Aufs Grab: Humorist, Zyniker, Misanthrop

Aufs Grab

Wilhelm Buschs Todestag jährt sich zum 100. Mal

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Die Natur des Menschen? Ein Gemisch aus Brutalität und Bestialität – wenn es nach Wilhelm Busch geht. In einem der Frühwerke des deutschen Zeichners und Dichters, dem Anfang der 1860er Jahre entstandenen Singspiel „Hänsel und Gretel“, einer freien Adaption des Märchens, lässt Busch das Geschwisterpaar gleich zu Beginn freiwillig in den Wald flüchten, überdrüssig der Schläge der bösen Stiefmutter. Im dichten Gehölz geraten die beiden bald in die Gefangenschaft einer Hexe und ihres Ehemanns, eines Menschenfressers namens Urschel. Die Vorfreude auf die in einem großen Wasserkessel gesottenen Kinderkörper lässt die gruseligen Gestalten im Duett tirilieren: „Was stimmt uns die Seele / So gut und so mild? / Das ist der Braten / Von Soße umhüllt.“

Der weitere Verlauf der nie uraufgeführten, heute so gut wie vergessenen Busch’schen Bühnenarbeit ist von mörderischer Rasanz geprägt: Die Kinder stoßen die Hexe ins Feuer; Urschel wetzt darauf sein Messer und will Hänsel sowie Gretel schlachten. Am Ende wird der Kannibale überraschend von der Polizei verhaftet, und Gretel heiratet einen Prinzen.

Verderbnis. Im Kosmos des Wilhelm Busch, geboren 1832 als Kind kleiner Leute, gestorben am 9. Januar 1908 als einer der massenwirksamsten Zeichner und Autoren seiner Zeit, stehen Mord und Totschlag, Orgien von Tod und Verderbnis an der Tagesordnung. Menschen werden in die Luft gesprengt, mit Scheren werden Köpfe abgetrennt, Messer durch Körper gerammt; ein unfolgsamer Knabe erstarrt während des strengen Winters zu einem Eisblock und kann bei Tauwetter, zu einem breiigen Etwas zerronnen, nur noch aufgewischt und im Einmachglas aufbewahrt werden. Frauen verbrennen bei lebendigem Leib („Die fromme Helene“); ein geköpftes Kind wird in der Bildergeschichte „Trauriges Resultat einer vernachlässigten Erziehung“ von einem Karpfen verschluckt.

„Der gute und der böse Dämon empfangen uns bei unserer Geburt, um uns zu begleiten. Der böse ist meist der stärkere und gesündere; er ist der heftigere Lebensdrang. Gute Kinder sterben früher, ihnen sind die Engelsflügel nicht abgeschnitten. Der natürliche, unverdorbene Mensch, als besonders das Kind, muss überwiegend böse sein, sonst ist seines Bleibens nicht in dieser Welt“: So formulierte Busch, der sein bis heute berühmtestes Buch, die Böse-Buben-Geschichte „Max und Moritz“ bereits mit Anfang 30 veröffentlichte, sein Credo in einem Brief anno 1875.

Das Bildgedächtnis der Kunstgeschichte kennt Busch, den Meister der aphoristischen Kürze, als Mann mit grimmigem Blick, derbem Rauschebart, imponierender Kopfbedeckung und um den Hals gebundenen Seidenschlips: ein trinkfreudiger und nikotinsüchtiger Bohemien, der einfache Hausmannskost schätzte und von seinen veröffentlichten Büchern nichts mehr wissen, sondern einfach „seine Ruh“ haben wollte. Der menschenscheue Eigenbrötler, dessen Figur sich über die Jahre je nach Bierkonsum veränderte, verkroch sich die meiste Zeit seines Lebens in deutschen Provinzdörfern und mied selbst den Kontakt zu seinen unmittelbaren Nachbarn.

Jahrzehntelang war Busch, der sein Geld in Kartons hortete, zudem besessen von dem Gedanken, eines Tages „in eine Anstalt“ eingeliefert zu werden. „Ich bin geboren anno dazumal, als man die Fräuleins noch Mamsellchen nannte und die Gänse noch Adelheid hießen, auf einem einsamen Bauerngehöft, gleich links von der Welt und dann rechts um die Ecke“, notierte er 1895.

Seine gestrichelten Kreaturen nannte der Bildergeschichtenautor „Phantasiehanseln“: tierische und menschliche Wesen, die sich vom Gesetz der Schwerkraft freimachen, Verbiegungen und Verrenkungen aller Art aushalten können – der Klassiker der Bildergeschichte als Mitbegründer des Comicgenres, als Vorläufer all jener „Tom und Jerry“- und „Road Runner“-Episoden, die unter Einsatz von Dynamit und Schusswaffen erzählt werden.

Der Reimeschmied („‚Mädchen‘ – spricht er – ,sag mir ob‘ / Und sie lächelt: ‚Ja, Herr Knopp!‘“), Lautpoet („In der Kammer, still und donkel, / Schläft die Tante bei dem Onkel“) und Erfinder geflügelter Worte („Vater werden ist nicht schwer, / Vater sein dagegen sehr“) hinterließ ein heterogenes, ausuferndes Werk. Bände mit Gedichten („Kritik des Herzens“, 1874) finden sich ebenso darunter wie erzählende Prosa („Der Schmetterling“, 1895) und großformatige Ölgemälde – die Busch übrigens zeitlebens einer breiteren Öffentlichkeit vorenthielt.

Sadist. Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist es bei Busch mitunter nur ein Schritt, vom Humoristischen zum moralisch Zweifelhaften ebenso. Die deutsche Germanistin Eva Weissweiler präsentiert in ihrer kürzlich publizierten, wohltuend respektlosen Busch-Biografie (Kiepenheuer & Witsch) den Komiker etwa als radikal unpolitischen, in seiner Arbeit mitunter zu fremdenfeindlichen und antisemitischen Untertönen neigenden Autor. In „Monsieur Jacques“, einem von den Nationalsozialisten später hoch geschätzten Werk, brät die Titelfigur während der deutschen Belagerung von Paris 1870 seinen Kanarienvogel und schneidet seinem Hund den Schwanz ab, was der Hungerleider mit den Worten „Excusez, mon ami, c’est la guerre!“ entschuldigt – eine Geschichte, so zitiert Weissweiler die Herausgeber der Busch-Gesamtausgabe, die in ihrer politischen Unbekümmertheit „von der schmutzigen Gesinnung eines Schreibtischtäters“ zeuge. Eine aus heutiger Sicht problematische Beschreibung findet sich zudem gleich im sechsten Reim der 1872 veröffentlichten „Frommen Helene“: „Und der Jud mit krummer Ferse, / Krummer Nas’ und krummer Hos’ / Schlängelt sich zur hohen Börse / Tiefverderbt und seelenlos.“

Der Historiker Golo Mann bezeichnete Busch einst als einen „nur scheinbar heiteren, unergründlich boshaften, menschenfeindlichen Humoristen“, als „grundgescheiten, mitleidenden Sadisten“. Auf Kritik sein Werk betreffend pflegte Busch nicht zu reagieren. Zumindest nicht unmittelbar, eher in gewohnter Schlusspointenqualität: „Heut stolziert er auf und ab, / Morgen scheißt der Hund aufs Grab.“

Von Wolfgang Paterno