Die Krise treibt immer mehr junge Griechen nach Österreich
Das Oberhaupt der griechischen Kirche in Österreich organisiert ein Solidaritätsfest in Wien, passenderweise in der Griechengasse, Studenten rufen zum Sirtaki Flashmob vor dem Stephansdom auf. Über solche und ähnliche Veranstaltungen ist auf der neuen Homepage der Griechen in Österreich zu lesen, die versucht, die Krisenflüchtlinge in Österreich zu vernetzen. Denn die trostlose Situation in Griechenland treibt immer mehr Hellenen in andere EU-Staaten und damit auch nach Österreich. Vor allem junge gut Ausgebildete ziehen hierher, sagt Christina Chrysanthakopoulou von der griechischen Botschaft.
Für junge Spanier führt die Wirtschaftskammer kommende Woche eine eigene Anwerbeaktion durch. Griechen sind auf sich allein gestellt. Wir bekommen sehr viele Anfragen und versuchen, bei der Suche nach Wohnung und Arbeitsplatz zu helfen, weiß auch Vasilis Gialamatzakis von Sefev, dem Verein für griechische Studierende und Akademiker in Österreich, zu berichten.
Wie viele Griechen seit der Wirtschaftskrise nach Österreich gezogen sind, weiß niemand genau, die Reise- und Niederlassungsfreiheit in der EU macht eine Zählung schwierig. Das Innenministerium sagt nur, dass sich der Zuzug von EU-Bürgern deutlich erhöht hat. Kein Wunder: Die Arbeitslosigkeit in Griechenland hat längst die 20-Prozent-Marke überschritten, von den unter 25-Jährigen ist überhaupt jeder Zweite arbeitslos. Zu Hause ist es unmöglich, Arbeit zu finden, berichten alle Griechen, die es nach Österreich verschlagen hat. profil porträtiert vier von ihnen.
Frantzeskos Papaioannou, 24
Vor neun Jahren, als Frantzeskos Papaioannou 15 war, absolvierte er im Sommer ein Kochtraining und lernte dort einen Amerikaner kennen: Der hat mich mit dem Virus infiziert, dass man als Koch überall auf der Welt arbeiten kann. Damals war von Wirtschaftskrise noch keine Rede, im Gegenteil: Die Gemeinschaftswährung Euro war gerade erst eingeführt und überraschend stark, in Griechenland setzte dank der plötzlich billigen Kredite nachgerade so etwas wie ein Boom ein. Erst Jahre später, als eine Katastrophenmeldung die andere ablöste, die Arbeitslosigkeit in Griechenland immer höher kletterte und die Sparprogramme immer drastischer wurden, erinnerte sich Papaioannou an die seinerzeitigen Worte des Amerikaners. Er beschloss, sein Glück anderswo zu versuchen: Ich wollte eigentlich nach Australien, aber das mit dem Visum war sehr kompliziert. Von einem Freund, auch einem Koch, habe ich viele gute Dinge über Österreich gehört. In Deutschland hätte es wahrscheinlich auch Arbeit für mich gegeben, aber Österreich war mir lieber.
Über ein Büro in Griechenland fand er einen Job in einem griechischen Restaurant am Rande Wiens und kam im Dezember 2010 nach Wien: Am Anfang war es fürchterlich. Ich hatte ein kleines Zimmer, gemeinsam mit einem anderen Koch, und habe mein Zimmer zu Hause im Süden Griechenlands mit der Aussicht aufs Meer sehr vermisst. Jetzt, eineinhalb Jahre später, ist er längst umgezogen und überzeugt, dass das Fortgehen der einzig richtige Schritt war: Meine Eltern haben mich sehr bestärkt. Sie haben gesagt, du bist jung, du hast keine Familie, geh woanders hin, hier in Griechenland hast du keine Zukunft. Sie haben Recht gehabt: Auch mein großer Bruder, er ist Koch und Fitnesstrainer, ist jetzt arbeitslos, die Pension meiner Eltern wurde zusammengekürzt.
Daher überweist Papaioannou regelmäßig Geld nach Hause. Er kann es sich leisten, sein größtes Hobby Radfahren ist billig, und sein Gehalt in der Zwischenzeit gut: Er kocht in einem Restaurant in der Wiener Innenstadt einem griechischen, versteht sich. Den Job hat er über seine neuen griechischen Freunde hier gefunden: Wir halten zusammen und helfen uns gegenseitig.
Papaioannou lernt zwar Deutsch, an seinem Arbeitsplatz kommt er aber prächtig mit Griechisch und Englisch durch. Über Politik mag er nicht reden, obwohl er sich via Internet auf dem Laufenden hält. Nur so viel: Die Krise in Griechenland wird sicher noch zehn Jahre dauern. Damit ist für ihn klar, dass er in absehbarer Zeit sicher nicht nach Hause zurückkehren kann: Wer weiß, vielleicht gehe ich ja doch noch einmal nach Australien.
Christina Karagiannis, 33
Gereist ist sie immer gern, das gehörte auch zu ihrem Job als Reisefotografin. Schon im Jahr 2009 kam Christina Karagiannis für einen Fotoauftrag nach Wien und entschloss sich dann zwei Jahre später, endgültig hierher zu übersiedeln. Ich mag die Stadt, sagt die 33-Jährige. Und seufzt: Trotzdem macht es einen Unterschied, ob man freiwillig reist oder dazu gezwungen wird. Und sie hatte keine Wahl: In Griechenland war es unmöglich, Arbeit zu finden. Die Zeitungen und Magazine, für die ich in Athen gearbeitet habe, haben zugesperrt.
Natürlich, auch in Wien ist es nicht leicht, aber die extrovertierte Karagiannis knüpft ständig neue Kontakte und kommt so zu immer mehr Aufträgen, sei es für Porträts, sei es für Werbe-Shootings: Ich arbeite hier in Wien in einem ganz anderen Sektor der Fotografie als früher in Griechenland. Aber es ist spannend, etwas Neues auszuprobieren. Und sie verdient mittlerweile gut genug, um ihren Eltern die Mutter ist pensionierte Beamtin, der Vater war Import-Export-Händler Geld nach Hause schicken zu können.
Fast wichtiger als die materielle Hilfe sei aber der ideelle Beistand, erzählt Karagiannis: Meine Schwester ist 26, war Fernsehproduzentin und ist seit zwei Jahren arbeitslos. Sie sagt immer, dass sie gerne hört, wie viel positive Energie ich habe. Karagiannis nächstes großes Ziel ist, ihre Schwester nach Wien zu holen. Denn in Griechenland werde man nur apathisch: Wir sind eine verlorene Generation. Alle in unserer Altersgruppe sind deprimiert, frustriert und sehen keine Zukunft.
Die Perspektivenlosigkeit lässt sich deutlich am Freundeskreis von Karagiannis ablesen. Die Hälfte meiner Freunde ist nicht mehr in Griechenland, weiß Karagiannis zu berichten und zählt auf, wohin es ihre Weggefährten verschlagen hat: Los Angeles, New York, Dubai, London, Niederlande, Kanada, Australien.
Diese neuen Wanderungswellen haben ihre Auswirkungen. Für Griechenland sei der brain drain, der Verlust durch die Abwanderung gut Ausgebildeter und Kreativer, ein Problem, sagt die Fotografin: Natürlich ist es nicht gut für ein Land, wenn viele Junge weggehen und nur die Alten übrig bleiben. Aber wir haben keine andere Wahl.
Aber auch die Reaktionen in ihrer neuen Heimat wandeln sich, schildert Karagiannis. Am Anfang hat jeder gesagt, toll, du bist aus Griechenland, ihr habt so schöne Inseln, erzählt die auf Santorin geborene Fotografin. In letzter Zeit stoße sie aber immer häufiger auf aggressive Kommentare à la: Wie lange müssen wir denn noch für euch zahlen?
Sie hofft, dass sie irgendwann zurückkann: Wenn ich einmal Kinder habe, sollen die in Griechenland aufwachsen. Diese Pläne müssen aber vorerst einmal warten: Im Moment konzentriere ich mich auf meine Karriere in Wien. Das geht nicht anders.
Christos Sorvatziotis, 38
Ganz draußen im 22. Wiener Gemeindebezirk am Rande der Stadt, wo sich die Möbelmärkte zwischen den Autobahneinfahrten verteilen, sitzt Christos Sorvatziotis auf einer Holzbank vor seinem Wohnschlafraum und rechnet. 360 Euro pro Monat kostet ihn sein Zimmer in dem Schrebergartenhaus, 50 Euro braucht er für die Monatskarte der öffentlichen Verkehrsmittel. Bleiben ihm noch knapp 200 Euro pro Monat zum Leben. Nicht gerade viel, aber mehr können ihm seine Eltern nicht schicken, ihre Pension wurde drastisch gekürzt. Gott sei Dank ist das Leben in Wien deutlich billiger als in Griechenland. Die gleiche Zahnpasta in derselben Supermarktkette kostet daheim 1,80 Euro und hier in Wien 83 Cent.
Christos hofft, dass er bald Geld verdienen und seine Frau und seine beiden Kinder, acht und 21 Monate alt, nach Wien holen kann. Davor muss der 38-jährige Computertechniker aber erst einmal Arbeit finden: Das ist schwer, weil ich noch nicht gut Deutsch kann. Bei manchen Bewerbungsgesprächen haben sie gesagt, ich soll wiederkommen, wenn ich besser Deutsch kann. Er lernt die Sprache intensiv und schlägt sich in der Zwischenzeit mit Computerreparaturen durch. Vielleicht wird daraus sogar einmal eine Firma.
Trotz all der Schwierigkeiten ist Christos überzeugt, dass er in Wien immer noch mehr Perspektiven hat als in Griechenland: Ich war immer ein Workaholic, aber zu Hause ist es einfach unmöglich, Arbeit zu finden. Als ich merkte, dass selbst Jüngere, die mehr Ausbildungen als ich haben, keine Chance auf einen Job haben, entschloss ich mich fortzugehen.
Das war Ende 2011, die Wahl fiel dann auf Wien weil es eine so sichere Stadt ist. Das war mir wichtig. Er kam an, ohne auch nur einen Menschen hier zu kennen, aber das änderte sich schnell: Ich habe alle Menschen auf der Straße angesprochen, die ich griechisch reden hörte.
Eine Briefwahl für Auslandsgriechen gibt es nicht, Christos verfolgt die Entwicklung in seinem Heimatland mit Ingrimm: Seit 60 Jahren regieren die immer selben Parteien, jetzt wieder. Sie haben uns das ganze Schlamassel eingebrockt. Und die Banken haben mitgeholfen: Als mit dem Euro alles teurer wurde, haben sie jedem Kredite aufgedrängt. Es gab sogar Kredite, um auf Urlaub fahren zu können. Und jetzt wissen die Menschen nicht, wie sie ihre Schulden zurückzahlen sollen.
Nikoleta Kourtoglou, 32
Gekommen ist sie wegen der Liebe, geblieben ist sie wegen der Krise. Seit April 2010 lebt die studierte Tourismusmanagerin Nikoleta Kourtoglou in Österreich, seit aus ihrer Brieffreundschaft mit einem Niederösterreicher nach einigen Treffen mehr wurde. Die Beziehung hielt nicht ewig und die heute 32-Jährige realisierte, dass sie nicht zurück nach Athen kann: Im letzten Jahr haben fast alle meine Freundinnen ihre Arbeit verloren. Auch ich habe meinen Lebenslauf an viele in Griechenland verschickt, aber keine Antwort bekommen. Hier in Österreich ist es nicht schwer, Arbeit zu finden. Hotels brauchen immer jemand.
Man glaubt dem Temperamentsbündel Kourtoglou gern, dass sie nie Integrationsschwierigkeiten hatte, wenn sie in fast perfektem Deutsch erzählt: Als Griechin hat man es leicht hier, weil so viele Österreicher Griechenland als Urlaubsland lieben. Über die Situation zu Hause will Kourtoglou am liebsten nichts mehr hören: Ich fühle mich, wie alle Griechen, belogen, betrogen und enttäuscht. Die Politiker haben unser Land kaputt gemacht. Das ist einfach zu viel für mich. Aber sie weiß aus indirekten Reaktionen, wie schlimm es daheim sein muss: Am Anfang war meine Mutter ganz böse auf mich, dass ich ins Ausland ging. Das hat Tradition, alle Familien hielten ihre Kinder dazu an, daheim zu bleiben. Vor drei Wochen hat meine Mutter erstmals gesagt, bleib, wo du bist, das ist besser für dich.