In ihren Antworten erscheint sie dann doch erstaunlich offen, in ihrer fallweise aufblitzenden Unverblümtheit durchaus paradox.
Selig sterben
Ihre Vorbereitungen auf die gewaltige Herausforderung einer derart existenziellen Leidensgeschichte stützten sich auf die gerichtlichen Verhörprotokolle, die Veronika Franz und Severin Fiala gefunden hatten. Plaschgs Recherche sei aber auch „sehr persönlich“ gewesen; in der Kirche des Ortes ihrer Kindheit, in Gnas, habe sie ein Buch gefunden, das sie das ganze Filmprojekt über begleitet hat. Es heißt „Vorbereitung zum Tode. Über die ewigen Wahrheiten, um fromm zu leben und selig zu sterben“. Es stammt, verfasst von dem italienischen Moraltheologen Alfonso Maria de Liguori, einem Bischof und Juristen, aus exakt der Zeit, in der dieser Film spielt – aus dem mittleren 18. Jahrhundert.
Die ursprüngliche Anfrage, die Franz und Fiala an Anja Plaschg zunächst richteten, betraf aber nur die Filmmusik. Ein paar Monate später kam dann die Frage auf, ob sie sich vorstellen könnte, ein Casting für die Hauptrolle zu absolvieren – sie stimmte zu, und ein weiteres halbes Jahr danach wusste sie, dass ihr der Part der Agnes zufallen würde. Das Gleichgewicht aus Improvisation, Vorbereitung und Intuition zu finden, muss schwierig gewesen sein, zumal Franz und Fiala aus Authentizitätsgründen Wert darauf legen, dass die Dialoge nicht gelernt, sondern extemporiert werden. „Es gab viele Momente der Unsicherheit, in denen ich nicht mehr weiterwusste“, sagt Anja Plaschg. „War das noch gut, passte das so? Es war ein Balanceakt.“
Depressionskino
Das Motiv der Depression, um das „Des Teufels Bad“ sich so schwindelerregend dreht, befeuerte ihren Willen, sich diesem Stoff radikal physisch auszusetzen. „Ich bin selbst von dieser Krankheit betroffen, und auch in meiner Familie finden sich viele Fälle von Depression. Zu meinen frühkindlichen Prägungen gehört der Absturz meiner Großmutter in eine schwere Depression nach dem Tod meines Großvaters. Diese Depression wurde nicht behandelt und nicht erkannt. Sie hielt vier Jahre lang an, und die Zustände, die sie hatte, prägten sich mir tief ein. Ich dachte beim Drehen viel an sie; sie rief immer wieder ‚die Himmelmutter‘ an, bat sie um Hilfe.“ Es sei auffällig gewesen, wie sehr sich auch der Glaube in dieser Depression mutgeäußert habe. Als Kind erlebte sie zudem Besuche bei Verwandten, die in der Psychiatrie behandelt wurden.
„Mein Mitwirken an ‚Des Teufels Bad‘ geht auf das Gefühl zurück, zum Thema Depression etwas mitzuteilen zu haben, die Gelegenheit zu haben, vom eigenen Erlebten zu erzählen.“ Gleichzeitig aber habe sie diese Story als von ihr auch entkoppelt gesehen, weil es „eine größere Geschichte“ sei, in der es nicht um sie gehe, sondern um eine Vielheit, um zahllose Frauenschicksale. „Das war, auch wenn der Körper im Augenblick, in dem man das spielt, es nicht verstehen kann, ein Kraftquell – zu wissen, dass diese Geschichte so viele einschließt, dass wir da etwas herstellten, in dem sich Menschen wiederfinden können.“
Als Abrechnung mit der Zerstörungskraft einer tyrannischen Kirche („einer Sekte eigentlich“) begreift sie „Des Teufels Bad“ auch – als Kritik an einer Institution, die Frauen solches Grauen abverlangte. „Und das im Film Dargestellte reicht ja immer noch in die Gegenwart, stellt auch die Frage, was es bedeutet, als Frau in konservativen Familienstrukturen zu leben.“ In ihrer Verwandtschaft könne sie die katastrophalen Folgen des patriarchalen Würgegriffs noch immer wahrnehmen.
Entfesselte Stimme
In ihrer Musik, die sie seit ihrer Kindheit schon gegen die Zumutungen der Welt setzt, mischen sich Bruchstücke elektronischer Avantgarde mit dem Klassizismus pianistischer Schwermut; die Texte ihrer Songs sind mit stark autobiografischen Unterströmungen durchsetzt, der dramatische Noir-Pop von Soap&Skin hat düstere und weltschmerzhafte Obertöne. Gern wird sie mit der legendären Velvet-Underground-Komplizin Nico verglichen, auch die Isländische Pop-Experimentalistin Björk wird als Vergleichsmodell immer wieder herangezogen, doch die Ähnlichkeit mit beiden hält sich in Grenzen. Tatsächlich ist Anja Plaschg ihr ganz eigener Kontinent; ihre einzigartige Stimme besitze „große Autorität“, hieß es 2009, anlässlich ihres Debütalbums „Lovetune for Vacuum“, in dem US-Musikmedium „Pitchfork“: Wenn sie diese Stimme entfessle, leuchte sie „in den brutalen Farben der Malerei des deutschen Expressionismus“. Von der Schönheit im Hässlichen handle schließlich auch ihre Musik.
Da ist was dran, denn Plaschgs Werk ist stets nah an Traumata und psychischen Abgründen, aber oft auch an der klanglichen Implosion: Die Ruhe und der Sturm, Abgeklärtheit und Heimsuchung sind in ihrer Arbeit gerecht verteilt. 2008, als 18-Jährige, veröffentlichte sie ihre erste EP, seither jagt sie nach jener ganz speziellen Anmut, die sich hinter dem Grauen und der Banalität dessen verbirgt, was wir Alltagsleben nennen. In ihrer Coverversion etwa des Europop-Schlagers „Voyage, Voyage“ förderte sie die in diesem Song tief verborgene Melancholie zutage. Irgendwie gelinge es ihr, „selbst Stille in opernhafte Melodramatik zu verwandeln“, schrieb der Kritiker des britischen Pop-Magazins „The Quietus“ 2012.
Blutschokolade
Bisweilen verfährt sie mit dem Image der finsteren Schmerzensfrau aber auch höchst ironisch: Für das Unternehmen Zotter etwa designte sie 2012 unter ihrem Künstlernamen eine spezielle Edelschokolade aus Weihrauchöl, Rotwein, Bioschweineblut und Kornblumen. Ihre Kindheitserinnerungen an den elterlichen Schweinemastbetrieb haben bei der Kreation dieser blutigen Luxustafel sicher geholfen. Und ab und zu wagt sie sich auch während des profil-Interviews aus der Deckung ihrer Scheu, lacht etwa schallend über die groteske Vorstellung, sie könnte sich je für ein politisches Amt bewerben.
Den Begriff der Perfektionistin kann sie indes nicht von sich weisen. Der Soundtrack zu „Des Teufels Bad“, den Anja Plaschg demnächst auch als Tonträger veröffentlichen wird, entstand über Jahre. Während des Castings, als sie noch nur als Komponistin engagiert war, recherchierte sie vor allem musikalisch: „Ich überlegte mir Klangbilder und welche Instrumente ich einsetzen wollte – und kam zu dem Entschluss, nicht nur solche aus der Zeit und der Region zu wählen, in der diese Erzählung spielt.“ Sie wollte klanglich auch über Europa hinausdenken und beispielsweise eine historische Flöte aus Armenien einsetzen, ein Instrument namens Duduk. „Ich begann, erste Skizzen zu produzieren, aber als die Dreharbeiten näherrückten, hatte ich mental keine Kapazitäten mehr, um an den Tracks weiterzuarbeiten. Ich brauchte nach dem Dreh eine Erholungsphase, um mich einem ersten Rohschnitt der Musik zu widmen.“
Vokal arbeitet sie in der Musik zu „Des Teufels Bad“ ganz anders als in ihren Songs, nämlich „möglichst abstrakt“. Es liege ihr näher, ihre Stimme so zu nutzen. Im Schreiben von Texten habe sie schon immer den schwierigsten Aspekt ihres künstlerischen Tuns gesehen. Diese neue Art des Vokaleinsatzes habe nun genau gepasst: „Es musste eine Metaebene für die Figur der Agnes geben, für ihre Innenwelten, ihre inneren Stimmen.“
Filmmusik habe sich „auf Platz eins meiner liebsten Tätigkeitsfelder gesetzt“, sagt sie noch. Weil die Freiheit, die Möglichkeiten und die Arbeit mit Stille dort besonders ausgeprägt seien. Am Theater, wo sie als Komponistin ebenfalls mehrfach gearbeitet hat, sei man einer ganz anderen Willkür ausgesetzt. „Im Kino reagieren Bild und Ton differenzierter aufeinander.“ Anja Plaschg arbeitet daheim an ihrer Musik, in ihrer Wiener Wohnung, spielt viele Spuren schon dort ein. Es sei „kein superprofessionelles Studio“, aber es genüge für ihre Zwecke. Künstlerische Substanz ist keine Frage allerhöchsten Klangraffinements.
Kein lautes Wort
Als politisch begreift sie ihr Tun, sei es musikalisch oder darstellerisch, definitiv – aber bloß implizit. Es gehe immer um die eigene Haltung, die in der Popmusik doch meist viel sichtbarer sei als in der klassischen Musik. „Aber ich bin halt keine laute Künstlerin. Ich seh mich auch nicht in der Position. Es gibt geeignetere, kompetentere, politisch gebildetere Menschen, die sich da äußern sollen. Das laute Wort liegt mir nicht.“
Sie rollt sich eine Zigarette, während sie über ihr zwangsläufig ambivalentes Verhältnis zu Kameras und Öffentlichkeit nachdenkt. Das Angeschautwerden koste sie eine gewisse Überwindung, aber es sei eben Teil ihrer Arbeit und natürlich auch ein Privileg, insofern wolle sie nicht jammern. „Aber leider fällt es mir schwer, denn das scheint sich nicht wirklich zu ändern: Ich genieße es nicht, im Rampenlicht zu stehen.“ Wenn sie live spiele, erlebe sie fast jedes Mal ein Blackout. „Das ist extrem unangenehm, aber ich habe gelernt, es zu akzeptieren. Es bleibt mir nichts anderes übrig, weil ich mit den Jahren auch gemerkt habe, dass die Welt dadurch nicht untergeht. Die Menschen reagieren empathisch darauf. Ich hab mittlerweile auch die Diagnose einer sozialen Phobie; jetzt weiß ich zumindest, was es ist“, lacht sie. Und sie habe gelernt, dass dagegen ohnehin nur eines helfe: sich zu konfrontieren mit dem, was man fürchte.
Als Schauspielerin würde sie gerne weiterarbeiten, es sei eine luxuriöse Erfahrung, in einem Team an einer derart großen Sache zu arbeiten. „Das ist das Gegenteil meiner sonst praktizierten Arbeitsweise; üblicherweise werke ich in völliger Isolation an meiner Musik. Dieser soziale Aspekt war also, in einem schönen Sinne, herausfordernd. Und lehrreich.“
Bei psychischen oder suizidalen Krisen sowie im akuten Notfall ist es wichtig, Krisentelefonnummern zur Hand zu haben. Die Telefonseelsorge ist unter dem Notruf 142 zu erreichen, rund um die Uhr. Telefon-, E-Mail- und Chat-Beratung ist online unter www.telefonseelsorge.at zu haben.