„Tickende Bombe“: Der Fall Abu

Der Fall Abu: „Tickende Bombe“

Dickhäuter zählen zu den gefährlichsten Tieren

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Abu, der kleine Elefant, der ein Eisbär sein wollte“: Kinderbuchautor Thomas Brezina beschrieb in diesem 2003 erschienenen Buch Abu als den Star des Tierparks Schönbrunn, eine Attraktion für Kinder jeden Alters: „Der kleine Elefant genießt seinen Ruhm und belohnt sein begeistertes Publikum mit allerlei Späßen und Drolligkeiten.“

Dass Elefanten wie Abu – seine Geburt am 25. April 2001 wurde in Schönbrunn euphorisch gefeiert – jedoch auch zu den gefährlichsten Tieren in Menschenhand zählen, wurde am vorvergangenen Sonntag schmerzhaft deutlich. Um 10.40 Uhr griff der Jungbulle Abu während der täglichen Morgenroutine seinen Pfleger Gerd Kohl an. Der 1600 Kilogramm schwere Elefant drückte den 39-Jährigen blitzschnell mit dem Kopf gegen die Wand und rammte ihm die Stoßzähne in die Brust und in den Bauchbereich. Kohl hatte keine Chance. Der zuständige Arzt sprach später von einem zerquetschten Kopf und aus dem Bauch hängenden Darmsträngen.

Die Tragödie in Schönbrunn ist kein Einzelfall. Jedes Jahr kommt es in den Zoos und Zirkussen in den USA und Europa zu drei bis vier tödlichen Unfällen mit Elefanten. Allein in diesem Monat gab es weltweit drei Todesfälle. Anfang Februar wurde im US-Bundesstaat Indiana ein Zirkustrainer beim Verladen eines Elefanten zu Tode getrampelt. Zwei Wochen später kam im Nationalpark von Assam im Nordosten Indiens ein Elefantenwärter ums Leben. Am 20. Februar schließlich wurde Gerd Kohl in Schönbrunn aufgespießt.

Die Kriminalpolizei kam bereits einen Tag nach dem Unglück zu dem Schluss, dass es sich um einen unvorhergesehenen Zwischenfall handelte. Maximilian Edelbacher, Leiter des Kriminalkommissariats Süd: „Aus unserer Sicht war es ein Arbeitsunfall. Wir glauben nicht, dass es sich um ein Fahrlässigkeitsdelikt handelt.“ Der deutsche Tierschutzverein „animal public“ stellte daraufhin die provokative Frage: „War der tödliche Elefantenangriff in Schönbrunn absehbar?“

Immer aggressiver. Erich Goschler, Präsident des Österreichischen Tierschutzvereins, brachte gar eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Wien ein. Konkret geht es um zwei Vorfälle aus dem Vorjahr. Laszlo Török, ehemals Tierpfleger in Schönbrunn und zuletzt Elefantenpfleger im (nunmehr insolventen) Tierpark Gänserndorf, war nach eigenen Angaben ein Kollege und „guter Freund“ des getöteten Gerd Kohl. Gegenüber profil berichtet Török von Gesprächen, in deren Verlauf Kohl über Abus wachsende Aggressivität gesprochen haben soll. „Ich weiß nicht, wie lange das noch gut geht“, soll Kohl zu Török gesagt haben.

Im März 2004 soll Abu den Pfleger Gregor Hirsch attackiert und gegen eine Wand gedrängt haben. Hirsch kam mit dem Schrecken davon. Im Sommer griff Abu dann Gerd Kohl an, der sich nach Töröks Darstellung nur durch Glück mit einem Sprung aus dem Gehege retten konnte. Der Druck sei in Schönbrunn sehr groß gewesen. Niemand wollte zugeben, Abu nicht bändigen zu können, meint Török: „Unter den Fachleuten war es kein Geheimnis, dass Abu als eine ‚tickende Bombe‘ empfunden wurde.“ Bereits 2001, im Jahr seiner Geburt, sorgte Abu kurzfristig für Aufsehen, als er eine Scheibtruhe in Richtung Pfleger warf.

Beste Voraussetzungen. Zoodirektor Helmut Pechlaner weist diese Vorwürfe empört zurück. Es handle sich um das Revanchefoul eines ehemaligen Pflegers, der seit Jahren nicht mehr in Schönbrunn war (siehe Interview). Auch für Experten ist der Vorwurf mangelnder Sicherheitsvorkehrungen nicht nachvollziehbar. „Schönbrunn ist einer jener Tiergärten, die sich besonders stark um die Sicherheit kümmern“, meint der international tätige Elefantentrainer Dan Köhl, der 1998 auch am Sicherheitskonzept für Schönbrunn mitarbeitete.

Norbert Neuschulz, Direktor des Thüringer Zooparks in Erfurt, von dem Gerd Kohl 1998 nach Wien wechselte, schätzte Kohls langjährige Erfahrung: „Er gehörte zu den besten Elefantenpflegern Europas.“ Nach Weiterbildungskursen in den USA schulte Kohl selbst rund 500 Trainer auf der ganzen Welt. Christian R. Schmidt, Zoodirektor in Frankfurt, sieht in Schönbrunn noch immer „die besten Voraussetzungen für die Elefanten, seit Pechlaner Ende der neunziger Jahre ein neues Gehege errichten lieߓ. Und Stefan Hering-Hagenbeck, Geschäftsführer des Tierparks Hagenbeck bei Hamburg, bezeichnet „Wien als Europas renommiertesten Zoo in der Elefantenhaltung“.

Alphatier. Ob die Pfleger direkten („hands on“) oder geschützten Kontakt („protected contact“) mit den Elefanten haben sollen, ist in der Branche umstritten. Beim direkten Kontakt wird der Mensch nach einiger Zeit in die soziale Gruppe der Elefanten integriert und muss sich hier als Alphatier behaupten. Dabei gibt es durchaus die „g’sunde Watsch’n“, wie der Schönbrunner Vizedirektor Harald Schwammer meint: „Prügeln ist strengstens verboten. Aber bei direktem Kontakt mit den Elefanten muss der Pfleger den Tieren auch Gehorsam beibringen.“ Hermann Bubna-Littiz, Verhaltensforscher an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, erklärt den dabei verwendeten Stock zum „verlängerten Arm des Wärters. Der Stock dient nur zum Anstupsen.“

Abu selbst dürfte nicht bewusst sein, dass er getötet hat. „Rangordnungskämpfe erfolgen nie in Tötungsabsicht“, erklärt Bubna-Littiz. Abu verhielt sich am Tag nach dem Vorfall völlig ausgeglichen.