IS-Kinder: Letzter, verzweifelter Appell
Jetzt hilft nur noch Ablenkung. „Arbeit, Arbeit, Arbeit, sechzehn Stunden am Tag“, sagt Markus G., 54. So brächten er und seine Frau Susanne, 52, sich durch die Tage. Wenn es gut gehe, erlöse sie dann der Schlaf.
Vergangenen Mittwoch jedoch peitschte die schlechteste aller Nachrichten ihre Erschöpfung weg. Der türkische Einmarsch in Syrien hatte früher begonnen, als Markus und Susanne G. befürchtet hatten. Bis zur letzten Sekunde hatte das Salzburger Ehepaar gehofft, die österreichische Regierung würde ihre Tochter Maria und ihre beiden Buben noch in Sicherheit bringen. Maria G. hatte sich 2014 der Terrormiliz „Islamischer Staat“ angeschlossen. Sie war damals ein Teenager. Inzwischen ist sie 22. Monatelang saß sie mit ihren Kindern im Vertriebenenlager Al-Hol in einer entlegenen Region im Nordosten Syriens fest.
Im Juli reiste profil-Reporterin Petra Ramsauer unter schwierigen Umständen vor Ort und bekam die rare Gelegenheit, eine Stunde lang mit der jungen Salzburgerin zu sprechen. Vergangenen Sonntag, vier Tage vor der türkischen Offensive, schickte Maria G. eine Whatsapp-Nachricht an ihre Eltern. In dem von kurdischen Milizen kontrollierten Lager habe es eine Schießerei gegeben, ihr gehe es gut, sie lebe nun in einem anderen Zelt, ließ sie wissen. Markus und Susanne G. hatten nichts unversucht gelassen, um ihre Tochter nach Hause zu holen. Seit Monaten hält das Ehepaar Kontakt mit dem Außenministerium. „Wir haben immer wieder geschrieben, dass es den Kindern schlecht geht“, sagt Susanne G.: „Aber man hat uns ständig hingehalten.“
Hilflosigkeit
Die Signale waren entmutigend. Wenn überhaupt, könnten bloß die beiden Buben einreisen. Dann zerbrach die türkis-blaue Regierung. Plötzlich war von einer Trennung von Mutter und Kindern nicht mehr die Rede. Maria G. sollte allerdings erst mithilfe eines DNA-Tests beweisen, dass die beiden Buben wirklich ihre Kinder sind. „Dass wir mit unserer Tochter ständig in Kontakt waren, sie auf den Whatsapp-Bildern eindeutig schwanger war und danach Kinder hatte, zählte nicht“, sagt Susanne G. Der Ältere der Buben ist mittlerweile vier, der Jüngere zwei, ihm gehe es „sehr schlecht, weil er zu wenig Nahrung hatte und in der Entwicklung zurückgefallen ist“.
Vor Kurzem flogen Bundesheer-Beamte nach Syrien, um zwei Waisenkinder einer verstorbenen IS-Anhängerin zu holen und ihren Großeltern in Österreich zu übergeben. Markus und Susanne G. fieberten mit. „Wir hatten so sehr gehofft, dass die Beamten auch unsere Tochter und die beiden Buben mitnehmen“, sagt Marias Vater. Vergeblich. Die Delegation hatte nicht einmal ein DNA-Testkit für ihre Tochter mit im Gepäck. Die Eltern hatten es vor vier Wochen an das Außenministerium geschickt. Laut Markus G. ist es bis heute nicht vor Ort angekommen. „Ich hoffe sehr, nochmals von vorne beginnen zu können“, hatte Maria G. im Juli der Reporterin Petra Ramsauer erzählt. Die Zeichen dafür stehen schlecht. Marias Eltern können nichts mehr tun, als ein letztes, verzweifeltes Mal zu appellieren: „Wenn die Regierung nicht sofort etwas unternimmt, sehen wir unsere Tochter und unsere Enkel nicht wieder.“