Affäre: Gegengeschäfte
Ein durchaus starker Abgang: Just in jener Woche, in welcher der Saab Draken 35 OE mit einem Festakt am Fliegerhorst Zeltweg außer Dienst gestellt wurde, ging ein Foto des Abfangjägers aufgenommen am 21. Jänner 2003 um die Welt. Der Bundesheer-Schnappschuss vom Austrojet, der sich an eine weiß lackierte Hercules-Transportmaschine mit der Kennung N8183J hängt, wurde in einem guten Teil der internationalen Presse nachgedruckt.
Ausgerechnet die Luftwaffe des neutralen Österreich hatte mit dem Foto ein mögliches Beweisstück in einer Affäre geliefert, die das europäisch-amerikanische Verhältnis schwer belastet: Der US-Geheimdienst CIA (Central Intelligence Agency) soll in osteuropäischen Staaten Gefangenenlager wie in Guantanamo eingerichtet haben und mutmaßliche, manchmal gekidnappte Terrorverdächtige mit getarnten Zivilmaschinen quer durch Europa überstellt haben.
Menschenrechtsorganisationen, Medien und Politiker haben inzwischen europaweit eine Fülle von Details zusammengetragen. Das jüngste Lagebild: Rund 300 Flüge soll die CIA in den vergangenen Jahren mit zirka 40 Maschinen in Europa durchgeführt haben. Offiziell waren die eingesetzten Flugzeuge auf zivile Unternehmen wie etwa Pegasus Technologies, Premier Executive Transport Services, Rapid Air, Prescott Support oder im Falle der Hercules Tepper Aviation registriert.
Gegenangriff. Vergangene Woche startete die US-Administration einen Gegenangriff ohne die Existenz der Gefangenenlager zu dementieren. Wir führen Krieg gegen den Terrorismus. Dabei müssen wir notwendige Maßnahmen setzen, um nicht nur uns selbst, sondern auch andere zu beschützen, sagte Außenministerin Condoleezza Rice in Washington. Ihr Boss, US-Präsident George W. Bush, erhält diese Woche hohen Besuch aus Old Europe: den zukünftigen Vorsitzenden des Europäischen Rates, Wolfgang Schüssel. Geht es nach dem Willen der Opposition, soll der Kanzler bei dieser Gelegenheit die CIA-Flüge im Allgemeinen und jenen über Österreich im Speziellen ansprechen.
Doch Schüssel lehnte das Ansinnen Mittwoch vergangener Woche im Nationalen Sicherheitsrat ab. Die Sitzung des Gremiums, in dem Vertreter der Regierung, der Opposition, der Sicherheitsbehörden und des Bundesheeres vertreten sind, fand im Kanzleramt unter höchster Geheimhaltung statt. Es ging um den Überflug vom Jänner 2003. Die Erläuterungen des Verteidigungsministers blieben freilich dürr. Die Hercules-Maschine, so Günther Platters vertrauliche Information, habe logistisches Versorgungsgut der Regierung der USA transportiert. In der Öffentlichkeit erklärte der Verteidigungsminister, es sei weder bewiesen, dass es sich um einen CIA-Flug gehandelt habe, noch, dass in der Maschine Gefangene transportiert worden wären. Im Übrigen sei die österreichische Lufthoheit nicht verletzt worden.
Gesetzesverstoß. Was Platter verschwieg: Österreichische Gesetze wurden beim Überflug der Hercules-Maschine der Tepper Aviation sehr wohl verletzt. Das Luftfahrtgesetz unterscheidet zwischen privaten Flugzeugen und so genannten Staatsluftfahrzeugen, die im Auftrag von Regierungen fliegen und eine besondere diplomatic Clearance durch österreichische Behörden benötigen. Die Hercules war als Privatmaschine gemeldet worden.
Das Außenamt verzichtete nach dem Vorfall zwar auf einen offiziellen diplomatischen Protest, inoffiziell verlangten die heimischen Behörden bei der amerikanischen Botschaft laut profil-Informationen allerdings Auskunft darüber, ob es sich um ein Flugzeug im Dienste der US-Regierung gehandelt habe. Die Amerikaner bestätigten dies und bedauerten, mit dem Überflug österreichisches Recht verletzt zu haben.
Für die Bundesregierung war die Sache damit erledigt bis das Foto des Draken um die Welt ging.
Das Abfangmanöver vom 21. Jänner 2003 war alles andere als ein Zufallstreffer. Schon der Umstand, dass die Hercules mit einer zivilen Kennung vom militärischen Teil des Frankfurter Flughafens gestartet war, machte die Maschine suspekt. Das Heeresnachrichtenamt dürfte bereits zuvor über die wahren Betreiber der Transportmaschine Bescheid gewusst haben: Die Maschine war von den Amerikanern schon im Kosovo-Krieg eingesetzt worden.
Einen weiteren Hinweis auf die Regierungsmission der Hercules liefert deren Hersteller Lockheed. Der Fluzeugbauer führt Listen über die jeweils aktuellen Besitzer der von ihm produzierten Maschinen. Auf einer profil vorliegenden Aufstellung über die Hercules findet sich neben diversen, der CIA zurechenbaren Unternehmen auch ein staatlicher Operator: das US government.
Laut Verteidigungsminister Platter gibt es keine Hinweise, dass dieselbe Maschine noch einmal über Österreich geflogen ist. Doch dutzende weitere Flüge im Umfeld Österreichs scheinen verdächtig zu sein. So war etwa am 17. Februar 2003 der Ägypter Abu Omar in Mailand von CIA-Agenten entführt worden. Nach Ermittlungen der Mailänder Staatsanwaltschaft wurde er am selben Tag in einem Learjet vom norditalienischen US-Luftwaffenstützpunkt Aviano nach Ramstein in Deutschland geflogen. Über Österreich?
Vertuschungen? Der grüne Abgeordnete Peter Pilz fordert von der Bundesregierung in einer Anfrage Auskunft über verdächtige Überflüge in den vergangenen vier Jahren. Während die Regierungen von Schweden, Dänemark und Spanien aktiv Aufklärung von den US-Behörden verlangten, würden Kanzler Schüssel und Vizekanzler Hubert Gorbach an der Vertuschung der CIA-Affäre arbeiten, sagt Pilz.
Im Allgemeinen gilt die CIA hierzulande als befreundeter Dienst. Die Zusammenarbeit mit heimischen Behörden wie dem Bundesamt für Verfassungsschutz ist intensiv. Erst Anfang Oktober hatte Innenministerin Liese Prokop mit CIA-Chef Porter Goss in Washington konferiert. Die Amerikaner interessieren sich sehr für die Kontakte der österreichischen Schlapphüte im Nahen Osten, vor allem zu Palästinensern und Jordaniern. Auch die traditionelle Balkan-Expertise und die intimen Kenntnisse kurdischer Organisationen, über die ihre österreichischen Kollegen verfügen, werden im CIA-Hauptquartier in Langley im Bundesstaat Virginia geschätzt. In den vergangenen Jahren sollen die Amerikaner auch wiederholt Auskunft über in Österreich lebende Pakistani und Ägypter begehrt haben.
Die Österreicher erhielten im Gegenzug Informationen über den internationalen Drogenhandel oder Analysen zur Gefährdung durch terroristische Gruppen.
Berührungsängste kannten österreichische und amerikanische Dienste nie. Den Staatsvertrag sahen die USA von Beginn an mit gemischten Gefühlen: Wohl zogen die Sowjets dadurch ihre Truppen um 200 Kilometer weiter nach Osten zurück; gleichzeitig entstand durch Österreichs Neutralität mitten in Europa eine Zone, die nun auch die USA nicht mehr betreten durften. Westösterreich unterbrach damit die militärische Verbindung zwischen den NATO-Staaten Italien und Deutschland. Schon im Juli 1955, der Vertrag war noch nicht einmal in Kraft, übergaben US-Diplomaten Kanzler Julius Raab ein geheimes Memorandum, in dem gebeten wurde, die österreichische Regierung möge dem Wunsch der USA nach militärischen Luft- und Landtransporten weiterhin wohlwollend gegenüberstehen.
Geheime Überflüge. Raab zögerte: Er wollte die Sowjets nicht vor den Kopf stoßen. Nun schlug US-Botschafter Llewellyn Thompson listig vor, die militärischen Transporte einfach unter den kommerziellen Verkehr zu mischen. So sei eine formelle Zustimmung Österreichs gar nicht nötig.
Im Luftraum über Tirol bekamen die USA insgeheim ein Kontingent von unbewaffneten Überflügen durch Militärmaschinen zugestanden ein klarer Bruch der Staatsvertragsbestimmungen schon Monate nach dessen feierlichen Abschluss. Außenminister Figl ersuchte Thompson bloß, die Überflüge im Wahljahr 1956 zu minimieren und vor allem bei schlechtem Wetter und in großer Höhe zu fliegen, damit die Bevölkerung nicht Wind von der Sache bekomme.
Die USA scherten sich um die Befindlichkeiten der Österreicher freilich wenig: Während der Libanon-Krise jagten sie am 16. Juli 1956 ab 9.45 Uhr eine Luftflotte von 96 Maschinen über Tirol. Der wutentbrannte Kanzler Raab intern erwog er sogar einen Schießbefehl protestierte demonstrativ während einer Visite in Moskau gegen diese flagrante Neutralitätsverletzung.
Hinter den Kulissen lief die Zusammenarbeit aber wie am Schnürchen. Ab 1959 pumpte die CIA geheime Mittel in der Höhe von mehr als zehn Millionen Schilling, damals eine gewaltige Summe, nach Österreich. Damit wurde ein ausgeklügeltes Fernabhörsystem installiert, dessen Kernstück die vom Bundesheer betriebene Lauschstation Königswarte bei Hainburg war. Die elektronischen Ohren der Königswarte reichten bis tief in die Sowjetunion und zeichneten zivilen und militärischen Funkverkehr auf. Für die Österreicher waren die Bänder völlig wertlos, sie konnten sie nicht einmal decodieren. Das Material wurde zur Auswertung routinemäßig zu einem US-Stützpunkt im deutschen Wiesbaden ausgeflogen.
Weiche Neutralität. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks weichte Österreich durch verschiedene Gesetzesänderungen die Neutralität selbst auf:
Dennoch kam es auch immer wieder zu illegalen Überflügen. 1993 erwischten Draken zwei F-16-Jets der U.S. Air Force, die unangemeldet eine Abkürzung über Tirol fliegen wollten. 2002 wurden zwei US-Tarnkappenbomber fotografiert, die in Begleitung eines regulär angemeldeten Tankflugzeugs österreichisches Hoheitsgebiet überquerten.
Bei Wolfgang Schüssels Besuch in Washington am Donnerstag werden wohl weder die damaligen Irritationen noch der CIA-Überflug Gesprächsthema sein. Laut Aussendung des Weißen Hauses sollen die Förderung von Freiheit und Demokratie, die Erhöhung des Wohlstands und der wirtschaftlichen Entwicklung und die weltweite Bekämpfung des Terrorismus erörtert werden. Der amerikanische Präsident sehe den Gesprächen mit Kanzler Schüssel erwartungsvoll entgegen.
Von Gernot Bauer und Herbert Lackner