Die Landeshauptleute und ihre Pflichten

Die Landeshauptleute und ihre Pflichten: Die Anatomie eines seltsamen Jobs

Nach der Wahl: Anatomie eines seltsamen Jobs

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Von Rosemarie Schwaiger

Zuerst die schlechten Nachrichten: Mit 38,5 Wochenstunden kommt man eher nicht aus, und vier Wochen Urlaub am Stück gelten als unüblich. Entspannte Einkaufsbummel im Winterschlussverkauf oder herzhafte Streitereien mit dem Ehepartner in aller Öffentlichkeit sind Geschichte – zu lückenlos funktioniert die soziale Überwachung. Im Terminkalender gibt es zahlreiche Verpflichtungen, die für intelligente Menschen mittleren Alters eigentlich unzumutbar sind. Die Bezahlung ist ordentlich, mit 16.368,10 Euro monatlich aber doch erheblich niedriger als das ­Salär eines durchschnittlichen Topmanagers.

Der Job des Landeshauptmanns hat also Nachteile. Aber die Vorteile dürften überwiegen. Unter starker Personalfluktuation leidet das Amt nicht. Von den 61 seit 1945 bestellten Landeshauptleuten amtierten 24 mehr als zehn Jahre lang. Eine Hand voll wurde abgewählt, ein paar von der eigenen Partei demontiert, doch die Mehrheit ergab sich eines Tages widerwillig der Biologie und ging in Pension. Auch in der Rente muss noch lange keine Ruhe sein: Josef Ratzenböck, Alt-Landeshauptmann von Oberösterreich, ist heute unter anderem für Geburstagsbesuche bei 100-Jährigen zuständig. Die Zahl der Greise hatte den Terminkalender seines Nachfolgers zu sehr strapaziert.

Erwin Pröll gratuliert zum Sechziger
Der Star des Abends ist schon da, aber die Hauptperson fehlt noch. Als sich vor dem Eingang zum Karikaturmuseum in Krems plötzlich die Fotografen stauen, wird es ernst. Auftritt Erwin Pröll, Landeshauptmann von Niederösterreich. Der Mann ist seit 16 Jahren im Geschäft und durch einen Termin wie diesen nicht mehr aus der Reserve zu locken. Trotzdem wird er auf den Fotos aussehen, als habe ihm noch nie etwas so viel Spaß gemacht wie die Eröffnung der neuen Ausstellung des Karikaturisten Manfred Deix. Verglichen mit Prölls professionellem Strahlen, ist die Sonne über der ­Wachau eine 25-Watt-Energiesparlampe.

An normalen Tagen leidet das Museum unter mäßiger Frequenz, heute ist es so voll, dass man sich kaum umdrehen kann. Pröll herzt seinen alten Freund Deix, posiert mit einigen Ehrengästen und schreitet anschließend voll Besitzerstolz durch die Räumlichkeiten. Ohne ihn, so viel ist sicher, würde es das alles hier nicht geben. Es gäbe kein Museum, keine Deix-Ausstellung, keinen Medienandrang und keine streng riechende Leberkästorte mit Blutwurstradeln, die dem Künstler zum 60. Geburtstag überreicht wird. „Ich wünsche ihm, dass der Albtraum zum 60er, nämlich impotent und inkontinent zu werden, bei ihm nicht wahr wird“, witzelt der Landeshauptmann in seiner Laudatio. Es heißt, dass Erwin Pröll amtsmüde sei und Bundespräsident werden möchte. Falls das gelingt, müsste er sich Scherzchen dieser Kategorie wohl abgewöhnen.

Wechsel von der höchsten Ebene der Landes- in die Bundespolitik sind extrem selten. Der Oberösterreicher Heinrich Gleißner kandidierte 1951 bei der Bundespräsidentenwahl, unterlag aber gegen Theodor Körner. Der Salzburger Landeshauptmann Josef Klaus wurde 1964 Bundeskanzler, dürfte diese Entscheidung aber schon bald bitter bereut haben. „Landespolitik ist einfacher und berechenbarer“, sagt der Politologe Herbert Dachs. „Wer da einmal Fuß gefasst hat, ist für den Bund üblicherweise verloren.“

In die andere Richtung sind die Gelüste ausgeprägter. Günther Platter war noch Innenminister, als er schon sein Interesse für den Chefsessel in Tirol bekannt gab – wo er jetzt auch sitzt. Verteidigungsminister Norbert Darabos erträgt den Alltag in der Rossauer Kaserne nur deshalb ohne Murren, weil er hofft, eines Tages den Parteikollegen Hans Niessl im Burgenland zu beerben.

Ein Ministeramt bietet Reputation und Gestaltungsmöglichkeiten. Nicht vorgesehen ist das fürstliche Gepränge, das einige Landeshauptleute als Teil ihrer Job Description verstehen. Schon während der Monarchie gab es so genannte Landesstatthalter, die in der Provinz für den Kaiser repräsentierten. Viel anders als damals geht es auch heute nicht zu, wenn der Tiroler Landeshauptmann mit dem Bischof, der Blasmusik und der Schützenkompanie zur Feier eines Tunneldurchstichs aufmarschiert. Ein Pluspunkt des Amts ist die Personalkompetenz. Zwar wird die Vergabe politiknaher Jobs über Ausschreibungen und Personalkommissionen geregelt. Doch der Zufall will es, dass meistens Parteifreunde des Landeshauptmanns zum Zug kommen. Bezirkshauptleute, Chefs von Landesenergieversorgern und ORF-Landesstudios, Krankenhaus- und Schuldirektoren: Ihre Dankbarkeit wird sich bestimmt eines Tages auszahlen.

Michael Häupl lässt aufkochen
Heute gibt es bunte Salate, Rohschinken und eingelegtes Gemüse. Danach kann man wählen zwischen Wiener Schnitzel, Rindsmedaillons in Cognacrahmsauce und Tagliatelle mit Lachs. Die Grießknödel zum Rind sind leider etwas trocken geraten; es empfiehlt sich, sie auszulassen. So ist auch noch Platz für die Petits Fours und Palatschinken zum Dessert.
Wenn der Wiener Bürgermeister und Landeshauptmann Michael Häupl zu seiner wöchentlichen Pressekonferenz ins Rathaus lädt, sind Gäste mit Lebenserfahrung im Vorteil. Anfänger erscheinen pünktlich um halb zwölf, lauschen dem Stadtoberhaupt und schlingen danach ein paar Bissen runter. Profis kommen etwas früher und genießen erst einmal die Antipasti. Anschließend leihen sie dem Bürgermeister kurz ihr Ohr, um nach getaner Arbeit den Hauptgang in Angriff zu nehmen. Häupls Ausführungen dauern selten länger als eine halbe Stunde. Das geht sich aus.

Häupl stellt diesmal die neue Chefin der Stadtbaudirektion vor und lobt sich kurz selbst dafür, dass in Wien schon wieder eine Frau was geworden ist. Dann darf Wohnbaustadtrat Michael Ludwig über „25 Jahre Wiener Wohnfonds“ referieren. Häupl sitzt daneben, stützt sein Kinn auf die linke Hand und verströmt wohldosiert Langeweile. Wenn ihm fad ist, so die Botschaft, muss es den Wienern gut gehen. Nach dem offiziellen Teil bleibt noch etwas Zeit für allgemeine Fragen, doch viel Neugier hat sich seit letzter Woche nicht angesammelt. Eine Journalistin erbarmt sich und will wissen, ob denn wirklich bald gewählt werde, wie die Wiener ÖVP derzeit herum­erzählt. Häupl streckt sich ein wenig und holt Luft. Er muss jetzt leider grob werden: „Wir machen unseren Job. Und die anderen sollen sich nicht spielen.“

Es wäre unmöglich, den Job des Landeshauptmanns oder der Landeshauptfrau nach halbwegs verbindlichen Kriterien auszuschreiben. Volljährigkeit und die österreichische Staatsbürgerschaft einmal ausgenommen, gibt es keine allgemein gültigen Voraussetzungen. Von den neun derzeit Amtierenden haben sechs ein abgeschlossenes Studium, zwei nicht einmal Matura. Günther Platter war früher Polizist, Josef Pühringer Religionslehrer, Franz Voves Eishockeyspieler und Hans Niessl Hauptschuldirektor. Die charakterlichen Eigenheiten der handelnden Personen lassen einen gemeinsamen Segeltörn wenig ratsam erscheinen: Zwischen dem wohltemperierten Vorarlberger Sausgruber und dem ewig grantelnden Wiener Häupl liegen nicht nur 700 Kilometer, sondern Welten.

Erfolgreich sind Landeshauptleute vor allem dann, wenn sie das Landesklischee verkörpern. Häupl darf grantig sein, die Wiener sind es ja auch. Sausgruber ist genauso solide, wie sich die Vorarlberger gern sehen. Und Jörg Haider war in Kärnten nicht zuletzt deshalb unschlagbar, weil er die Rolle des Wörthersee-Schlawiners perfekt draufhatte.

Gabi Burgstaller verteilt Glückskekse
Es ist kalt, es ist windig, es fängt gerade wieder an zu schneien, und Gabi Burgstaller hat richtig Spaß. Während ihre Entourage in der geheizten Eingangsschleuse des Shoppingcenters in Zell am See wartet, verteilt die Landeshauptfrau auf dem Parkplatz davor Süßigkeiten. Im Angebot sind Mannerschnitten und Glückskekse mit dem Aufdruck „Mein Salzburg. Mein Glück. Meine Landeshauptfrau“. Eine ältere Dame erklärt ihr gerade, dass sie leider keine Pension bekommt, weil sie nicht gearbeitet, sondern vier Kinder großgezogen hat. Dann wird Burgstaller von einem Ehepaar begrüßt, das soeben von der Beerdigung eines guten Freundes kommt. Zuletzt bleiben zwei Volksschüler vor ihr stehen: „Du bist die auf die Fotos, goi?“, fragt der Bub. „Depp, das ist die Gabi“, flüstert das Mädchen. Burgstaller erklärt, tröstet, scherzt – und wahrscheinlich gibt es derzeit in Österreich keinen Politiker, der das alles so gut kann wie sie. Wahlkampf mag für alle anderen eine Qual sein, für die Salzburger Landeshauptfrau ist es bezahlter Urlaub. Bei der Schlussrunde durch ein Café trifft ihr Tross auf die Kollegen vom BZÖ. Burg­staller verschenkt eine Hand voll Schnitten und bekommt dafür Orangendrops. „Viel Glück noch“, zwitschert sie zum Abschied. „Alles Gute!“

Gemeinsam ist den neun Landeshauptleuten, dass ihr Einfluss großartiger aussieht, als die Kompetenzen reichen. „Die Macht ist begrenzt“, sagt Franz Schausberger, ehemaliger Landeshauptmann von Salzburg. „Im Wesentlichen beschränkt sich das auf die Vergabe von Posten und das Verteilen von Geld. Bei dem Amt geht es mehr um symbolische Politik. “Wendelin Weingartner, Ex-Kollege aus Tirol, hat ähnliche Erinnerungen. „Die Leute glauben, man ist für alles zuständig. In Wirklichkeit kann man ihnen oft nur zuhören und Präsenz signalisieren.“ Wie klein die Freuden in der Landespolitik sind, illustriert ein Beispiel Weingartners. Besonders gefreut habe ihn seinerzeit, erzählt er, dass es ihm gelang, einen 28 Jahre alten Streit um die Trassenführung einer Straße im Zillertal beizulegen.

Österreich hält den Föderalismus sehr hoch. Für die meisten wichtigen Materien ist trotzdem der Bund zuständig. In alleinige Landeskompetenz fällt politischer Kleinkram wie Baurecht, Wohnbauförderung, Fremdenverkehr, Jagd und Fischerei, Sport und Jugendschutz. Damit lässt sich die Republik nicht aus den Angeln heben. Dennoch hat das Wort der Landeshauptleute Gewicht – und zwar nicht nur in der eigenen Partei. Frontal gegen ihre Interessen zu agieren, kann sich keine Regierung leisten.

Etwa viermal im Jahr treffen sich die Landeschefs zur Landeshauptleutekonferenz. Das Gremium ist sozusagen selbstgebastelt; in der Bundesverfassung steht kein Wort darüber. In schönster Harmonie und über alle Parteigrenzen hinweg werden dort Beschlüsse gefasst, an denen der Bund oft schwer zu kauen hat. Im April vorigen Jahres wurde beispielsweise die Bundesstaatsreform einhellig abgelehnt. Vor drei Jahren ließ man ganz nebenbei die Fusion zwischen OMV und Verbund platzen. Innenministerin Maria Fekter holte sich vor ein paar Wochen mit ihren Vorschlägen zur Asylgesetzgebung eine Abfuhr. Gegen die Phalanx der Länderchefs ist offenbar kein Kraut gewachsen.

Josef Pühringer wird angepumpt
Angeblich ist Josef Pühringer ein Bitzler – auf gut Oberösterreichisch also ein jähzorniger Typ. Die Öffentlichkeit erlebt den Landeshauptmann natürlich nicht in voller Rage. Aber wie das ist, kann man sich vorstellen, wenn man ihn am Rednerpult sieht. Pühringer hält sich vorn fest, wirft bei jedem Satzende den Kopf in den Nacken und wippt mit den Fersen auf und ab. Aus dieser Position wäre ein Wutausbruch anatomisch jederzeit zu bewerkstelligen.

Heute Abend gibt es aber keinen Grund für hauptmännischen Furor. Josef Pühringer darf eine Ehrung vornehmen, das ist Berufsroutine. Im braunen Saal des Landhauses wird ein ­junger Mann namens René Laglstorfer aus Dietach bei Steyr ausgezeichnet. Er ist „Österreichischer Auslandsdiener des Jahres 2008“, das heißt, er hat seinen Zivildienst der Betreuung von Gedenkstätten im Ausland gewidmet und sich dabei besonders hervorgetan. Pühringer begrüßt ausführlich die Ehrengäste, überreicht der Mutter des Geehrten einen Blumenstrauß und hält eine tadellose Rede über die Pflicht der heutigen Generation, der Gräuel des Nazi-Regimes zu gedenken. „Wir sind verantwortlich für das Erinnern. Wir müssen die Wunden annehmen und uns zum Schmerz bekennen.“

Etwas später wird er an die weniger feierlichen Seiten seines Amtes erinnert. Andreas Maislinger, Gründer des Auslandsdienstes, kann berichten, dass die Institution nun ein Büro in Braunau angemietet habe und sehr auf finanzielle Unterstützung durch das Land hoffe. Pühringer sitzt in der ersten Reihe, und von hinten ist nur erkennbar, dass er weder nickt noch den Kopf schüttelt. Zur Not kann der Landesamtsdirektor das Gesuch später niederadministrieren.

Es sei oft schwierig, zwischen staatsmännischer Verantwortung und notwendigem Populismus die Balance zu finden, sagt Franz Schausberger: „Manchmal tut man auch Dinge, die man von der Vernunft her eigentlich nicht tun würde.“ Gezeter gegen den Bund macht sich in den Ländern erfahrungsgemäß immer gut. Deshalb sah sich Schausberger seinerzeit veranlasst, gegen die Schließung von Bezirksgerichten zu kämpfen, „obwohl ich wusste, dass da etwas passieren muss“. Zuletzt einigte er sich doch mit dem Justizminister – was in Salzburg nicht gut ankam.

Der Tiroler Wendelin Weingartner hat einen geradezu ketzerischen Vorschlag, um diesen Populismus zu bremsen. „Ich wäre dafür, dass die Länder nicht nur das Steuergeld des Bundes ausgeben, sondern selbst Steuern einheben. Auch wenn das natürlich unangenehmer ist.“ Weingartners aktive Kollegen sind dagegen. So weit muss Föderalismus auch wieder nicht gehen.