Sphinx in Uniform

Ägypten: General al-Sisi - der mysteriöse starke Mann am Nil

Ägypten. General al-Sisi - der mysteriöse starke Mann am Nil

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Im Zentrum von Kairo begegnet man ihm auf Schritt und Tritt. Das glatt rasierte Gesicht unter der Uniformkappe blickt von Hauswänden, Bauzäunen und Lichtmasten herunter. Die auf Hochglanzpapier gedruckten Porträtbilder gehen weg wie warme Semmeln, sagen die Straßenhändler auf dem Tahrir-Platz, dem Epizentrum der Revolutionen und Umstürze in Ägypten.

Er war es auch, der den bislang letzten Putsch - einen Staatsstreich gegen Mohammed Mursi, den ersten frei gewählten Präsidenten in der Geschichte des Landes - orchestriert und ausgeführt hat: General Abdel Fattah al-Sisi, Kommandeur der ägyptischen Streitkräfte, Verteidigungsminister und neuerdings auch erster stellvertretender Ministerpräsident der Regierung.

Sphinx in Uniform
Doch wer ist der Mann wirklich, den die kräftig retuschierten Bilder entweder mit seltsam abwesendem Blick oder mit schwarzer Sonnenbrille zeigen? Welche Motive treiben diesen Karriere-Offizier an?

Von sich selbst behauptet al-Sisi, lediglich dem "Befehl des Volkes“ gehorcht zu haben, als er den in der Bevölkerung unbeliebt gewordenen, jedoch legitimen Präsidenten am 3. Juli entmachten und an einem bis heute unbekannten Ort inhaftieren ließ.

„Ein Rätsel”
Aber an der Rolle als bescheidener Diener des Volkes sind längst Zweifel laut geworden. Genauso gut könnte der General, der "ein Rätsel bleibt“ ("New York Times“ ), seine Popularität auch eiskalt dazu nutzen, nach der totalen Macht zu greifen. Die Metropole Kairo hat sich noch keine abschließende Meinung über ihn gebildet.

Ein Abend am Ende des Fastenmonats Ramadan: Langsam füllen sich die Souks und Basare, die Einkaufsstraßen und Schischa-Cafés der ägyptischen Hauptstadt mit Flaneuren, verschämten Liebespaaren, leidenschaftlichen Diskutierern und stillen Genießern der Wasserpfeife. Hier gibt sich die urbane Klasse, die dem politischen Islam der Muslimbruderschaft und ihres grauen, lehrerhaften Funktionärs Mohammed Mursi stets mit Distanz gegenüberstand, ein Stelldichein. Es ist ein Milieu, das sich instinktiv gegen den abenteuerlichen Pan-Islamismus der Religiösen sträubt, in dem das stolze Nationalgefühl Ägyptens keinen Platz zu haben scheint.

„Patriot erster Klasse”

Hier ist al-Sisi der Mann der Zukunft. "Er ist ein Patriot erster Klasse“, meint der pensionierte Armeeoffizier Mahmoud Taher, der sich mit seinem Freund, dem Maschinenbauingenieur Malek Hassib zum Tee im Straßencafé unweit der Wechselstuben der Innenstadt verabredet hat: "Er genießt zu Recht großen Respekt.“

Immer öfter tauchen in Kairo Plakate auf, die al-Sisi gemeinsam mit General Gamal Abdel Nasser zeigen, dem Gründervater des modernen Ägypten: Anführer einer Offiziersrevolte zum Sturz einer korrupten Monarchie, autoritärer Reformer und Modernisierer des Landes.

"Verstehen Sie uns nicht falsch“, wirft Hassib ein: "Al-Sisi ist kein zweiter Nasser. Nasser war Revolutionär. Al-Sisi hilft dem Volk bloß, seinen Weg zu gehen.“

Und seine wahren Motive?
"Was sollen die schon sein?“, fragt Taher, Oberst im Ruhestand: "Er hat den Auftrag des Volkes. Er weiß schon, was er tut.“

Abdel Fattah Said Hussein Khalil al-Sisi wurde 1954 in Kairo geboren, ist verheiratet und hat vier Kinder. 1977 machte er seinen Abschluss an der Ägyptischen Militärakademie - jung genug, um nie in einem der ägyptischen Kriege gedient zu haben. Als Offizier in einer motorisierten Infanterieeinheit absolvierte er zielstrebig Kommandeurs- und Generalstabskurse, darunter Lehrgänge in Großbritannien und den USA, und kletterte so die militärische Rangleiter hoch.

Im Jahr 2008 avancierte er zum Oberbefehlshaber der Militärregion Nord (Alexandria) und wurde noch unter Hosni Mubarak mit einem ausgesuchten Vertrauensposten betraut: der Leitung des Militärgeheimdienstes. Als die ägyptische Revolution im Februar 2011 Mubarak von der Macht fegte, übernahm das Oberste Militärkommando die Macht. Sein jüngstes Mitglied war al-Sisi.

Dann kam die Wahl und mit ihr im Juni 2012 der demokratische Sieg der Muslimbrüder, die das Militärregime jahrzehntlang als Staatsfeinde betrachtet und erbittert bekämpft hatte. Der neue Präsident hieß Mohammed Mursi und stammte aus dem innersten Zirkel der Islamisten - für die Soldatenkaste ein schlichtweg inakzeptables Ergebnis.

Unternehmen konnte die Armee vorerst aber nur wenig. Bereits wenige Wochen nach der Wahl schien sich Mursi definitiv durchgesetzt zu haben. Er pensionierte den fast 80-jährigen Armeekommandanten Mohammed Hussein Tantawi und entmachtete damit einen besonders treuen Anhänger des alten Regimes.

Zum Nachfolger ernannte Mursi ausgerechnet al-Sisi. Der neue Militärchef, hieß es damals, sei nicht nur fromm, sondern stehe der Muslimbruderschaft sogar nahe.

„Demokratie im Nahen Osten”
Doch die Wirklichkeit ist komplexer. Tatsächlich liegt eine Seminararbeit von al-Sisi aus seiner Zeit am US-Army War College mit dem Titel "Demokratie im Nahen Osten“ vor. Sollten Demokratien in den religiös geprägten arabischen Gesellschaften entstehen, "werden sie so eingerichtet sein, dass sie auf dem Islam beruhen“, heißt es darin.

Westliche Form der Demokratie
Fünf Jahre vor dem Arabischen Frühling sah al-Sisi drei Szenarien, die nach demokratischen Wahlen zur Verfügung stünden. Erstens: "Demokratien mit einem extremistischen Drall“ - wie zum Beispiel die Hamas in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten, deren Wahlsieg sich kurz vor der Abfassung seiner Arbeit ereignet hatte. Zweitens: "Demokratien in der Tradition der Mäßigung wie in Ägypten oder im Libanon.“ Und drittens: eine "westliche Form der Demokratie“, die aber unwahrscheinlich sei, weil "die Komplexitäten im Nahen Osten nicht zur Widerspiegelung des Westens einladen“.

Der Putsch vom 3. Juli diente im Lichte dieser Denkweise jedenfalls dazu, das Entstehen einer extremistisch geprägten Demokratie zu verhindern und Modell Nummer zwei zum Durchbruch zu verhelfen. Der Problematik einer gewaltsamen Entfernung einer demokratisch gewählten islamistischen Regierung war sich al-Sisi 2006 durchaus bewusst, als er mit Blick auf jene Hamas schrieb, die vom palästinensischen Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft gegründet worden war: "Es ist wichtig, dass legitim gewählten Parteien die Gelegenheit zum Regieren gegeben wird. Wenn diese Gelegenheit nicht gewährt wird, werden die Nahost-Länder die Glaubwürdigkeit der westlichen Nationen und ihrer wahren Absichten in Hinblick auf eine demokratische Ordnung in Zweifel ziehen.“

Tatsächlich hat al-Sisi in der Vergangenheit immer wieder klassisch "islamistisch“ argumentiert: etwa im März 2011, als die Militärpolizei bei der gewaltsamen Auflösung einer Demonstration der Revolutionsjugend eine besonders beschämende Form der sexuellen Misshandlung junger weiblicher Gefangener praktizierte - den sogenannten "Jungfräulichkeitstest“. Al-Sisi, der als Chef des Militärgeheimdienstes die Verantwortung dafür trug, rechtfertigte die Tortur später mit dem Argument, damit sei die "Sittlichkeit“ der jungen Frauen geschützt und die Militärpolizei vor Vergewaltigungsvorwürfen bewahrt worden.

Doch nicht jeder Islamist in Ägypten ist zwangsläufig auch ein Anhänger der Muslimbrüder. Al-Sisi diente noch unter Mubarak zwei Jahre lang als Militärattaché in Saudi-Arabien. Dort herrscht eine äußerst dogmatische Theokratie. Das Herrscherhaus verabscheut die pan-arabisch agierenden Muslimbrüder, weil sie einen ähnlichen Status durch Wahlen und ohne privilegierte Rolle des Klerus erreichen wollen. Das stellt eine direkte Herausforderung des saudischen monarchischen Prinzips dar, aufgrund dessen sich das Haus der al-Saud die Wächterfunktion über die beiden heiligsten Städte des Islam, Mekka und Medina, anmaßt. Deshalb unterstützen die Saudis in ihrem Vorhof lieber weltliche Autokraten, die wie Mubarak gar keine freien Wahlen abhalten - oder smarte Militärs wie al-Sisi, die ihren Islamismus nahtlos mit dem in ihren Ländern populären militaristischen Patriotismus verbinden können.

Nach der Absetzung Tantawis wähnten sich Mursi und die Muslimbrüder in nahezu blinder Naivität dem Militär überlegen. Im Oktober des Vorjahres beleidigten sie al-Sisi bis aufs Blut: Bei einer Staatsfeier setzte ihn das Präsidentenprotokoll neben den ehemaligen Terroristen Tarik al-Zomor, der 1981 an der Ermordung von Präsident Anwar el Sadat beteiligt war.

In der Folge entging den Brüdern, dass der oberste Militärchef hinter ihrem Rücken bereits mit den Vertretern des "tiefen Staates“ mauschelte - jenen Strukturen des Mubarak-Systems in Justiz, Polizei, Verwaltung und Geschäftswelt, die von der Revolution unberührt geblieben waren. Das Militär bildet in Ägypten ohnehin einen Staat im Staat (siehe Kasten Seite 58).

Hinzu kommt, dass die Muslimbruderschaft als religiöse Kader- und Klüngelorganisation ohne echte demokratische und revolutionäre Ambitionen nie daran dachte, dieses System zu beseitigen, sondern glaubte, es selbst beherrschen zu können. Das war ein Trugschluss.

Unbemerkt von der Öffentlichkeit erwies sich al-Sisi als geschickter Netzwerker. Er schlug Brücken zur liberalen Opposition, die dem Militär zuvor misstraut, den Islamismus der Bruderschaft aber stets abgelehnt hatte. Er traf sich mit Publizisten, Uni-Leuten, Meinungsbildnern, Künstlern, Sportlern, um das Gegenlager diskret auf einen Machtwechsel einzustimmen. Als die Jugendbewegung Tamarud (Rebellion), über deren Hintergründe nur wenig bekannt ist, zu Sommerbeginn in Windeseile Millionen Unterschriften gegen den islamistischen Präsidenten sammelte, waren die Tage Mursis im Amt schon gezählt.

Als al-Sisi am 3. Juli Mursi absetzte, festnehmen ließ und wenige Stunden später, flankiert von den zivilen Mitträgern des Coups, mit einer Proklamation vor die Fernsehkamera trat, kannte ihn zwar die Elite des Landes, nicht aber die breitere Öffentlichkeit. Ende Juli änderte sich das. Das Fernsehen übertrug seine Ansprache bei einer Graduierungszeremonie in der Militärakademie. Erstmals sah man ihn - die Sonnenbrillen besonders dunkel, die Schirmmütze besonders tief heruntergezogen, die Epauletten besonders breit: "Ich fordere alle ehrenwerten Ägypter auf, am Freitag auf die Straße zu gehen, um mich zu ermächtigen, gegen Terrorismus und Gewalt vorzugehen“, erklärte er.

Tatsächlich strömten am letzten Freitag des Juli die Menschen in solchen Massen für al-Sisi auf die Straßen, wie sie die Muslimbrüder seit der Absetzung Mursis nie mobilisieren konnten. Das populistische Mandat sollte dem General freie Hand geben, um die Dauerproteste der Muslimbrüder in Kairo mit Gewalt aufzulösen.

Unterstützt von den staatlichen und privaten Medien, setzte ein Kult um al-Sisi ein, der praktisch keine Grenzen kennt. So schrieb die Kolumnistin Ghada Sherif in der früher einmal angesehenen Tageszeitung "Al-Masri Al-Youm“ vor jenem ominösen Freitag: "Um ehrlich zu sein, er braucht uns gar nicht aufzufordern oder zu befehlen, etwas zu tun. Ein Zwinkern dieser Augen oder Schnippen dieser Finger genügt, dass wir seinem Ruf folgen. Und wenn er seinen Stall auf (die im islamischen Recht möglichen) vier Ehefrauen auffüllen möchte, stehen wir bereit. Aber selbst wenn er uns nur als gefangene Sexsklavinnen benutzen möchte, werden wir uns nicht zieren.“

Diplomatische Vermittler von der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton über den deutschen Außenminister Guido Westerwelle bis zum US-Vizeaußenminister William Burns verhinderten in den vergangenen zwei Wochen, dass al-Sisi seine Militär- und Polizeimaschinerie gegen die Protestcamps der Muslimbrüder in Gang setzte. Schon bisher gab es bei Zusammenstößen seit dem Staatsstreich rund 200 Tote, drei Viertel davon waren Islamisten.

Al-Sisi dürfte das eher nützen. Seit Wochen dämonisieren die Medien des Landes die islamistischen Demonstranten als "Terroristen“ und "Kinderschänder“. Erste Rufe, der General möge in sechs bis neun Monaten die Uniform ausziehen und für das Präsidentenamt kandidieren, wurden laut. Vorerst dementierte er derlei Absichten - allerdings eher halblaut. In einem Interview mit der "Washington Post“ entgegnete Ägyptens wahrer Machthaber auf die entsprechende Frage: "Sie können sich wohl nicht vorstellen, dass es Leute gibt, die keine Autorität anstreben?“