mal loslaufen ließ, um dann, manchmal erst wenige Tage vor der Premiere, zu wissen, worauf das alles hinauswolle. Also:Fehlt ihm das Theater? So direkt antwortet er darauf nicht, er spricht lieber von einer Weiterentwicklung und davon, dass er Glück hatte: „Wer kann im Leben schon eine Gegenprobe machen?“ Aber dann sagt er doch ja, es fehlt ihm. Aber das macht man nicht parallel. Die Geschichte mit der Burg nagt an ihm, das ist ganz offensichtlich, immer wieder kehren seine Gedanken an die Zeit damals zurück. Das sind die Momente, in denen er noch leiser spricht und zwischen den Sätzen lange Pausen macht. „Ich war nie so mutig wie in der Zeit an der Burg“, sagt er. Nach wie vor weiß er bei jedem Stück, wen er damals besetzt hat und natürlich auch, zu welchem Prozentsatz das Burgtheater in seiner Zeit ausgelastet war. Diese Zahlen gab es vorher nicht und nachher nicht: „Das muss man auch mal sagen.“
Das Theater habe sich in den vergangenen Jahren immer mehr vom Eigentlichen wegentwickelt. „Viele Regisseure denken ihre Inszenierungen nicht mehr vom Zuschauerraum aus“, sagt Hartmann, „und es kann ihnen auch egal sein, wenn die Häuser halb leer bleiben. Das hochsubventionierte deutsche Sprechtheater muss sich nicht beweisen. Das Theater geht den gleichen Weg, den die Neue Musik gegangen ist: Es findet zum Überleben eine Nische jenseits des Mainstreams. Aber wo bleibt die Sehnsucht, Menschen zu verführen und zu verblüffen?“
Wir sind mit dem Essen fertig, es ist kurz nach 16 Uhr, und das Magazin verwandelt sich immer mehr in eine Weinhandlung. Kunden kommen, manche davon erkennen Hartmann und sprechen ihn an, da er eine profunde Expertise in Weinfragen hat. Das hat sich offenbar bis Salzburg herumgesprochen.
Dass die Zuschauerzahlen zurückgehen, ist ein Faktum, im Theater selbst wird das aber oft mit Corona gerechtfertigt und damit, dass die Menschen seither lieber auf der Couch liegen und streamen. Hartmann sieht das anders. Er glaubt, dass es heute oft schlicht und einfach am „Storytelling“ fehlt, das man auch im Theater brauche: „Theater ist Handwerk, das vergessen viele, auf den deutschen Bühnen sind sie nicht so gut darin, ihr Handwerk zu üben. Bei uns kannst du manchmal Glück haben, ein gutes Stück zu sehen, aber es ist Glück. Viele Regisseure kommen mit mediokrem Theater durch.“
Das ist ein Satz, den übrigens auch der Matthias Hartmann von früher hätte sagen können. Und so, wie er dabei grinst, weiß er das auch.
Markus Huber
ist im Hauptberuf Herausgeber des Magazins „Fleisch“ und schreibt für profil alle zwei Wochen die Kolumne „Powerlunch“.