Auch Olympiasiegerin Allen war gedopt

Außer Atem: Auch Olympiasiegerin Kate Allen nahm verbotene Medikamente

Hatte 2004 Doping-substanzen im Körper

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Von Emil Bobi

Als die in Führung liegende Australierin Loretta Harrop zwei, drei Kilometer vor dem Ziel auch noch einging, wurde das Unglaubliche wahr: Nach zwei Stunden, vier Minuten und 43,45 Sekunden, nach eineinhalb Kilometern Schwimmen, 40 Kilometern auf dem Rad und einem 10-Kilometer-Lauf überquerte die sich am Ende ihrer Kräfte dahinquälende Kate Allen fast torkelnd als Erste die Ziellinie. Es war die Sternstunde ihres Lebens: am 25. August 2004 um 12.04 Uhr in Athen. Die damals 34-jährige Spitzensportlerin war unerwartet Triathlon-Olympiasiegerin geworden.

Doch die Sternstunde dauerte kaum 30 Minuten. Dann kehrte die Angst zurück, nicht die Angst vor dem Scheitern, sondern die Angst, etwas zu verlieren. Direkt am Zieleinlauf wurden die drei Bestplatzierten, wie auch in allen anderen Diszi­plinen, von Agenten der Welt-Doping-Organisation WADA erwartet, die ihnen nicht mehr von der Pelle rückten. Vom Zieleinlauf bis zum Dopingtest, der vorschriftsmäßig spätestens eine Stunde später stattfinden muss, durften die Medaillengewinnerinnen absolut nichts mehr unbeobachtet tun: kein Wasser trinken, nicht zur Toilette gehen, ja nicht einmal jemandem die Hand schütteln. Nur ein ausgewählter Betreuer darf die Athletin laut ­Reglement zur Dopingkontrolle begleiten. In Kate Allens Fall war dies Mannschaftsarzt Alfred Engel. Zunächst gab Allen noch kurze, atemlose Sieger-Interviews für die Medien. Dann ging es ab ins Zelt zum Dopingtest.

Spitzensport hat viel mehr mit Krankheit als mit Gesundheit zu tun. So leidet die Mehrheit aller Spitzensportler weltweit an Asthma. Zumindest sind sie in Besitz von ärztlichen Attesten, in denen dies behauptet wird. Asthma-Kranken ist es erlaubt, Medikamente einzunehmen, die auch Spitzensportler im Grenzbereich ihrer Leistungsfähigkeit gut gebrauchen können: pharmazeutische Produkte, die das Lungenvolumen künstlich erweitern, um mehr Sauerstoff zu transportieren. Und da es im Ausdauerbereich vor allem um erhöhte Sauerstoffproduktion und -zirkulation geht, ist Asthma unter Spitzensportlern eine durchaus beliebte Krankheit, denn sie erlaubt nützliche Gegenmaßnahmen. Sicher gibt es viele Spitzensportler, die Probleme mit der Lunge haben. Auch Kate Allen soll an Asthma leiden. Doch nun stand sie im Zelt vor der olympischen Dopingkontrolle und musste einräumen, die auf der Dopingverbotsliste aufgeführten Asthma-Medikamente aus der Gruppe der Glucocorticosteroide und Beta-2-Agonisten eingenommen, die entsprechende Ausnahmegenehmigung für den Konsum dieser Substanzen als Asthma-Patientin jedoch nicht parat zu haben.

Nun griffen die österreichischen Betreuer hektisch zu den Telefonen, der österreichische und der internationale Triathlonverband wurden eingeschaltet, und nach kurzer Zeit flatterte eine „Ausnahmegenehmigung“ per Fax ins olympische Dorf, welche der zuständigen Kommission vorgelegt wurde. Kate Allen und ihr Betreuer/Ehemann Marcel Diechtler hatten laut eigener Darstellung zwar den österreichischen und den internationalen Fachverband informiert, nicht aber das Österreichische Olympische Comité (ÖOC) und auch nicht das Internationale Olympische Comité (IOC), also den Veranstalter der Spiele selbst. Der Fachverband habe die Bestätigung leider nicht weitergereicht, sondern einfach liegen gelassen.

Am Abend dieses großen Tages wurden die Gratulationen nur halbherzig entgegengenommen, die Feierstimmung im Österreich-Haus des olympischen Dorfes schien gedämpft. Ein großer Sieg war errungen, aber noch nicht gesichert. Tags darauf kam die Hiobsbotschaft: Das IOC akzeptierte das nachgereichte Attest nicht, weil es die Methode nicht anerkannte, mit welcher Kate Allens Hausarzt Asthma diagnostiziert haben wollte. Das IOC gab sich nicht mit einer bloßen Bestätigung durch den Hausarzt zufrieden, sondern hatte für alle Teilnehmer einen so genannten „Provokationstest“ vorgeschrieben. Dabei wird künstlich ein Asthma-Anfall ausgelöst, um die Reaktion der Testperson auf das Gegenmittel zu testen. Für alle Athleten mit ähnlichen formellen Problemen war eine Athener Klinik akkreditiert, in der man sich vor Beginn der Spiele diesem Provokationstest unterziehen konnte. Aber auch das hatte Allen ­verabsäumt.

Nun stand ihre Disqualifikation im Raum: Allen hatte gesiegt, verbotene Substanzen ohne Ausnahmegenehmigung im Körper und keine guten Erklärungen für diese Tatsache. Man habe nicht gewusst, dass man die Asthma-Erkrankung neben den Triathlon-Fachverbänden auch dem Veranstalter der Olympischen Spiele melden müsse, lautete ein erster, matter Erklärungsversuch. Dem widerspricht der damalige ÖOC-Präsident Heinz Jungwirth gegenüber profil: „Das haben wir aber oftmals verlautbart und ganz klar kommuniziert.“

Einen Tag nach dem großen Sieg brach die große Verzweiflung aus. Gerald Dygryn, der damalige Delegationsleiter der österreichischen Triathlon-Olympioniken, erklärt auf profil-Anfrage, er habe damals den ganzen Nachmittag über erfolglos versucht, Allen oder ihren Betreuer Marcel Diechtler zu erreichen. Diechtler habe ihn, Dygryn, dann gegen 22.30 Uhr angerufen und seine Abreise für den nächsten Tag angekündigt. „Er hat gesagt, Kate wird disqualifiziert. Olympia ist für uns vorbei. Wir reisen ab und fangen einen neuen Plan an für den Ironman-Triathlon in Hawaii im Oktober 2004“, erinnert sich Dygryn. „Ich habe geantwortet: ,Spinnst du? Sie wird gesperrt und darf nirgendwo antreten, und das trifft den ganzen Triathlon-Sport, weil es der erste Dopingfall ist.‘“

Etwas später am Abend habe plötzlich das Gerücht die Runde gemacht, es sei ein „Deal“ mit dem IOC zustande gekommen, eingefädelt von Hans Holdhaus, dem Delegationsleiter der gesamten österreichischen Olympiamannschaft. Demnach werde für Allen eine „Ausnahme“ gemacht, sie könne am nächsten Tag den „Provokationstest“ nachholen.

Am nächsten Tag nach dem Frühstück, es war nun Freitag, der 27. August, seien laut Dygryn vier Personen im ÖOC-Büro des olympischen ­Dorfes zu einem Treffen zusammengekommen: Kate Allen, Marcel Diechtler, Hans Holdhaus und Alfred Engel. Gygryn selbst sei am Ende der Besprechung dazugestoßen: „Kate hat geweint, auch Marcel war verzweifelt. Dann sind Holdhaus und Kate allein losgefahren. Zum Asthma-Test, hieß es. Das war gegen 10 Uhr. Um 11.30 Uhr war dann alles vorbei. Da hieß es, alles sei in Ordnung, Kate leide an schwerem ­Asthma, und sie sei Olympiasiegerin.“ Damals, sagt Dygryn heute, sei er erleichtert gewesen und habe sich nichts weiter gedacht.

Kate Allen und Marcel Diechtler befinden sich derzeit in Davos, Schweiz, beim Höhentraining. Diecht­ler hat telefonisch Stellung bezogen. Im Gegensatz zu allen anderen Beobachtern und Beteiligten will er nicht wahrgenommen haben, dass eine Disqualifikation im Raum gestanden sei. Alles sei ganz entspannt abgelaufen. Es habe sich um eine unspektakuläre Nachreichung eines Dokuments gehandelt, nichts weiter. Diechtler: „Es ist unrichtig, dass ich Herrn Dygryn an diesem Abend angerufen habe, und es ist auch unrichtig, dass ich unsere Abreise angekündigt habe.“ Richtig sei, dass er einen Formalfehler gemacht habe: „Wir haben dem ÖOC nicht gemeldet, dass wir eine Ausnahmegenehmigung haben. Aber wir haben nicht gewusst, dass wir das tun müssen. Und wir haben auch nicht ­gewusst, dass das IOC andere Richt­linien für diese Ausnahmegenehmigungen hat. Tatsache ist jedenfalls, dass Kate beim Provokationstest eindeutig Asthma diagnostiziert wurde.“

Hans Holdhaus spricht nicht von einer ganz normalen Nachreichung eines Dokuments. Er habe sehr wohl die Gefahr der Disqualifikation gesehen und sich bei Ken Fitch, dem Vorsitzenden der für Ausnahmegenehmigungen zuständigen Kommission, mit aller Überzeugungskraft eingesetzt. Damit sei er auf Verständnis gestoßen. Holdhaus: „Fitch hat dann eine Ausnahme gemacht und den nachträglichen Test erlaubt. Ich würde mir das nicht selbst auf die Fahnen heften, aber es war wohl so.“ Der damalige ÖOC-Präsident Jungwirth zieht ein Resümee, das tief blicken lässt: „Ob Frau Allen Asthma hat, weiß ich nicht. Aber, mein Gott, das mit dem Asthma ist so eine Sache. Mehr als die Hälfte der Sportler hat Asthma. Diese Asthma-Sache müsste man anders reglementieren.“