Debatte: Restitution von Nazi-Raubkunst

Debatte: Späte Erbschaft

Wird zu viel restituiert, wie Experten behaupten?

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Drei spektakuläre Restitutionsfälle beschäftigen gegenwärtig die internationalen Medien. Kein Tag vergeht ohne Neuigkeiten in der Diskussion um die Rückstellung von Nazi-Raubkunst. Vorvergangene Woche empfahl der Restitutionsausschuss des österreichischen Bildungsministeriums die Rückgabe des Gemäldes „Sommernacht am Strand“ von Edvard Munch, das die Österreichische Galerie Belvedere besitzt, an Marina Mahler, die Erbin von Alma Mahler-Werfel, der das Bild einst gehört hatte. Ihr Stiefvater Carl Moll, ein erklärter Nationalsozialist, hatte es an die Österreichische Galerie verkauft – angeblich im Einverständnis mit der Besitzerin, wie nach Bekanntgabe der Restitutionsempfehlung der renommierte Alma-Mahler-Biograf Oliver Hilmes behauptet (siehe profil 46/2006). Laut Hilmes wurde mit dem Erlös des Munch-Gemäldes ein Sommerhaus Alma Mahler-Werfels saniert.

Der zweite Fall, aus Deutschland, betrifft ein Bild des Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner, das am 8. November 2006 im New Yorker Auktionshaus Christie’s vom US-Sammler Ronald Lauder für seine Neue Galerie in New York um 34 Millionen Euro ersteigert wurde. Das Gemälde „Berliner Straßenszene“, das vor 1933 der jüdischen Familie Alfred und Thekla Hess gehört hatte und zuletzt im Berliner Brücke-Museum hing, war vom Berliner Senat „nach sorgfältiger Prüfung“ an die in Großbritannien lebende Hess-Erbin Anita Halpin restituiert worden. Diese brachte es bei Christie’s zur Versteigerung ein.

Angemessen? Dagegen hatte ein deutscher Sammler Einspruch erhoben. Das Bild sei 1937 den Eigentümern um einen angemessenen Betrag (3000 Reichsmark) abgekauft worden. Es sei „nationales Kulturgut“, und der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit sowie sein Kultursenator Thomas Flierl als die für das Brücke-Museum zuständigen Politiker stünden daher im Verdacht der „Untreue“ oder der „veruntreuenden Unterschlagung“.

Die Berliner Staatsanwaltschaft schmetterte die Vorwürfe ab und weigerte sich, bei den US-Justizbehörden eine Beschlagnahme der „Berliner Straßenszene“ einzufordern. So konnte die Versteigerung stattfinden. Die Restitutionsgegner kündigen allerdings ein „Nachspiel“ an.

Im dritten Fall geht es um die erfolgreiche Verhinderung einer Auktion. Nur wenige Tage vor der – bereits vier Monate im Vorhinein angekündigten – New Yorker Christie’s-Auktion am 8. November erhob der deutsche Historiker, Leiter des Moses-Mendelsohn-Instituts in Potsdam und frühere Leiter des Jüdischen Museums in Wien, Julius Schoeps, Einspruch gegen die Versteigerung von Pablo Picassos „Porträt des Angel Fernandez de Soto“ aus dem Jahr 1903, auch bekannt als „Der Absinth-Trinker“. Die Ikone aus Picassos Blauer Periode – Schätzwert fast 50 Millionen Euro – war von der Kunststiftung des britischen Musical-Komponisten Andrew Lloyd Webber eingebracht worden. Schoeps, Neffe des ursprünglichen Besitzers, des Berliner Bankiers Paul von Mendelssohn-Bartholdy, und als solcher Sprecher einer Erbengemeinschaft, hatte über deren US-Anwalt John J. Byrne beim Obersten Gericht des Bundesstaats New York eine Klage eingebracht, mit der er das Besitzrecht auf das wertvolle Kunstobjekt erstreiten will. Argument: Paul von Mendelssohn-Bartholdy habe das Gemälde unter dem Druck der Nazis verkauft. Christie’s und die Andrew Lloyd Webber Art Foundation zogen das Bild unter dem Zeitdruck „sehr ungern“ zurück.

Spitzenkunst-Gier. Drei aktuelle Fälle, die vor dem Hintergrund der heuer erfolgten Restitution von fünf Schlüsselwerken Gustav Klimts an die Erben der jüdischen Eigentümerfamilie Bloch-Bauer sowohl Begehrlichkeiten als auch Ängste wecken. Drei Fälle auch, die auf einen, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ konstatierte, „boomenden, von Kapital überfluteten Markt“ treffen, der „nach Spitzenstücken“ giere.

Tatsache ist, dass die Christie’s-Auktion vom 8. November, die wiederum der Versteigerung von Klimts „Goldener Adele“ im Juni um 107 Millionen Euro folgte und mit 384 Millionen Euro die einträglichste Auktion aller Zeiten wurde, zu einem Gutteil aus Restitutionskunst bestand.

Die Reaktionen auf diese jüngsten Restitutionsturbulenzen sind höchst unterschiedlich. Die Historikerkommission des Bildungsministeriums, der auch von jüdischen Kreisen hohe Kompetenz bescheinigt wird, wehrt sich dagegen, im Falle des Munch-Bildes die Recherchen des Alma-Mahler-Biografen Hilmes nicht berücksichtigt zu haben. Aus Sophie Lillies Forschungsarbeit „Was einmal war“ (siehe auch Interview Seite 139) scheint klar hervorzugehen, dass die zu sanierende Villa zum Zeitpunkt des Verkaufs des Bildes gar nicht mehr im Besitz von Alma Mahler war.

Auch bei Kirchners „Berliner Straßenszene“ wird derzeit in Deutschland die Partei der Restitutionsgegner ergriffen – möglicherweise voreilig. So wirft die „FAZ“ den Berliner Politikern „vorauseilenden Kleinmut“ und die Leichtfertigkeit vor, „nationales Kulturgut“ aus der Hand zu geben. Der Verlust des Bildes sei für die Allgemeinheit tragisch.

Mit großer Sympathie begleitet die „FAZ“ hingegen den erfolgreichen Einspruch von Julius Schoeps gegen die Versteigerung des Picasso-Bildes, während auch in Kreisen strikter Restitutionsbefürworter Bedenken herrschen, ob Schoeps’ Last-Minute-Aktion nicht letztlich kontraproduktiv sei. Erika Jakubovits, Exekutivdirektorin des Präsidiums der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, ist der Ansicht, „solch komplexe Sachen müssten in geordneten, rechtzeitigen und offenen Diskussionen behandelt werden“, sonst schadeten sie dem Restitutionsgedanken generell. Dabei wird auf die Sensibilität verwiesen, mit der Christie’s die Frage von Restitutionen behandle. Die dort dafür verantwortliche Expertin Monica Dugot stamme nicht aus dem Auktions-Business, sondern aus der Holocaustforschung.

Angst um Image. Angesichts der aktuellen Häufung angeblich problematischer Restitutionsfälle stellt sich die Frage, warum erst jetzt, 61 Jahre nach Kriegsende, so viele Restitutionsanträge gestellt werden. Dazu Erika Jakubovits: „Es gab in den fünfziger Jahren Versuche, Eigentum zurückzubekommen. Diese führten zu nichts, die Opfer resignierten. Nun sind die Bilder viel wert, und es ist klar, dass eine neue Generation versucht, zu ihrem Recht zu kommen.“ Restitution, so Jakubovits, sei eben „Erbschaft, die erst verspätet angetreten werden kann“. Die Restitutionsexpertin verhehlt allerdings auch nicht, dass Restitutionsbemühungen gelegentlich gefährdet sind, „weil gewisse Anwälte ein Geschäft sehen und Erben unseriös in Verfahren drängen“.

Erst 1969, als höchstens die Hälfte der ehemaligen Besitzer noch lebte, verabschiedete das österreichischeParlament ein „Kunstgutbereinigungsgesetz“. Um in dessen Genuss zu kommen, mussten die Erben exakte Angaben über Kunstgegenstände machen, die sie oft nur vom Hörensagen kannten.

Auch das in der Folge des Streitfalles „Wally“ (siehe nebenstehenden Kasten) 1998 beschlossene Kunstrückgabegesetz und die Einsetzung einer Historikerkommission zur Prüfung des Kunstbestandes der Bundesmuseen erfolgten zögerlich und nur aus Angst vor internationalem Imageverlust. Bildungsministerin Elisabeth Gehrer meinte in einer ersten Reaktion, die Beschlagnahmung der Schiele-Bilder in den USA könnte die Beziehungen zur Israelitischen Kultusgemeinde trüben.

Das in Zusammenhang mit dem Kirchner-Bild in Deutschland oft geäußerte Argument, die Werke seien den Eigentümern „um einen angemessenen Betrag abgekauft worden“, wird dieser Tage auch in Österreich immer öfter bemüht. Dazu gibt es im heimischen Rückstellungsgesetz die klare Aussage, dass Ankäufe von politisch Verfolgten zu restituieren sind.

Allerdings ist nur ein kleiner Prozentsatz der in der NS-Zeit geraubten oder den Besitzern abgepressten Kunst bislang überhaupt wieder aufgetaucht. Der in Theresienstadt ermordete Wiener Zahnarzt Heinrich Rieger besaß die bedeutendste Sammlung österreichischer Gegenwartskunst. Von den rund 800 ihm geraubten Werken bekam sein in die USA geflüchteter Sohn nach dem Krieg ganze elf zurück. Der Rest gilt bis heute als unauffindbar.

Dies ist aber kein rein österreichisches Problem. In allen Ländern, in denen Hitlers Kunsträuber fette Beute machten, machten die späteren Regierungen wenig Anstalten, den Ansprüchen ehemaliger Eigentümer nachzugehen. Der Amsterdamer Kunsthändler Jacques Goudstikker war 1940 bei der Flucht auf einem Schiff nach Amerika tödlich verunglückt. Seine Mutter verkaufte seine immens wertvolle Sammlung ohne Einwilligung der übrigen Familie. Erst nach einem acht Jahre dauernden Rechtsstreit erklärte sich die niederländische Restitutionskommission Anfang dieses Jahres bereit, 200 Werke, teils aus den renommiertesten Museen des Landes, zu restituieren.

Im vergangenen Jahr hatte das deutsche Kunstmagazin „art“ dokumentiert, wie schleppend Provenienzforschung auch an deutschen Museen betrieben wird und wie wenig kooperativ Museen und private Sammler in Restitutionsfragen sind.

Ein Ende der Restitutionsdebatte ist damit nicht abzusehen. Zu diesem Schluss kommt auch ein Titelschwerpunkt im aktuellen Heft der Kunstzeitschrift „Parnass“. Das Thema, aus den Abgründen der deutsch-österreichischen Geschichte zutage gefördert, wird weiterhin all jene bewegen, die sich ihm stellen – oder stellen müssen: die Provenienzforschung, die Medien und die Erben von Nazi-Opfern.

Von Horst Christoph