„Menschen zu seriöser Information verführen“

Armin Wolf: „Menschen zu seriöser Information verführen“

Interview. ORF-Star Armin Wolf über die neue Rolle des Journalismus und sein Stronach-Interview

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Interview: Herbert Lackner

profil: Herr Wolf, Sie schreiben in Ihrem Buch, Sie hätten sich 1981 nach der Lektüre der profil-Titelgeschichte „Die Journalisten“ entschlossen, selbst einer zu werden. Was hat Sie daran so fasziniert?
Wolf: Als 15-Jähriger war ich bei einem Schülerzeitungs-Seminar mit richtigen Journalisten, die von ihrem Job erzählt haben. Dann las ich die profil-Geschichte, die ich übrigens noch habe, und fand es faszinierend, dass man das den ganzen Tag machen kann und dafür auch noch Geld bekommt.

profil: Sie wollten Printjournalist werden?
Wolf: Mein Traum war: Wenn ich groß bin, arbeite ich beim profil.

profil: Kann ja noch werden. Würden Sie heute einem 18-Jährigen raten, Journalist zu werden?
Wolf: Wenn er es unbedingt will, ja. Aber nur dann. Der Einstieg und die Bedingungen in diesem Job sind so schwierig geworden, dass es sich nur lohnt, wenn man es wirklich will.

profil: Was macht den Beruf heute schwieriger als zur Zeit Ihres Einstiegs?
Wolf: Ich würde heute mit den Voraussetzungen, mit denen ich als 18-jähriger im ORF-Landesstudio als freier Mitarbeiter begonnen habe, nie einen Job bekommen. Unsere Praktikanten sind alle am Ende eines Studiums. Man kann mit der Ausbildung, die wir von ihnen verlangen, in Branchen gehen, in denen man viel mehr verdient und viel schneller einen vernünftigen Vertrag hat.

profil: Sind die klassischen Medien zum Aussterben verurteilt?
Wolf: Ich würde nicht darauf wetten, dass in 30 Jahren noch viele Zeitungen auf totes Holz gedruckt werden. Wenn sich Tablets ähnlich entwickeln wie Handys in den vergangenen 20 Jahren, dann kriegen wir vielleicht ein Stück Kunststoff, das wir zusammenfalten, in die Westentasche stecken und zum Lesen von ständig live aktualisierten Infos wieder herausholen. Wozu soll es dann noch Zeitungen auf Papier geben?

profil: Würden Sie darauf wetten, dass ­öffentlich-rechtliches Fernsehen lebensfähiger ist als Zeitungen?
Wolf: Ja, aus dem simplen Grund, dass es durch Gebühren subventioniert wird.

profil: Ohne Subvention …
Wolf: … hätte es öffentlich-rechtliches Fernsehen überhaupt nie gegeben. Das hätte niemand finanzieren können. Es gab in den letzten 30 Jahren kaum ein besseres Geschäft als einen Zeitungsverlag. Die Renditen waren fast schon unanständig. Aber dieses Geschäftsmodell bricht durch den Medienwandel völlig weg, und gleichzeitig sind wir uns alle einig, dass politische Information für eine Demokratie lebenswichtig ist. Darum hat öffentlich-rechtliches Fernsehen jetzt noch mehr Berechtigung als früher.

profil: So könnte man auch für die Aufstockung der Presseförderung argumentieren.
Wolf: Absolut. Der Staat gibt für sinnlosere Dinge Geld aus als für die Presseförderung. Die große Frage ist, wie man sicherstellt, dass die Geldgeber keinen Einfluss ausüben. Aus leidvoller Erfahrung im ORF weiß ich, dass jede Anpassung der Gebühren an die Inflation zu einem Erpressungsspiel werden kann.

profil: Zwei von drei Zeitungsexemplaren, die in Österreich gelesen werden, sind Boulevardblätter. Stimmt Sie das nachdenklich?
Wolf: Ja. Wir müssen uns bemühen, die Menschen zu seriöser Information zu verführen. Die ritualhafte Selbstverpflichtung, dass man täglich in der Früh die abonnierte Tageszeitung liest und sich um 19.30 Uhr vor die „ZiB“ setzt – die stirbt aus. Dass immer noch über eine Million Menschen jeden Abend die „ZiB 1“ schauen, ist ohnehin ein Wunder.

profil: Wäre es gut gewesen, die „ZiB“ weiter auf beide Kanäle durchzuschalten?
Wolf: Wir waren damals in der Redaktion alle dafür, die Durchschaltung aufzugeben. Im Nachhinein glaube ich, dass es ein Fehler war. Wir wollten mit Unterhaltung auf ORF 1 Leute halten, die sonst zu RTL oder Pro 7 wandern. Es stellte sich aber heraus, dass die meisten Jungen nicht für die „ZiB“ auf ORF 2 umschalten.

profil: Vielleicht besteht gar kein Bedürfnis nach Nachrichten.
Wolf: Die Nachrichten kommen anders. Sie tröpfeln den ganzen Tag herein: Teletext, Ö3-Nachrichten, Facebook, Internet, Twitter, SMS, E-Mails. Es gibt dafür den berühmt gewordenen Satz eines amerikanischen Studenten: „Wenn die Nachricht so wichtig ist, wird sie mich finden.“

profil: Womit wir beim Titel Ihres Buchs wären: „Wozu brauchen wir noch Journalisten?“
Wolf: Die Aufgaben von Journalisten werden damit nicht geringer. Natürlich kann sich jeder im Netz besorgen, was er braucht. Aber will ich den ganzen Tag im Internet verbringen und die Informationen mühsam sammeln? Eine zentrale Rolle des Journalisten ist heute wie die eines Kurators, der im Museum aus unendlich vielen Bildern die sehenswertesten in die Ausstellung nimmt: Er sucht aus den unendlich vielen Nachrichten jene aus, die es wert sind.

profil: Noch einmal gefragt: Wollen die jungen User überhaupt Nachrichten?
Wolf: Es gibt totale News-Verweigerer, die sich für Politik weder in Zeitungen noch im Radio oder im Fernsehen interessieren und die auch nicht wählen gehen – das sind zwischen 20 und 30 Prozent der Bevölkerung. Natürlich kann man sich problemlos durch den Tag bewegen, ohne auf einen Link zu klicken, hinter dem Politik steckt. Die erfolgreichsten Videos auf YouTube haben nur mit Unterhaltung zu tun. Das Musikvideo „Gangnam Style“ haben sich schon 1,3 Milliarden Menschen angeschaut. Das erfolgreichste nicht kommerzielle Video auf YouTube ist „Charlie bit my finger – again“, in dem ein Einjähriger seinen dreijährigen Bruder in den Finger beißt. Das haben über 500 Millionen gesehen. Politische Information funktioniert eher selten auf YouTube.

profil: Soll man sich damit abfinden?
Wolf: Nein. Wir im öffentlich-rechtlichen Fernsehen müssen einfach Informationen so präsentieren, dass die Leute sie sehen wollen. Das war vor 30 Jahren völlig unwichtig, wir hatten ein Monopol und konnten senden, was wir wollten. Es war wie Schule: Da muss man drin sitzen, egal, ob der Lehrer spannend unterrichtet oder nicht. Heute hat jeder die Fernbedienung in der Hand und 100 Kanäle. Wir haben aber noch ein zu traditionelles Verständnis von Nachrichten. Wir berichten oft über Details im innenpolitischen Betrieb an die sich schon 14 Tage später nicht einmal mehr die Beteiligten erinnern. Jungen Leuten ist das zu verwirrend, zu detailreich, zu komplex, zu viel.

profil: Aber es gibt auch wichtige Themen, die kaum vermittelbar sind, etwa die Gesundheitsreform. Die habe ich vom ORF auch noch nicht wirklich erklärt bekommen.
Wolf: Das ist extrem schwierig, vor allem in einem tagesaktuellen Format mit kurzen Beiträgen wie der „ZiB“. Das muss man zum Teil anderen Formaten überlassen. Mein Lieblingsbeispiel ist „Fahrenheit 9/11“ von Michael Moore. Wir haben diese zweistündige Dokumentation über US-Politik 2004 zwei Tage vor der Präsidentschaftswahl gesendet, hatten damit 1,5 Millionen Zuseher und unfassbare 70 Prozent Marktanteil bei den unter 30-Jährigen. Daraus kann man was lernen. Die überarbeitete erste Folge von Hugo Portischs „Österreich 1“ hatte auf ORF3 sensationelle 250.000 Zuseher. Das ist mit Abstand die höchste Quote, die der Sender bis jetzt hatte. Es geht also. Aber es stimmt: Man kann die Gesundheitsreform nicht wirklich in der „ZiB 2“ erklären, dafür ist sie zu komplex.

profil: In der „ZiB 2“ stoßen Sie auch an andere Grenzen. In Ihrem Buch zitieren Sie eine Studie über die Antwortbereitschaft Ihrer Studiogäste. Die frühere Justizministerin Bandion-Ortner etwa hat auf 90 Prozent Ihrer Fragen nicht geantwortet.
Wolf: Stimmt, aber auch das ist informativ. Es war absolut aufschlussreich, wie sich Frau Bandion-Ortner bemüht hat, Fragen nicht zu beantworten. Darum heißt das Kapitel im Buch ja auch „Warum Politiker-Interviews noch immer sinnvoll sind, auch wenn es nicht immer so aussieht“.

profil: Die absolute Vollendung ist demnach ein Interview mit Frank Stronach.
Wolf: Ich glaube, man hat auch aus den beiden Interviews mit Stronach in der „ZiB 2“ sehr viel gelernt.

profil: Was zum Beispiel?
Wolf: Wie Frank Stronach funktioniert. Die Zuschauer können sich dann überlegen, ob sie so einen Politiker wählen wollen.

profil: Werden Sie ihn noch einmal interviewen?
Wolf: Da erst in acht Monaten Wahlen sind, gehe ich davon aus.

profil: Wie werden Sie sich darauf vorbereiten?
Wolf: Nicht anders als beim letzten Mal. Sehr viel lesen, recherchieren, nachdenken. Ich war ja vorgewarnt, weil wir bereits die Erfahrungen aus dem Interview von Lou Lorenz-Dittlbacher hatten.

profil: Sie haben Stronach gedroht, das Interview abzubrechen. Hätten Sie das tatsächlich getan?
Wolf: Wenn ich keine Fragen mehr hätte stellen können, hätte ich abgebrochen. Ich kann nicht das Studio kapern lassen. Wenn Herr Stronach das möchte, muss er sich einen Fernsehsender kaufen. Ich glaube aber, dass die beiden Interviews ein aufklärerisches Stück Fernsehen waren.

profil: Gibt es einen Interviewpartner, den Sie gerne hätten?
Wolf: Die deutsche Zeitschrift „Cicero“ veröffentlicht regelmäßig Listen der 500 wichtigsten lebenden Intellektuellen, die würde ich gerne von oben bis unten interviewen.

profil: Das wird sich nicht mehr ganz ausgehen.
Wolf: Schau ich so schlecht aus? Ich bin erst 46.

Armin Wolf: Wozu brauchen wir noch Journalisten?
Theodor-Herzl-Vorlesungen, Picus Verlag, 143 Seiten, 14,90 Euro.
Erscheint am 25. Februar