Ausflug ins Grüne: Der Nino aus Wien verfährt sich in Klischees
Allerheiligen, acht Uhr morgens in Wien, die letzten Halloween-Feierfreunde spazieren nachhause, die Straßen leer, die Stimmung ruhig, mache ich mich auf zu einer kleinen Fahrt in die Steiermark nach Fürstenfeld, Bad Radkersburg und Graz. Drei Städte bzw. Gegenden, die auch auf dem neuen Album von Der Nino aus Wien besungen werden, das er gemeinsam mit Natalie Ofenböck im Rahmen des Steirischen Herbst veröffentlicht hat. "Das grüne Album - Wiener Reise durch die Steiermark" heißt es und reist der Frage nach, worin eigentlich die Unterschiede zwischen dem Land hinter dem Semmering und der Stadt um Simmering bestehen. Ich bin gespannt, da ich mein bisheriges halbes Leben in dem einen und die zweite Hälfte in dem anderen Bundesland verbracht habe. Es geht raus aus Wien, rauf auf die Südautobahn und das erste Stück "Harmonika Rap" ("Jeder kann Harmonika spielen nur wir nicht") stimmt mich schmunzelnd-vorfreudig ein auf das, was ich schon länger nur mehr aus der Ferne kenne: Blaskapellen an jedem zweiten Sonntag in jedem zweiten Dorf, ins Herbstlicht getauchte umgepflügte Äcker mit nachtaktiven Traktoren und der Frage, ob der Salat eh mit Kernöl serviert werden soll.
Lied Nummer zwei ("Klapotetz), die Shopping City Süd zieht an mir vorbei, bringt musikalisch noch mehr Schwung in die Vorfreude und erinnert mich daran, was es alles zu entdecken gibt zwischen Dachstein, Erzberg und dem Grenzland um die Weinstraße. Doch dann weicht der Freude leider Stück um Stück einer Ernüchterung, die beim sechsten Lied beinahe in Ärger umschlägt. Zunächst werden auf "A oage Gschicht" mit Tuba und Harmonika im Hans-Moser-Stil zünftig die Weinreben besungen, die Juche-Volksmusikstimmung auf "Aufwachlied" widmet sich dem Steirerblut und auf "Konditorei" wird nacherzählt, was es eben in einer Konditorei so zu sehen und essen gibt. Ob diese nun Praxmair in Kitzbühel, Aida in Ottakring oder Koppitz in Wagna heißt, scheint keine Rolle zu spielen. Als es dann langsam in Richtung Semmering geht und ich auf "Mischung" ein paar Juhuis und ein Dutzend Mal Mischung im Schunkeltakt höre, habe ich den Verdacht, dass sich die beiden einfach nur ein paar Tourismus-Dokus über die Südsteiermark angeschaut, und sich dann für ein Wochenende in die Buschenschenken der Weinstraße gesetzt haben. Das Lied könnte außerdem genauso gut in Retz in Niederösterreich, in Gols im Burgenland oder in Grinzing in Wien entstanden sein ("A Rausch ist heute mei Zü").
Die Reise bleibt zu häufig am Wein, Schnapps und Kernöl hängen.
Danach geht es zwar musikalisch und textlich nicht mehr ganz so klischeehaft zu, aber die Reise bleibt zu häufig am Wein, Schnapps und Kernöl hängen. Die leeren Industriegebiete in der Obersteiermark, die eingepferchte Atmosphäre um den Dachstein oder die Verunsicherung im Grenzgebiet der südlichen Weingegend waren wohl nicht auf der Ausflugskarte markiert. Das interessanteste Stück des grünen Albums ist dann auch eines, das auf Schunkelinstrumente und einfache Begriffe komplett verzichtet: "Bad Radkersburg" mit seiner verzerrten Instrumentierung und Stimme klingt wie ein verwirrtes und verzweifeltes Suchen nach Identität und Zuhause in einer kargen Winterlandschaft. Passend für eine Stadt, die Jahrzehnte als toter Winkel am Eisernen Vorhang galt, danach dank der Grenzöffnung vor zwölf Jahren wieder näher an seinen ehemaligen, heute in Slowenien liegenden Teil jenseits der Mur gerückt ist, jedoch seit den erneuten Grenzkontrollen Gefahr läuft, wieder in alte Muster zu fallen. "Bad Radkersburg" hätte als Stück Nummer neun von 15 Liedern ein guter Anker und Mittelpunkt für eine Reise durch die Steiermark im Jahr 2016 ein können. Es bleibt aber leider die Ausnahme.
Die Reise nimmt trotzdem ein versöhnliches Ende.
Gegen Ende des Albums sind mit "Vulkanland" und "Grenzmoor" noch zwei weitere solide Stücke zu finden, moderne Interpretationen steirischer Charaktergegenden und -räume, die auch einen Hinweis darauf geben, was hinter der Oberfläche der hektisch-unsicheren Menschen in der Oststeiermark und den stoisch-mysteriösen Leuten im Ausserland stecken könnte. Leider macht das Stück "Auf nach Graz" ("Heit fohr ma in die Stodt und ziehen uns was Feines an") die kurze Freude wieder rasch zunichte. Ernst gemeint scheint das Stück nicht zu sein, ironisch aber auch nicht. Es klingt wie aus einem schlechten Heimatfilm aus den 1970ern. Ich habe selbst meine Urgroßeltern nie so reden gehört und frage mich nach wie vor, was das Lied erzählen will.
Die Reise nimmt trotzdem ein versöhnliches Ende. "Des kuntat a schena Tog werden" heißt es gleich zu Beginn auf dem schönen letzten Stück "A schena Tog". Ich habe den Semmering nun fast hinter mehr gelassen, der Herbst zeigt sich freundlich und bunt auf den Hügeln links und rechts der Südautobahn. Die Stimmung entspannt, ruhig optimistisch, aber auch ein wenig skeptisch, ob die Sonne draußen bleibt und das Wetter friedlich. Das Abschlusslied begleitet mich über die Grenze rein in die Steiermark. Graz: 98 Kilometer, steht da geschrieben. Die Vorfreude ist wieder zurück. Und auch wenn "Das grüne Album" mehr einem Wochenendausflug auf die Weinstraße gleicht als einer Erkundung der modernen Steiermark: Dieser Allerheiligentag wurde tatsächlich a schena Tog.