Kino

Höhenflug und Blackout: Schauspielerin Anja Plaschg verstört in "Des Teufels Bad" die Berlinale

Die Musikerin Anja Plaschg, als Soap&Skin international verehrt, hat als Komponistin und Hauptdarstellerin des beklemmenden Historiendramas "Des Teufels Bad" den Wettbewerb der Filmfestspiele in Berlin erschüttert. Porträt einer hochbegabten Selbstzweiflerin.

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Sie sei in den letzten Jahren „irgendwie verstummt“, sagt sie. Die Gründe dafür seien vielfältig: die Pandemie, klar; dann das Leben als Alleinerzieherin, als Mutter einer zehnjährigen Tochter, habe sämtliche Zeitfenster, in denen sie etwas produzieren hätte können, schrumpfen lassen; und die Situation selbstständiger Künstlerinnen in dieser Gesellschaft hätte sich leider grundsätzlich verschärft. Tatsächlich liegt Anja Plaschgs letzte musikalische Veröffentlichung, das Album „From Gas to Solid / You Are My Friend“, fünfeinhalb Jahre zurück. Dabei war sie alles andere als untätig, die Welt hat davon nur nichts mitgekriegt. Das wird sich in den kommenden Tagen, so viel darf man prognostizieren, ändern.

Unter Soap&Skin, ihrem Nom de guerre, den sie sich noch im Teenageralter verpasst hat, legte Anja Franziska Plaschg, geboren 1990 in der Steiermark, drei international akklamierte Alben vor, die ersten beiden 2009 und 2012, das bislang jüngste eben im Herbst 2018. Seither hat sie, wenn sie nicht gerade – wie 2021 geschehen – Kulturereignisse wie die Wiener Festwochen eröffnet, weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit gearbeitet. (Für den Salzburger „Jedermann“ hat sie im vergangenen Festspielsommer ausnahmsweise die Rolle des Glaubens übernommen.) Allein drei Jahre lang hat ein Filmprojekt namens „Des Teufels Bad“ ihre Zeit okkupiert, sie in doppelter Hinsicht in Atem gehalten. Denn sie hat dafür nicht nur den sinistren Soundtrack komponiert, sondern gleich auch die Hauptrolle übernommen. Die Weltpremiere jenes Werks hat nun, am Dienstagabend, im Wettbewerb der Filmfestspiele in Berlin stattgefunden.

Schwester Courage

Und der Part der Agnes, einer frischverheirateten Bäuerin im Oberösterreich um 1750, hat es in sich. Denn es geht in „Des Teufels Bad“, inszeniert von dem versierten Regie-Duo Veronika Franz und Severin Fiala („Ich seh Ich seh“), um ein schauerliches, historisch dokumentiertes Phänomen: Allein im deutschsprachigen Raum wurden mehr als 400 Fälle gottesfürchtiger, lebensmüder Frauen aktenkundig, die sich – um der Todsünde des Suizids auszuweichen – genötigt sahen, Kinder zu ermorden, ihre Tat anschließend zu beichten und sich endlich, gereinigt von allen Sünden, hinrichten zu lassen. Um die Rolle einer derart verzweifelten, sich schrittweise abkapselnden, ihrer Depression zum Opfer fallenden Frau, die zur Täterin werden muss, tatsächlich zu übernehmen, erfordert es Courage. Die Idee allein würde schon die Mutkontingente erfahrener Filmschauspielerinnen sprengen. Aber Plaschg hatte, als sie zusagte, gerade eine einzige größere Filmrolle gespielt, im Wesentlichen bloß sich selbst – in der semidokumentarischen Kinoarbeit „Die Geträumten“ (2016). Die Filmemacherin Ruth Beckermann hatte sich damals, wie sie im Gespräch mit profil sagte, für Anja Plaschg entschieden, „weil sie diese enorme Ausstrahlung hat. Sie ist ein Naturtalent; sie hat, was man in Frankreich Photogénie nennt: Das kann man nicht lernen.“

Der Regisseur Ulrich Seidl hat „Des Teufels Bad“ produziert, was einigermaßen nahelag, fungiert doch Veronika Franz seit bald 25 Jahren als seine engste künstlerische Mitarbeiterin. Im Keller des Wiener Produktionsbüros der Seidl-Film, den man in einen Projektionsraum umgebaut hat, wartet also Anja Plaschg, 33, bereits auf die Menschen, die mit ihr sprechen und sie fotografieren wollen. Man merkt ihr an, dass sie aus Interview- und Fototerminen – wie überhaupt aus sozialen Ereignissen jeglicher Art – eine sehr überschaubare Menge an positiver Energie generiert. Sie steht dennoch freundlich zur Verfügung, weil sie niemanden vor den Kopf stoßen will, aber ihre Zurückhaltung ist spürbar; sie aktiviert, ohne viel dazu zu tun, in jedem Gegenüber den dringenden Wunsch, leiser zu sprechen und das Fragetempo zu drosseln, sie bringt einen dazu, sich augenblicklich auf sie einzustellen. Denn Anja Plaschg ist auf eine Weise introvertiert, die fast ein bisschen bang macht, aber sie stellt sich der Zumutung wie eine, die weiß, dass es nichts nützt, der ständigen Sehnsucht nach Öffentlichkeitsflucht nachzugeben.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.