Peter Michael Lingens

„Diese SP֓ ist unwählbar

„Diese SP֓ ist unwählbar

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Die Lektüre der „Krone“ ist tatsächlich unverzichtbar: Ich weiß jetzt, dass ich diese SPÖ bei kommenden Wahlen sicher nicht wähle. Zwar wäre auch ein drittes Mal ÖVP und FPÖ ein Horror – aber einer, den ich schon kenne. Faymann plus Strache plus Dichand wage ich mir hingegen nicht einmal auszu­malen: Grippe, Pest und Cholera in einem. Nicht nur, dass Faymann entgegen seinen Schwüren selbstverständlich mit Strache koalierte, würde er von diesem auch in Windeseile überflügelt. Denn von zwei Männern, die Hans Dichand protegiert, steht der seinem Herzen ungleich näher, der die EU aus nationaler Überzeugung prügelt, nicht bloß um der Karriere willen auch ein wenig auf sie pinkelt. Am Ende setzt Dichand HC Strache die Krone auf, und es gilt unvermeidlich die neue, von Hans Rauscher formulierte Verfassung (in meiner Präzisierung): „Österreich ist eine populistische Republik – alle Macht geht von der ­,Kronen Zeitung‘ aus.“

Im „Standard“ kritisiert der Rechtsphilosoph Leo Specht diesen „allzu billigen Populismus-Vorwurf“: Kritik an der real existierenden EU sei nicht populistisch, sondern notwendig, „um sie aus der neoliberalen Sackgasse herauszuführen, in der sie sich seit zwei Jahrzehnten befindet“; und natürlich sei in diese Kritik einzubeziehen, dass versucht würde, die Gestaltung der EU an Volksabstimmungen vorbeizuschwindeln. Theoretisch hat Specht vielleicht Recht – praktisch zu hundert Prozent Unrecht: Die EU mag sich, seiner subjektiven Überzeugung nach, seit zwei Jahrzehnten in einer „neoliberalen Sackgasse“ befinden – in der Praxis hat sie in diesem Zeitraum ein Dutzend pudelarmer ehemaliger Ostblockstaaten integriert (die Riesendifferenz in Leistungsfähigkeit und Rechtsstaatlichkeit massiv verringert); die wirtschaftlichen und politischen Fehler der USA vermieden; den Euro zur stärksten Währung der Welt gemacht und – ausnahmsweise aus „nationaler Sicht“ betrachtet – insbesondere Ländern wie Österreich oder Irland die Möglichkeit beschert, ihr wirtschaftliches Talent in nie zuvor gekanntem Ausmaß zu entfalten. Erst nachdem man diese unvergleichlichen Leistungen anerkannt hat, kann man kritisieren: dass die soziale Sicherheit zurückbliebe, der Transitverkehr überborde oder die Bürokratie wuchere.
Das Jahrtausendprojekt eines vereinten Europa (so lange zumindest haben die beteiligten Länder nichts als Kriege miteinander geführt) hat im 50. Jahr seines Bestehens noch diverse Schwächen – aber wie geschichtslos muss man sein, um etwas anderes zu erwarten? Und wie unfair, um das zuletzt Geleistete mit einer „Sackgasse“ zu vergleichen?
Wie ist es möglich, diese Leistung zu ignorieren? Voran, indem die Staatschefs, die all das beschlossen haben, was mit und in der EU geschieht, sich an ihr die Füße abstreifen, sobald sie zu Hause sind. Weil das so einfach ist und die Leser aller „Kronen Zeitungen“ des Kontinents befriedigt. Unsere ist nur leider die relativ größte der Welt. Und ihr Herausgeber glaubt leider, was er schreibt: Hans Dichand hasst die EU, wie nur ein Ewig-Nationaler alles Supranationale (und noch dazu Liberale) hassen kann.

Theoretisch wäre es daher die wichtigste Aufgabe der politischen Elite, der Geisteshaltung der „Kronen Zeitung“ mit aller Kraft – mit jeder Handlung und jeder Aus­sage – entgegenzutreten.
Ich gebe zu, dass das extremen Mut erfordert: Man kann nur zu leicht in einer „Krone“-Kampagne abgeschlachtet, von Dichand verschlungen werden. Deshalb gehe ich nicht so weit, diesen Todesmut von irgendeinem Politiker einzufordern. Aber dass er nicht wie Faymann und Gusenbauer von der anderen Seite her in Dichands Magen landet, sollte man verlangen können. Doch es ist leider so einfach, wie der kleine Maxl es sich vorstellt (und der Rechtsphilosoph Leo Specht offenbar nicht vorstellen kann): Die SPÖ befindet sich in einem Umfragetief. Faymann weiß, was die Unterstützung der „Krone“ wert ist; deshalb, und nicht im Entferntesten, weil ihm die bessere demokratische Legitimation der EU ein Anliegen wäre, unterstützt er Dichands Argumentation zu ihren Lasten.

Kern dieser Argumentation ist die Behauptung, eine Volksabstimmung sei „demokratischer“ als eine Abstimmung demokratisch gewählter Volksvertreter. Auf die Gefahr hin, dem politisch versierten Leser einmal mehr mit dem Verweis auf Karl Popper auf die Nerven zu gehen: Wahlen haben vor allem anderen den Sinn, eine erfolglose Regierung unblutig abzulösen. Zu entscheiden, ob es ihm die letzten vier Jahre gut oder schlecht gegangen ist, ist jedermann auch in der Lage. Um zu entscheiden, welchen Nutzen der Vertrag von Lissabon für die Mitglieder der EU hat, bedarf es dagegen einer Sachkenntnis, die unmöglich jedermann zuzumuten ist. Deshalb ist es vernünftig, dass sich das Volk bei solchen Entscheidungen von sachkundigen Mandataren vertreten lässt, die es demokratisch gewählt hat und die ihm dafür verantwortlich sind. Ich weiß, die Schweizer halten’s trotzdem anders. Aber sie blicken diesbezüglich auf eine jahrhundertealte Tradition zurück; der Calvinismus hat sie mehr als jede andere Nation wirtschaftlich denken gelehrt; und ihr einflussreichstes ­Medium ist nicht die „Krone“, sondern die „Neue Zürcher Zeitung“. Dort ist man im Übrigen nicht so sicher, dass der Volksentscheid der Schweizer gegen den Beitritt zur EU ihr weisester war.