Peter Michael Lingens

Die Handicaps der ÖVP

Die Handicaps der ÖVP

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Was die Folgen der Subprime-Krise oder die Dringlichkeit eines mehrheitsfördernden Wahlrechts betrifft, mögen meine Prognosen und Analysen ganz brauchbar gewesen sein – was die Folgen der Unterwerfung der SPÖ unter die „Kronen Zeitung“ betrifft, muss ich heute schon korrigieren, was ich vorige Woche an dieser Stelle geschrieben habe: Es stimmt nicht, dass daraus wider Erwarten eine klare Mehrheit für Schwarz-Grün resultieren könnte. Mein diesbezüglicher Wunsch war der Vater einer ganzen Reihe falscher Überlegungen: Es hat weit und breit keinen Sturm der Entrüstung linker Intellektueller und Moralisten gegeben. Ich hätte wissen müssen, dass links sein öffentliche Kritik, die ernsthaft zulas­ten der SPÖ geht, ausschließt. Das Wissen roter Wirtschaftsexperten um den unverzichtbaren Nutzen der EU für Österreichs Wirtschaft hat den ÖGB in keiner Weise zu einer reservierten Haltung gegen­über Faymann & „Krone“ bewogen, sondern für ÖGB-Präsident Hundstorfer hat viel schwerer gewogen, dass Faymann wieder Gewerkschafter im Parlament sehen will. Die kleinen Funktionäre werden im Wahlkampf nicht „streiken“, sondern für Faymann weit mehr als für Gusenbauer rennen, weil sie wieder Erfolgs­chancen wittern. Und meine Vorstellung, dass die Kampagne der „Kronen Zeitung“ für Faymann und gegen Molterer durch eine eher VP-freundliche Haltung aller anderen Medien zumindest egalisiert werden könnte, zeugt von geradezu sträflicher Ahnungslosigkeit: Hans Dichand beherrscht die Medienszene. Wie die „Krone“ Molterer selbst noch mit Fotos meuchelt, ließe Imre Bekessy, den berüchtigten Revolverjournalisten im Wien der zwanziger Jahre, vor Neid erblassen.

Es besteht überhaupt kein Zweifel, dass die Anbiederung an die „Krone“ die Wahlchancen der SPÖ deutlich erhöht und jene der ÖVP massiv vermindert hat. No na, werden sie als politisch versierter Leser sagen – ich als politisch sonst gar nicht so naiver Journalist wollte diesen Einfluss des Kleinformats einfach nicht wahrhaben. Aber: Österreich ist eine populistische Republik. Alle Macht geht von der „Kronen Zeitung“ aus (Copyright: Hans Rauscher).
Bei dieser Wahl kommt hinzu, dass die ÖVP in Bezug auf die wichtigsten Wahlkampfthemen eine vernünftige und daher sowieso unpopuläre Position einnimmt: Sie will (wie das sozialdemokratische Skandinavien) eine „Pensionsautomatik“, weil die Zahlungsfähigkeit der Pensionskasse selbstverständlich von der Lebenserwartung abhängt und nicht jedes Mal demagogisch über die finanziellen Konsequenzen dieses Tatbestands gestritten werden soll. Das lässt sich ideal als „soziale Kälte“ diffamieren. Sie räumt dem Abbau des Budgetdefizits Vorrang vor der raschen Verminderung der Steuerlast ein, weil diese dann nachhaltiger ausfallen kann. Das lässt sich ideal als Negieren der Nöte des kleinen Mannes diffamieren. Und sie ist gegen eine Volksabstimmung über künftige EU-Verträge, weil deren zwangsläufig komplexer Inhalt besser durch „Volksvertreter“ als durch das „Volk“ beurteilt werden kann. Das lässt sich auf den Leserbriefseiten der „Kronen Zeitung“ ideal dahin auslegen, dass Molterer die Bürger für „zu dumm“ hält.

So viel Unpopuläres erfolgreich zu vertreten setzte einen VP-Chef von der Autorität und Popularität Bruno Kreiskys voraus. Wilhelm Molterer fehlt beides – er wirkt nur „rechtschaffen“. Aber er ist kein „Sympathieträger“, sondern jemand, dem man – nicht ganz zu Unrecht – vorwirft, an der Rockfalte Schüssels zu hängen und durch Obstruktion kräftig zum Scheitern der Regierung beigetragen zu haben. Ich glaube, dass Faymann ihn selbst im Zuge dieses kurzen Wahlkampfs an persönlicher Beliebtheit überholen wird: Er vermag (etwa im vorwöchigen profil-Interview) trotz seiner Dichand-Nähe nicht als Mastdarm-Akrobat zu erscheinen und durchaus vernünftig und sympathisch zu wirken. So wird das auch in Fernsehduellen sein. Der derzeitige Umfragevorsprung der ÖVP wird daher sukzessive schrumpfen, und es ist höchst fraglich, ob er die Wahlen übersteht. Wenn Dinkhauser österreichweit kandidiert, kann die ÖVP sicher nur gemeinsam mit ihm und den Grünen eine Regierung bilden, und Molterer hat das auch ziemlich unverschlüsselt angekündigt. Ich teile an sich die Meinung des Grünen Volker Plass in der „Presse“, wonach ÖVP wie Grüne am besten abschnitten, wenn sie ihre Zusammenarbeit schon fix aushandelten und ganz offiziell erklärten, miteinander regieren zu wollen. Das ersparte vielleicht sogar Dinkhauser. Aber es setzte einmal mehr voraus, dass „linke“ Wechselwähler die Interessen Österreichs vor die der SPÖ setzten – und dessen bin ich nicht sicher.

Faymann hat kaum weniger deutlich durchblicken lassen, dass er eine große Koalition der Koalition mit den Grünen oder gar einer Dreierkoalition vorzöge. Das scheint mir ein taktischer Fehler, denn die große Koalition hat in den Augen der Bevölkerung in einem sensationellen Ausmaß abgewirtschaftet: Nur mehr 16 Prozent halten sie für ein gutes Modell. Aber wahrscheinlich kann’s der Dichand richten: Zweieinhalb Monate, in denen die „Krone“ trommelt, dass eine große Koalition unter Josef Pröll und Werner Faymann „ganz anders“ wäre, könnte sich das Volk erneut in diesem Irrglauben wiegen. Und das wäre ganz im Sinne Hans Dichands: H. C. Strache hätte noch eine Legislaturperiode Zeit, die FPÖ in Opposition zu einem scheiternden Auslaufmodell zur stärksten Partei des Landes zu machen.