Ein Panzer aus Porzellan

Porträt. Schauspieler Ben Becker im Porträt

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Ben Becker ist ständig drauf. Auf einer Überdosis Ben Becker. Das kann sehr anstrengend sein. Nicht nur für ihn selbst. Seine Umwelt steht dann manchmal ganz einfach nur an der Wand. Wie zum Beispiel vergangene Woche so eine "Museumstante“, die es "gar nicht so schön fand“, dass Ben Becker plötzlich bunte Ballons aus dem "Woyzeck“-Requisitenfundus herbeischaffte und im Hof des Museumsquartiers in den Himmel steigen ließ, wo doch ausschließlich weiße Ballons für die Kinder vorbereitet waren. Ein solches Konzept schreit doch danach, in die Luft gesprengt zu werden. Da wurde dann gleich ganz aufgeregt telefoniert, und die Tante schnatterte: "Meine Chefin mag’s auch nicht, dass Sie nicht die weißen nehmen.“ Er sagte dann mit dieser starken, dunklen Stimme, mit der man Häuser bauen könnte: "Das glaub ich jetzt aber nicht, Herzblatt!“ Weil daneben noch ein Bierchen stand, gab’s natürlich prompt wieder "eine in die Fresse“, und zwar in der "Presse“: "So was in der Art wie, Ben Becker nimmt völlig illuminiert armen Kindern ihr Spielzeug weg.‘“

Klar doch, man macht viel Blödsinn.
In diesem Genre fing es eigentlich schon recht stark an. Als Becker 1997 seine CD "Und lautlos fliegt der Kopf weg“ mit seiner Truppe "Zero Tolerance Band“ im Bayerischen Rundfunk promotete, nutzte er die Gelegenheit, um - einfach so - den Tod von Franz Beckenbauer im Radio zu verkünden: "Da war dann die Hölle los, das ging bis zu Morddrohungen.“

Trotzdem wird er auch noch weiterhin sehr viel Blödsinn machen. Der letzte Coup war eine kleine Kunstleihaktion; auf der Party eines Galeristen entführte er unbemerkt ein Tom-Sachs-Objekt, Schätzwert 1,2 Millionen Dollar: "Ich weiß auch nicht genau, warum ich das gemacht habe. Wahrscheinlich wollte ich das Kunstwerk in einem anderen Ambiente auf mich einwirken lassen. Aber ich hab’s ja auch gleich wieder zurückgebracht, das Ding, und mich entschuldigt.“ Die Entschuldigung wurde mit einem tizianrothaarigen Selbstporträt untermalt, das den Titel "Der Kunstdieb“ trug.

Puzzleteile aus der Psyche eines Aufmerksamkeits-Junkies, der seine eruptive Verhaltensoriginalität auch zu einer Art Geschäftsmodell gemacht hat: So wie das Gangsterhütchen, die fetten Ringe und die Sonnenbrille, gerne auch bei Nacht in guter, alter Jack-Nicholson-Manier getragen, halten Exzesse und die damit verbundene Schonungslosigkeit gegen sich selbst die Marke Ben Becker auch warm.Dass manche Menschen seine erratischen Unfugseskapaden nicht so komisch finden, kann Becker auch irgendwie nachvollziehen: "Ich geh mir selber manchmal auf den Sack. Aber wenn es so weit ist, ist es meistens schon zu spät.“ Er schießt eine scheppernde Gelächtersalve hinterher, die abrupt versiegt. Jetzt baut er sich sehr nah vor einem auf und sagt in einem nicht ungefährlichen Ton: "Aber, Herzblatt, vergiss einmal den Becker, den der Boulevard aus mir macht. Morgen um 10.30 Uhr steh ich pünktlich auf der Probe vor meiner Regisseurin Stefanie Mohr und kann meinen Text. Da kannst Gift drauf nehmen. Da bin ich dann ganz Angestellter. Und wenn ich Macher bin und die Bibel vor insgesamt 140.000 Menschen lese, kriege ich die Läden voll. Und die, die kommen, sind nicht da, weil ich den Kronleuchter von der Decke hole. Die sind da, weil sie was kriegen von mir. Und wissen, dass sie nicht von mir beschissen werden. Noch nie habe ich mein Publikum verarscht.“

Er holt Luft für einen neuen Wutausbruch: "Ich bin nämlich ein Arbeitstier. Schau dir meine Filme an, schau dir meine Preise an, guck mal rein in meinen Terminkalender. Ich bin ständig auf Montage: Komme direkt aus Salzburg, mache hier "Woyzeck“, und dann geht’s gleich weiter an die Berliner Staatsoper mit "Orpheus“ zu Herrn Flimm. Noch Fragen?“

Zu seinen stärksten Filmauftritten zählen "Schlafes Bruder“, "Comedian Harmonists“ und "Ein ganz gewöhnlicher Jude“ von Oliver Hirschbiegel. In diesem Filmmonolog sagt Beckers Figur Emanuel Goldfarb: "Noch will ich nicht ausgestopft werden. Aufgespießt. Präpariert wie eine interessante Missgeburt.“

Es wird mucksmäuschenstill am Franziskanerplatz im Gastgarten des Wirtshauses Pöschl, das ganz nach Beckers Geschmack ist. In seiner "Präsenzgier“, wie er seinen Treibstoff nennt, hat er die Kraft seiner Stimme offensichtlich unterschätzt. Vielleicht aber ist es auch deswegen so still, weil die Gäste von den anderen Tischen ohnehin schon längst auf das Präsenztier Ben Becker starren, als wäre er eine Zeitbombe, die jederzeit explodieren könnte, und man keine Sekunde von diesem Spektakel versäumen möchte. Warum braucht einer, der ohnehin so viel Theater hat, auch sonst ständig Bühne? "Ich komme aus einer Schauspielerfamilie, da musstest du ständig rudern, damit du überhaupt wahrgenommen wirst. Schon mit fünf habe ich kapiert: Willst du überleben, musst du deine eigene Show machen.“ Alle Egos flogen hoch, am niedrigsten noch das der Schauspieler-Mutter Monika Hansen, "mit der ich bis heute eine enge Beziehung habe - allerdings mach ich ihr auch Angst. Die kann mit meinem ständigen Rausrudern, meiner Präpotenz und meiner Präsenz nicht so viel anfangen, die hätte mich doch noch lieber als den kleinen, nuckelnden Jungen.“

Für den kleinen, oft tödlich gekränkten Jungen musste die Mutter öfter in Kampfstellung gehen, denn in der Schule bekam Becker "ständig in die Fresse“: "Die haben mir die Haare ausgerissen,, Feuermelder‘,, Albino‘ gebrüllt. Ich war auch ein so schmächtiges Kerlchen. Klar, dass ich auch kein Mädchen abgekriegt habe. Mit zwölf bin ich dann voll der Punk geworden. Ich war der Einzige in meinem Alter, der in Westberlin in die Läden rein durfte, wo David Bowie, Nina Hagen und Iggy Pop abhingen. Markus Lüpertz hat in seinem langen Pelz geschrien, dass ich sofort aus der Paris Bar entfernt gehöre, weil ich einen HJ-Sticker an der Lederjacke hatte. Aber mein Ziehpapa hat ja dort nahezu gewohnt.“ Wenn Ben Becker über den "alten Herrn“ spricht, wird sein Tonfall ungeheuer zärtlich. Der alte Herr ist Otto Sander, eine Legende der Berliner Schaubühne, Wim-Wenders-Schauspieler, ein Gigant der brüchigen Figuren. Becker war sieben Jahre alt, als sich seine Mutter von seinem leiblichen Vater Rolf Becker, einem mäßig erfolgreichen Schauspieler, trennte. Als Kind verkroch sich Becker in der Kofferablage über dem Bad in der Berliner Altbauwohnung, bemalte die Wände mit Walen und verhängte sie mit Fischernetzen: "Und dann kroch der Otto auf der Leiter hoch, setzte sich zu mir und las mir stundenlang, Moby Dick‘ vor. Die Meret, meine Schwester, war dafür noch zu klein, außerdem gehörte diese Höhle nur mir. Von Otto vorgelesen zu kriegen, das ist eine gewisse künstlerische Basis.“

Mit erheblichen künstlerischen Nebenwirkungen:
In Begleitung seiner Band "Zero Tolerance“ tourt Becker, 46, seit Jahren als hallenfüllender Vorleser durch Konzertsäle und Theater: Neben der Bibel bewaffnete er sich mit Texten von Brecht, Klaus Kinski, Jack London, dem christlichen Mystiker John Donne und seiner dunkel-morbiden Bass-Stimme: "Manche waren so berührt, dass sie weinten. Ich habe auch tierische Briefe bekommen. Es war oft so richtig intensiv.“ Bei seiner elfjährigen Tochter Lillith hat er es auch mit "Moby Dick“ versucht: "Nur die hat dann immer so schlecht geträumt, jetzt sind wir auf Shakespeare in der Kinderversion umgestiegen.“ Die Tochter begreift ihn genau. Sie sagt: "Papa, du bist verrückt, aber ich hab dich lieb.“ Mehr geht nicht.

Seine Rückzugshöhle ist heute die Familie - die Tochter, die Lebensgefährtin Anne Seidel, die Schwester Meret, Otto Sander, "den meine Mutter jetzt so gut beschützt“: "Ich brauch das, ich brauch das sehr. Da will ich dann auch richtig kuscheln. Und wenn’s mir nicht gut geht, die Vorhänge zuziehen können. Nur: Es würde sich beschissen anfühlen, wenn du die Vorhänge zuziehst und niemand sonst da wäre.“ Und sie waren alle da gewesen, als er 2007 fast an einer Überdosis Heroin gestorben wäre: "Sie waren enttäuscht, verletzt, traurig, aber sie waren da. Das kannst du dir nicht vorstellen, was da abgegangen ist: flächendeckendes mediales Bombardement. Wären da nicht meine Familie und meine Freunde gewesen, hätte ich mich an den nächsten Baum genagelt und gesagt: Tja, Leute, das war’s für mich.“

Heroin, schwört er, hatte er bis zu diesem Abend noch nie angerührt: "Ich bin da so mit einer Tante rumgezogen, und die hat das Zeug dann auf den Tisch gepackt. Und da hab ich mir gedacht, der zeigst du’s aber jetzt. Dann war ich weg, und zwar völlig. Sie war zwar hackebreit, hat aber dann trotzdem die Bullen angerufen.“ Einen einzigen Vorteil hatte der meterhohe Absturz: "Ich fürchte mich jetzt nicht mehr vor dem Tod. Es fühlte sich wunderschön an: Alles war schwarz, und ich war schwerelos, wie in Watte gepackt.“

Die richtige Hölle ging aber erst nach dem Überlebenskampf los: "Da haben dann die Freaks vom Boulevard mit Blumensträußen die Intensivstation in der Berliner Charité gecrasht und mich und meine Mutter, als wir beide weinend am Tisch saßen, knallhart abgeschossen. Meine tränenüberströmte Frau zierte die gesamte Einser-Seite der, Bild‘, und vor dem Portal selbst lief ein Medienirrsinn ab, als ob ich Michael Jackson höchstpersönlich wäre. Die Ärzte waren großartig, die haben mich dann geschützt. Schließlich wollte besagte Dame mit einem RTL-Team zu mir, damit ich mich bei ihr vor laufender Kamera für meine Lebensrettung bedanken kann. Die sind dann natürlich rausgeflogen, aber später hat sie fleißig Interviews um ordentlich Geld gegeben.“ Er schüttelt sich und sagt mehr zu sich selbst: "Meinen Absturz werdet ihr nicht geschenkt kriegen!“

Instinktiv weiß Becker aber auch, dass das Exzess- und Entgleisungsprogramm Teil eines Künstlerkonzepts ist, das den Boulevard auf Schiene hält. Er schenkt den Affen den Zucker, den sie von ihm erwarten, sich selbst aber dabei oft nichts.

Inzwischen sind wir ins Anzengruber in der Nähe des Naschmarkts übersiedelt; Becker bestellt pechschwarzes Gulasch und würde dann am liebsten sofort in die Küche zu einem Gulasch-Crashkurs. "Heute ist aber noch nicht Weihnachten“, sagt die Chefin, die erfrischend promiresistent ist. Becker erzählt von seinem ersten Auftritt nach dem Crash, den er noch dazu mit einer Bibel-Lesung hatte: "Ich bin vor das Publikum getreten und habe gesagt:, Leute, der, der hier vor Ihnen steht, ist kein lebender Toter, und dieser Saal ist auch nicht Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett. Lassen Sie uns also ganz entspannt mit der Bibel auf eine himmlische Reise gehen.‘“

Er legt seine druckfrische Biografie "Na und, ich tanze“ auf den Tisch, die noch kaum einer zu lesen gekriegt hat. Hier wird angeblich nichts ausgespart. Insofern egal, als Becker sich sowieso heute "mit der Seele und noch viel mehr aufs Silbertablett gelegt hat, weil ich eben sehr viel zu geben habe. Nur wenn die, die um meine Verletzlichkeit wissen, voll reinhauen, dann schrei ich: Leckts mich doch alle! Ich bin ein Panzer, aber einer aus Porzellan.“ Er krempelt einen Hemdsärmel hoch. Auf seinem Arm ist eine Zeile aus einem Iggy-Pop-Song tätowiert: "Open up and bleed.“ Besser könnte man das System Ben Becker nicht beschreiben.

Foto: Ingo Pertramer für profil