EU: Milliardengeschäft durch umstrittene Saatgutverordnung
Garlich von Essen versteht sein Geschäft. Das Geheimnis erfolgreicher Lobbyingarbeit bei EU-Parlamentariern sei: "Mit den Leuten zu einem Zeitpunkt zu reden, an dem sie noch nicht direkt in Entscheidungsprozesse eingebunden sind. Und noch wichtiger: "Fordere nichts von ihnen, sondern biete etwas an. Das erklärte er vor Jahren in einem Interview. Diese Grundsätze beherzigt der Deutsche noch heute.
Von Essen ist Generalsekretär der European Seed Association (ESA) und damit Chef-Lobbyist der europäischen Saatgutindustrie. In dieser Funktion richtete er am 26. November vergangenen Jahres eine exklusive Veranstaltung aus - eine so genannte "Dinner Debate im Europäischen Parlament. Die Adressaten der Einladung: sechs EU-Abgeordnete, die Mehrzahl davon Mitglieder im Agrarausschuss. Was von Essen ihnen anzubieten hatte? Umfassende Informationen über die Branche und wie die EU mittels einer neuen Gesetzgebung zu deren Fortkommen beitragen könne. Sekundiert wurde von Essen von einer ganzen Armada an Industrievertretern. Neben Abgesandten von elf nationalen Interessensverbänden durften auch hochrangige Repräsentanten der größten Saatgutkonzerne wie Monsanto, Bayer, Syngenta, RAGT und Dow ihrer Sicht der Dinge Nachdruck verleihen.
Anfang November hatte die Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz ("DG Sanco) unter Kommissar Tonio Borg einen ersten Entwurf für eine neue Saat- und Pflanzgutverordnung zur kommissionsinternen Konsultation vorgelegt. Ein guter Zeitpunkt also, um bei den Parlamentariern - darunter die britischen Abgeordneten Julie Girling und John Stuart Agnew, sowie die Deutsche Britta Reimers - Stimmung zu machen. Denn sobald die offizielle Vorlage der Kommission da ist, werden die Mandatare ihre Stellungnahme abgeben. Zudem kann jeder Abgeordnete dann Abänderungsanträge stellen. Die ESA zeigt sich seit Jahren äußerst umtriebig, dass dies in ihrem Sinne geschieht.
Was bisher nur hinter verschlossenen Türen diskutiert wurde, ist mittlerweile auch den Konsumenten ins Bewusstsein gedrungen. Die Wogen gingen hoch, als vorvergangene Woche zunächst in Sozialen Netzwerken vor den EU-Plänen gewarnt wurde. Schnell sprangen auch die etablierten Medien auf das Thema auf. Die EU wolle den Anbau von alten und seltenen Sorten im privaten Garten unter Strafe stellen. Hobbygärtner dürften ihr selbst gezüchtetes Saatgut zukünftig nicht einmal mehr verschenken, hieß es. Seit Urban Gardening im Trend liegt und selbst Innenstadtbewohner wissen, dass es sich bei "Blauen Schweden nicht um alkoholisierte Skandinavier, sondern um eine Erdäpfelsorte handelt, ist die Sensibilität groß. Und obwohl noch gar kein offizielles Papier vorliegt, haben bereits über 180.000 Menschen eine Petition der Umweltschutzorganisationen Global 2000 und Arche Noah gegen die geplante Verordnung unterzeichnet. Selbst der schwer angeschlagene Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich, leistete im Bemühen um Bonuspunkte öffentlichkeitswirksam seine Unterschrift.
Die EU-Kommission sah sich veranlasst, eine Klarstellung zu veröffentlichen: Privatgärtner können auch in Zukunft ihr Saatgut wie bisher verwenden. Sie seien von den neuen Regelungen nicht betroffen. Auch für Kleinstunternehmen und alte Sorten werde es Ausnahmen und schwächere Regeln geben.
Die ganze Aufregung umsonst, ein Sturm im Wasserglas, wie manche Kommentatoren meinen? Mitnichten. Unabhängig davon, wie der Vorschlag der Generaldirektion für Gesundheit und Verbraucherschutz letztlich tatsächlich aussehen wird, zum Nachteil der großen Agrar-Konzerne wird er wohl nicht gereichen. Die Industrie hat ihre Abgesandten strategisch gut platziert. Die Französin Isabelle Clément-Nissou ist als Mitarbeiterin der DG Sanco maßgeblich an der Ausarbeitung der neuen Verordnung beteiligt. Vor ihrem Wechsel nach Brüssel war sie für die Interessenvereinigung der französischen Saatgut- und Agrarindustrie tätig, dem Groupement National Interprofessionell des Semences (GNIS). Einer "privat finanzierten Lobbygruppe, wie die Plattform Corporate Europe Observatory moniert. In einem offenen Brief an Kommissar Borg fordert die Organisation Clément-Nissous Ablöse. Die Aktivisten befürchten - wohl nicht zu Unrecht - dass die Französin wohl eher die Interessen der großen Konzerne, denn die der kleinen Züchter und Landwirte vertritt. Pikanterie am Rande: GNIS-Präsident Daniel Segonds ist auch Vorstandsvorsitzender des französischen Saatgutherstellers RAGT. Laut Unternehmensangaben einer der führenden Großzüchter Europas. Darüberhinaus sitzt Segonds auch im Vorstand der ESA. Dort befindet er sich in illustrer Gesellschaft. Die Mitgliederliste dieser Lobbyingorganisation liest sich wie das "Best of Böse der marktdominierenden Agrarunternehmen. Darin finden neben den auch in Europa engagierten US-Konzernen Monsanto, Dow Chemical und Dupont, auch die deutschen Großunternehmen Bayer und BASF sowie die Schweizer Syngenta. Auf den Feldern herrscht ein knallharter Verdrängungswettbewerb. In den vergangenen 20 Jahren war das Saatgutgeschäft einem atemberaubenden Konzentrationsprozess unterworfen. Durch Fusionen und Übernahmen kleinerer Züchtungsunternehmen durch die genannten Agro-Konzerne hat sich mittlerweile ein Oligopol gebildet. Während im Jahr 1996 die zehn größten Unternehmen noch einen Marktanteil von nicht ganz 30 Prozent hielten, entfallen nun auf die sechs größten Player bereits knapp 60 Prozent. Sie bestimmen somit maßgeblich, was auf unsere Teller kommt. Ein aktueller Report der Organisation Swissaid verdeutlicht ihre marktbeherrschende Stellung. Demnach sind beim Europäischen Sortenamt 36 Prozent aller registrierten Tomatensorten durch Monsanto geschützt, weitere 26 Prozent durch Syngenta. Bei Karfiol hält Monsanto sogar 49 Prozent aller eingetragenen Sorten (Syngenta: 22 Prozent).
Die "Big Six haben ganz gut miteinander das Auslangen gefunden. Mehr noch, sie haben weitreichende Allianzen geschlossen. So kooperiert etwa der Ludwigshafener Chemiekonzern BASF mit Monsanto bei der Entwicklung ertragsreicherer und stressresistenterer Nutzpflanzen wie Raps, Soja, Mais und Weizen. Monsanto hat mit allen seinen großen Mitbewerbern Vereinbarungen über den gegenseitigen Austausch von Lizenzen abgeschlossen. Auch im Bereich der Forschung arbeiten die Konzerne zusammen.
Zudem ist der kommerzielle Saatgutsektor eng mit dem Markt für Agrochemikalien verknüpft. Die großen Hersteller bieten den Landwirten gleichsam das "Rundum-sorglos-Paket. Die Rechnung ist einfach: Saatgut plus Dünger plus Pestizide ergeben höhere Umsätze. Die Züchtungen der Multis sind bestens auf die von ihnen vertriebenen Chemikalien abgestimmt. Und umgekehrt.
Außerdem verfügen die Saatgutproduzenten über ein Asset, von dem etwa die Musikindustrie schon lange träumt: einen eingebauten Kopierschutz. Beim gängigen Industriesaatgut handelt es sich fast ausschließlich um so genannte Hybridzüchtungen. Sie sind im ersten Jahr enorm ertragreich. Die Nachfolgegeneration wirft jedoch wenig bis keinen Ertrag mehr ab. Die Bauern sind dadurch gezwungen, jedes Jahr neues Saatgut zu kaufen. Damit steigt ihre Abhängigkeit von diesen Unternehmen. Und die nutzen ihre Marktmacht, um die Preise in die Höhe zu treiben. Für Mais und Soja etwa haben sich die Preise innerhalb von zehn Jahren verdoppelt.
Die Strategie zahlt sich aus, wie die jüngsten Quartalszahlen zeigen. Ausnahmslos alle Konzernchefs von Ellen Kullman (Dupont) über Marijn Dekkers (Bayer) und Mike Mack (Syngenta) jubeln über enorme Umsatz- und Gewinnsteigerungen. Monsanto-Boss Hugh Grant konnte kürzlich die Gewinnprognose für das laufende Jahr erneut anheben. Die gestiegene Nachfrage nach Saatgut und Unkrautvernichtern ließ im vergangenen Quartal den Umsatz um 15 Prozent auf 5,5 Milliarden Dollar ansteigen, der Gewinn verbesserte sich sogar um 22 Prozent auf 1,5 Milliarden.
Und das soll auch so bleiben. Dabei hätten von den derzeit geltenden Regelungen in erster Linie die großen Konzerne profitiert, kritisiert die SPÖ-Europaabgeordnete Karin Kadenbach. Zwölf EU-Richtlinien sowie drei so genannte Erhaltungsrichtlinien regeln das "Inverkehrbringen von Pflanz- und Saatgut, darunter Getreide, Gemüse, Obst, Wein und Zierpflanzen. Schon bisher musste kommerziell weitergegebenes Saatgut einem Zulassungsverfahren unterzogen werden. Wichtige Kriterien dabei sind Stabilität und Homogenität. Soll heißen: die aus einer Sorte gewonnen Früchte müssen die gleiche Form, Farbe und Beschaffenheit aufweisen. Auch noch nach mehreren Generationen. Das leisten aber nur die hochgezüchteten Sorten der Industrie. Allerdings musste die sich bisher mit Ausnahmeregelungen in den 27 Mitgliedsstaaten herumschlagen. Sobald die Verordnung geltendes Recht wird, wäre damit Schluss. "Nationale Spielräume, die auf regionale Besonderheiten Rücksicht nehmen, wird es dann nicht mehr geben, befürchtet Kadenbach. Die großen Agrarkonzerne haben jedenfalls ein enormes Interesse, einen europaweit einheitlichen Markt zu besamen.
ESA-Mann Garlich von Essen zeigte sich durch das Aufbranden der Proteste und ihrem medialen Widerhall höchst alarmiert. In einem profil vorliegendem E-Mail an die Abgeordneten des EU-Parlaments, bemühte er sich um Schadensbegrenzung: "Es drängt sich der Eindruck auf, dass hier von interessierter Seite versucht wird, sowohl das bestehende Saatgutverkehrsrecht wie auch den anstehenden Gesetzesentwurf bereits vorab zu diskreditieren. Von unabhängigem Qualitätsjournalismus könne keine Rede sein, sondern von einer "Kampagnenmaschine von Aktivisten und NGOs. Von Essen weist die "sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete darauf hin, dass "die Kommissionsvorschläge das Resultat eines vierjährigen Prozesses von Evaluierung und Anhörung von Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft seien. Weiters stehe er für "Nachfragen jederzeit zur Verfügung.
Auf profil-Anfrage war von Essen jedoch weniger auskunftsfreudig. Ein von diesem Magazin übermittelter umfangreicher Fragenkatalog blieb unbeantwortet.
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