Darum immer Afrika

Reportage. Christian Rainer über die afrikanische Misere

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Es ist Regenzeit, und dennoch sprießt die Saat nicht satt auf den Feldern des Westsahel. „Das Wasser kommt viel zu spät, und es kommt unregelmäßig“, sagt die greise Bäuerin. Sie steht auf ihrem Acker in Makalondi, 100 Kilometer westlich von Niamey. „Wir säen nach jedem bisschen Regen, aber dann vertrocknen die Samen, und mehr Saatgut habe ich jetzt nicht mehr.“

Niamey ist die Hauptstadt des Niger, zweitmiserabelstes Land der Erde laut Weltentwicklungsindex der UNO, nur geschlagen von der Demokratischen Republik Kongo. Hier, in den Savannen knapp südlich der Sahara, droht eine Hungersnot, und dieses Mal nähert sie sich schleichend. Die Hälfte der Kinder ist ohnehin schon unterernährt. Aber in wenigen Monaten, wenn das letzte Hirsekorn aufgegessen und der Nachschub ausgeblieben ist, werden nicht nur die Schwachen an Mangelernährung und Krankheit sterben, was Alltag im Herzen Afrikas ist. Dann bedroht der Hungertod Millionen.

Das Wort Sahelzone ist seit den Hungerepidemien der siebziger Jahre Synonym für das Elend der Welt. Während geografische Namen wie Bangladesch, Indien oder Indonesien viel von ihrem Schrecken verloren haben, hat sich hier in vier Jahrzehnten wenig geändert. Viele Hungerleider Ostasiens, damals noch gleichauf am Ende der Leidensskala, sind erfolgreiche Industrienationen geworden; manch siechender Staat in Lateinamerika wurde zum gesunden Agrarexporteur.

Warum ausgerechnet Afrika, warum ewig Hunger, Kriege, Staatsstreiche, Korruption, Diktaturen? Warum muss da stets Entwicklungs- und Nothilfe das Allerschlimmste verhindern? Hier einige Antworten von einer Reise mit der Caritas nach Niger, nach Burkina Faso und in die Flüchtlingslager hart an der Grenze zum zerfallenen und in Verwüstung befindlichen Mali.

Denis Brown ist die Direktorin des World Food Program in Niger. Sie sitzt in einem unprätentiösen Büro, war zuvor in Somalia, Irak, Afghanistan, Haiti. Entsprechend pragmatisch sind ihre Antworten.

profil: Warum ausgerechnet Niger?
Brown: Die Bevölkerung hat sich von der Krise 2010 noch nicht erholt. Die Preise gingen überraschend hoch. Die Politik kooperiert jedoch im Gegensatz zu früher. Das macht die Hilfe um vieles leichter.
profil: Der Islam?
Brown: Nein, Religion spielt keine Rolle. Aber ein anderes strukturelles Problem: 85 Prozent der Frauen sind Analphabeten.

Raymond Yoro Younoussi ist Exekutivsekretär der Caritas Niger. Obwohl ein Mann der Kirche, gibt er der Familienpolitik die Schuld und fordert Familienplanung.

profil: Was läuft schief?
Youndussi: Sieben bis acht Kinder pro Frau, das bringt ein Bevölkerungswachstum von 3,3 Prozent. Ein Muslim mit vier Frauen kommt so auf 32 Kinder. Das hält kein Staat aus. Da hilft nur Geburtenkontrolle – die Pille.

Mohamed Oald Zeini ist Lehrer aus Mali und Literaturstudent. Seit drei Monaten lebt er in einem Flüchtlingslager bei Djibo, Burkina Faso, nahe der Grenze zu seiner Heimat. Er macht Gott verantwortlich und spricht vom Unwissen der Menschen.

profil: Warum hat es jetzt Mali erwischt, das eben noch als positives Beispiel für Afrika galt?
Zeini (deutet gegen den Himmel): Was immer passiert, beschließt der da oben. Die Dorfältesten gingen weg. Es gab keine Autorität mehr. Wir hatten nur die Wahl, uns den Rebellen anzuschließen oder zu gehen. Die ganze Familie ist geflüchtet, 20 Personen.
profil: Aber wer ist schuld?
Zeini: Wir fühlen uns hier wie Blinde. Ein Blinder weiß auch nicht, wer den Stein geworfen hat.

Dasselbe Lager. Mohamed Sidamar war vor seiner Flucht Student in Mali. Er beklagt die ethnische Teilung afrikanischer Länder, die ihn besonders betrifft.

profil: Warum ist Ihnen das passiert?
Sidamar: Ich bin weder Tuareg noch Araber. Für Mestizen wie mich ist es am schlimmsten. Wir gehören nirgends hin, niemand will uns.

Ein Geschäftsmann aus Bamako, auch im Lager. Er nennt seinen Namen nicht. Er musste weg, als die Zollstation in Malis Hauptstadt in die Luft flog. Auch er ein Opfer ohne Wissen.

profil: Wird es wieder normale Verhältnisse in Mali geben und irgendwann Frieden in Afrika?
Geschäftsmann: Die Antwort liegt tief im Brunnen, und wir haben kein Schöpfgerät, um das zu erfahren.

Mohamed Ansariist in ein Lager einige Kilometer weiter südlich geflüchtet. Hier trifft man die andere Seite des Konflikts, die Tuareg. Ansari kommt aus der Gegend von Timbuktu. Sein Blick ist auf das Überleben von seinesgleichen konzentriert.

profil: Was ist die Lösung für den Sahel?
Ansari: Ich bin Tuareg, und als Tuareg kann man niemals 20 Jahre in die Zukunft blicken. Wäre ich geblieben, hätte mich die Armee umgebracht.

Bertrand Badogo leitet unter anderem landwirtschaftliche Entwicklungsprojekte in Dori, im Nordosten Burkina Fasos. Seine Analyse trifft ein Grundproblem aller instabilen Staaten der Welt.

profil: Wenn Sie nur einen Punkt nennen dürfen – wo liegt das Dilemma Afrikas?
Badogo: Eindeutig der Analphabetismus! Das zieht sich durch alle Sektoren.
profil: Auch durch die Eliten?
Badogo: Wir hatten Präsidenten, die nicht lesen und ­schreiben konnten, die Amtssprache Französisch nicht sprachen – und Millionäre wurden.
profil: Analphabetismus führt zu Korruption?
Badogo: Wenn Beamte nicht verstehen, was sie tun sollen, werden sie korrupt.

Franz Küberl, Präsident der Caritas Österreich, sieht Veränderungen zum Besseren, selbst in Afrika.

profil: Warum soll der Westen weiter spenden, wenn doch nur alles den Bach runter und in die Taschen afrikanischer Politiker geht?
Küberl: Afrika ist kein Fass ohne Boden. Es haben Entwicklungen stattgefunden, die man vor zehn, 15 Jahren noch nicht für möglich gehalten hat. Damals wagte man in Europa noch nicht, die afrikanischen politischen Eliten zu kritisieren.
profil: Warum ist Afrika anders als Asien? Ein Punkt ­bitte.
Küberl: Das System der Stammeshäuptlinge und Dorfältesten, das seit einer Ewigkeit besteht.

Adelphe Rouamba. Auch er arbeitet für die Caritas, als Direktor in Kaya, rund 100 Kilometer von Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou entfernt. Er antwortet ähnlich wie Franz Küberl. Nicht unwahrscheinlich daher, dass die Antworten der beiden der Wahrheit am nächsten kommen.

profil: Was ist das Sonderproblem in Afrika?
Rouamba: Die hierarchischen Strukturen lassen weder Platz noch Sinn für Demokratie. Afrikaner verstehen nicht, dass jemand abgewählt wird. Abgeordnete können die Amtssprache nicht und müssen schauen, ob der Nachbar die Hand hebt.
profil: Welche hierarchischen Strukturen?
Rouamba: Dorfälteste. Häuptlinge. Die Mossi (Anmerkung: größte Ethnie in Burkina Faso) haben einen König in der Hauptstadt Ouagadougou, der wiederum einen Fürsten in Kaya und anderen Provinzstädten hat.
profil: In einer Art Selbstgeißelung hat der Westen lange Zeit das Echo von Kolonialismus oder gar Sklaverei für die Misere Afrikas verantwortlich gemacht. Ist da was dran?
Rouamba: Ich weigere mich absolut, das als Erklärung zu akzeptieren. Die Franzosen brachten auch Ausbildung und funktionierende Eliten. Und das ist Generationen her.

Die August-Sammlung der Caritas steht heuer unter dem Motto „Zukunft ohne Hunger“ und hilft mit dem Schwerpunkt Afrika. Spendenkonto: PSK 7.700.004 / BLZ: 60.000 / Kennwort: Hungerhilfe.

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