Löhne: Die Wahrheit über die Ungleichheit
Wir beginnen mit einer peinlichen Mitteilung: Der Anlass für diese Geschichte ist längst vorbei. Es war noch nie der Fall, dass eine profil-Coverstory mit einem solchen Satz anfängt, aber diesmal ist eine Ausnahme gerechtfertigt. Der Anlass für diesen Artikel ist der so genannte Equal Pay Day, auf Deutsch: Tag der Einkommensgleichheit. An diesem Tag würden Frauen dasselbe Gehalt erreichen, das Männer für die gleiche Arbeit bereits mit Ablauf des Vorjahrs eingestreift hätten. Heuer wäre das der 5. April, der Donnerstag dieser Woche. So die offizielle Darstellung. Bloß stimmt das nicht. Der tatsächliche Equal Pay Day wäre irgendwann im Jänner gewesen, er verlief gänzlich ereignislos und wurde weder von Frauennetzwerken noch von Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek erwähnt.
Und das hat einen ganz einfachen Grund: Die Behauptung, die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern klaffe bei gleicher Arbeit um von der Statistik Austria amtlich ermittelte 25,5 Prozent auseinander, macht in der Debatte naturgemäß mehr her als der wesentlich erfreulichere weit niedrigere Prozentsatz, der den Tatsachen entspricht. Die Klage, wonach Frauen in Österreich im selben Job um ein Viertel weniger verdienen, gehört zum Equal Pay Day wie die Kreuzwegandacht zum Karfreitag. Und das, obwohl viele Studien und Erhebungen längst andere Ergebnisse liefern. Wenn Ministerin Heinisch-Hosek argumentiert, Frauen würden weniger als Männer verdienen, nur weil sie Frauen sind, irrt sie. Die behauptete skandalöse Lohndiskriminierung aufgrund des Geschlechts findet so nicht statt.
Doch das Festhalten an der Opferrolle erleichtert es Frauenpolitikerinnen aller Couleurs, politische Interessen durchzusetzen. Die Anliegen mögen legitim sein, wie die Forderung nach Quotenregelungen in Führungsetagen oder nach Mindestlöhnen. Sie ändern aber nichts daran, dass Frauenpolitikerinnen bewusst mit falschen Zahlen operieren. Die Gender-Pay-Gap-Folklore ist eine Waffe im aufgeheizten Geschlechterkampf geworden.
profil befragte Betriebsratsvorsitzende einiger der größten Unternehmen in Österreich zum Thema Einkommensgerechtigkeit und bekam erstaunlich gleichlautende Antworten: Es gebe keine Diskriminierung. Die Einzigen, die diese frohe Nachricht nicht zur Kenntnis nehmen wollen, sind die Apologetinnen des Mythos von der weiblichen Einkommensbenachteiligung bei gleicher Arbeit um ein Viertel.
Dem Elan, mit dem der Equal Pay Day an diesem Donnerstag gefeiert wird, tut derlei Kritik bestimmt keinen Abbruch. Zur Sicherheit wird ohnehin schon im Herbst der nächste Equal Pay Day ausgerichtet, dann nämlich von den Gewerkschaften. Sich doppelt benachteiligt zu fühlen hält offenbar besser. Das Festhalten an überkommenen Mythen grenzt freilich an Realitätsverweigerung.
Mythos Riesen-Lohnlücke
In der Stunde ihres Erfolgs wählte Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek, SPÖ, eine Kfz-Allegorie: Wir haben auf der Autobahn der Gleichstellung ein wichtiges Teilstück eröffnen können. Der neue Schnellstraßenabschnitt fand legistischen Niederschlag in einer Novelle des Gleichbehandlungsgesetzes. Seit März 2011 müssen Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern Berichte über die durchschnittlichen Einkommen ihrer weiblichen und männlichen Beschäftigten vorlegen. Heuer betrifft die Berichtspflicht auch Betriebe ab 500 Mitarbeitern und bis zum Jahr 2014 alle Unternehmen mit über 150 Arbeitnehmern. Die jeweiligen Adressaten: Betriebsräte und Mitarbeiter. Das Nahziel: Lohntransparenz. Das Fernziel: gleicher Lohn für gleiche Arbeit.
Etwa 90 Prozent der 200 heimischen Großbetriebe erstellten die gesetzlich vorgesehenen Einkommensberichte. In der Praxis bestehen die Reports aus einer Anhäufung anonymisierter Zahlenreihen und Excel-Tabellen, gedacht allein für den betriebsinternen Gebrauch. Weder Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung noch ÖGB und Arbeiterkammer und schon gar nicht das Frauenministerium verfügen über eine zusammenfassende Analyse. Gabriele Heinisch-Hosek ist auch ohne Detailkenntnisse zufrieden: Mit den Einkommensberichten bringen wir Licht ins Dunkel der Gehaltsunterschiede. Wenn es Lohnunterschiede im Unternehmen gibt, dann wird keine Geschäftsführung mehr die Augen davor verschließen können.
Angesichts der Ergebnisse dürfte sich nun vielmehr die Frauenministerin selbst vor Staunen die Augen reiben. Wahr ist: Es gibt keine wesentlichen Lohnunterschiede. In den heimischen Großkonzernen ist die frauenpolitische Langzeitforderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit bereits betriebliche Realität, quer durch die Sparten: von Finanzkonzernen wie der Wiener Städtischen Versicherung und der Raiffeisen International Bank über Handelsriesen wie Spar bis zu Industriebetrieben wie Voest, OMV, Infineon und Lenzing oder Österreichs größtem Gastronomiekonzern McDonalds. Exemplarisch die Stellungnahme von Fritz Hagl, Zentralbetriebsratsvorsitzender der Siemens AG Österreich (12.000 Mitarbeiter): Der Bericht zum Einkommens-Transparenzgesetz ergibt, dass es de facto keine Unterschiede bei den Einkommen weiblicher und männlicher Mitarbeiter gibt. Dort, wo noch marginale Unterschiede auftreten, sind diese durch Montagearbeiten beziehungsweise die unterschiedliche Abgeltung von Mehrleistungen erklärbar.
Damit hat wohl kaum jemand gerechnet. Gedacht waren die Einkommensberichte als Druckmittel gegenüber Unternehmensführungen, denen Geschlechterdiskriminierung bislang einfach egal war. Dass der Mythos von den 25 Prozent Lohnunterschied bei gleicher Arbeit nicht länger zu halten ist, war schon lange klar. Die Wissenschaft hat in dieser Frage ziemliche Fortschritte gemacht und sich von der unbereinigten zur bereinigten Lohnlücke vorgearbeitet. Gibt der unbereinigte Gender Pay Gap bloß den Unterschied zwischen den Durchschnittseinkommen von Frauen und Männern an, dann erlaubt die bereinigte Version, so genannte erklärbare Unterschiede herauszurechnen. Das bedeutet, dass sowohl persönliche als auch arbeitsplatzbezogene Faktoren, die einen Einfluss auf den Lohn haben, berücksichtigt werden, sodass der Einkommensunterschied am Ende nach Möglichkeit nur noch aus einem unerklärlichen Rest besteht, für den die Frauendiskriminierung verantwortlich gemacht wird.
Laut einer Studie, die von vier renommierten österreichischen Wissenschaftern der Universität Linz, der Statistik Austria, des Wirtschaftsforschungsinstituts und der Universität Wien erstellt wurde, schrumpft der österreichische Gender Pay Gap von 25,5 Prozent auf diese Weise um mehr als die Hälfte, und übrig bleiben etwa zwölf Prozent Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen, die mittels der vorhandenen Daten nicht erklärt werden können. Die Studienautoren, darunter Christine Zulehner, eine Expertin für feministische Ökonomie, halten fest, dass ein Teil der verbliebenen zwölf Prozent des Gehaltsunterschieds durch Faktoren wie Karrieremotivation und Engagement bedingt sein könnten. Nur für den Rest gilt tatsächlich der Verdacht auf Frauendiskriminierung.
Das deutsche Bundesamt für Statistik verfügt dank einer Stichprobe von 3,1 Millionen Beschäftigten über so detaillierte Daten, dass es nicht weniger als 15 verzerrende Faktoren ausschalten kann darunter neben Qualifikation und Berufserfahrung auch Branche, Art des Arbeitsvertrags, Dauer der Zugehörigkeit zum Unternehmen, Unternehmensgröße, Zulagen, Einfluss der öffentlichen Hand, regionale Unterschiede, Leistungsgruppen und noch einige mehr. Auf diese Weise reduziert sich der Lohnunterschied in Deutschland auf nur noch acht Prozent. Dabei sind Babypausen als Ursache für geringere Einkommen noch gar nicht berücksichtigt, weil ausgerechnet dazu die Daten fehlen.
Man sieht: Von den 25 Prozent Lohnunterschied ist die Realität weit entfernt, die Wahrheit ist einstellig. Es gibt jedoch auch Kritiker dieser statistischen Bereinigung, die einwenden, einige der Faktoren hätten sehr wohl diskriminierenden Charakter. So sei die Tatsache, dass einige der typischen Frauenberufe besonders schlecht bezahlt sind, ein Beweis dafür, dass die Benachteiligung auf umfassendere Weise wirke. Wann immer Frauen einen Beruf für sich erobern, sinke die Entlohnung.
Würde dies zutreffen, müssten etwa die Ärzte bereits schwere finanzielle Einbußen hinnehmen, denn der Frauenanteil unter den Medizinern liegt bei rund 40 Prozent und steigt ständig. Die Ärztekammer beobachtet auch einen großen Spardruck, führt diesen jedoch auf generelle Reformen im Gesundheitssystem und nicht etwa auf den Anstieg der Zahl weiblicher Kolleginnen zurück. Tatsache ist, dass der bereinigte Wert von acht Prozent Lohnunterschied sogar auf der Webseite der deutschen Equal-Pay-Day-Initiative angeführt wird. Auf das Datum des Gedenktags selbst hat dies allerdings keinen Einfluss.
Mythos Managerinnen-Diskriminierung
Egal, wie weit hinauf Frauen die Karriereleiter steigen, die Benachteiligung klettert mit, so will es das Gender-Pay-Gap-Klischee. Diesen Eindruck erhärtete ein Rechnungshofbericht aus dem Jahr 2011, in dem unter anderem Gehälter von Vorstandsmitgliedern in staatsnahen Betrieben untersucht wurden. Demnach verdienen weibliche Manager bloß 64 Prozent dessen, was männliche Manager bekommen. Dies stieß auf Unverständnis bei den Abgeordneten des Rechnungshofausschusses, vermerkt die Parlamentskorrespondenz.
Kein Wunder. Wie kann es sein, dass trotz des gesetzlich festgelegten Grundsatzes gleicher Bezahlung weibliche Manager um fast ein Drittel betrogen werden? Und das in staatsnahen Unternehmen? Der ÖVP-Abgeordnete Gabriel Obernosterer zeigte sich in der Debatte konsterniert, die Frauensprecherin der Grünen, Judith Schwendtner, entrüstete sich in einer Aussendung.
Der vermeintliche Skandal lässt sich relativ leicht aufklären. Einen ersten Hinweis auf die Ursache unterschiedlicher Gehälter gibt die Auflistung der Branchen, in denen die Vorstände am besten verdienen: Bergbau, Finanzdienstleistungen, Energieversorgung, Land- und Forstwirtschaft sowie Verkehr. In diesen fünf Branchen beträgt der Anteil der weiblichen Vorstände im Schnitt 1,4 Prozent.
Daraus könnte man, einem alten Topos der Einkommensscherendogmatik folgend, schließen, dass weiblich dominierte Berufsfelder benachteiligt würden. Allein, die gibt es nicht. Der höchste Frauenanteil in einer einzelnen Branche liegt bei etwa einem Drittel (Einrichtungen künstlerischer Art). Das bedeutet, dass bei jeder Diskriminierung mindestens zwei Drittel der Benachteiligten Männer wären. Außerdem rangieren etwa die Vorstände der Einrichtungen künstlerischer Art in den Verdienst-Charts auf dem guten siebten Rang (von 22).
Der Rechnungshof hat die vorliegenden Zahlen nicht nach Branchen ausgewertet. profil stellte dafür folgende Rechnung an: Zunächst wurden aus der Gesamtheit der weiblichen Vorstandsmitglieder diejenigen herausgefiltert, die in einem gemischt-geschlechtlichen Vorstand sitzen. Danach wurden die Gehälter der Frauen und Männer im selben Vorstand miteinander verglichen und errechnet, welchen Prozentsatz die Frauen erreichen. Dabei wurde evident, dass es zwischen den Gehältern der Vorstandsmitglieder in Einzelfällen erhebliche Unterschiede sowohl zugunsten von Männern als auch zugunsten von Frauen gibt. Wie nicht anders zu erwarten, verdient ein Vorstandsvorsitzender weit mehr als ein einfaches Direktoriumsmitglied.
Überraschend ist, dass Frauen im Schnitt etwa 95 Prozent dessen verdienen, was ihre männlichen Kollegen im selben Vorstand erhalten. Diese Diskrepanz liegt angesichts der geringen Grundgesamtheit unterhalb der statistischen Signifikanz. Managerinnen verdienen also fürs Managen gleich viel wie Manager.
Man könnte sich darüber empören, dass Vorstände in Bergbau-Unternehmen besser bezahlt werden als zum Beispiel Vorstände im Bereich Beherbergung und Gastronomie. Das hat jedoch kaum Gender-Bedeutung oder Diskriminierungshintergrund und lässt somit vermutlich sowohl die Abgeordneten des Rechnungshofausschusses als auch die Frauensprecherinnen der Parlamentsparteien kalt.
Unbestreitbar ist die Tatsache, dass nur sehr wenige Frauen gerade einmal 15 Prozent überhaupt in den Vorständen der untersuchten staatsnahen Unternehmen zu finden sind. Ein Chancengleichheitsskandal gewiss, aber kein Fall für die Lohnlückenpolizei.
Mythos Teilzeitfalle
Frauen sitzen in der Teilzeitfalle, sagt Frauenministerin Heinisch-Hosek. Mittels einer Informationskampagne möchte sie die Betroffenen aus ihrer misslichen Lage befreien. Frauen in Teilzeit hätten laut SPÖ-Aussendung immer weniger Geld im Börsel als Frauen, die Vollzeit arbeiten können. Das stimmt. Ein großer Teil des unbereinigten Gender Pay Gap in Österreich rührt daher, dass sehr viele Frauen Teilzeit arbeiten. Im EU-Vergleich (Durchschnitt: 30,8 Prozent) liegt Österreich mit einer Teilzeitquote von 44 Prozent im vorderen Drittel. Auch wieder ein Anschlag frauenfeindlicher Kräfte gegen die Lohngerechtigkeit, könnte man meinen. So ist es aber nicht. Die Forderung nach einem gesetzlich garantierten Anspruch auf Teilzeitarbeit für Eltern bis zum Schuleintritt ihres Kindes mit Rückkehrrecht zur Vollzeitarbeit war der Punkt acht des Frauenvolksbegehrens aus dem Jahr 1997. Als die schwarz-blaue Regierung im Jahr 2004 dann endlich die Elternteilzeit einführte, gingen die SPÖ-Gewerkschafterinnen fast auf die Barrikaden, weil das Recht auf Inanspruchnahme Mitarbeitern von Unternehmen mit mehr als 20 Angestellten vorbehalten bleiben sollte. Auch der Grün-Abgeordnete Karl Öllinger wetterte im Parlament: Recht auf Teilzeit super! Aber, bitte, für alle!
Plötzlich ist alles anders: Teilzeit gilt als Teufelszeug, das allzu viele Frauen in seinen Bann zog. Und während noch 2008 von den ÖGB-Frauen die Broschüre Elternteilzeit unter dem Logo Frauen haben Zukunft verteilt wurde, schimpft jetzt Heinisch-Hosek: Teilzeit ist eine Mogelpackung. Der Schwindel bestünde darin, dass Teilzeitbeschäftigte weniger verdienen als ihre Vollzeitkollegen (und -kolleginnen) und dass als Folge später auch die Pensionen geringer ausfallen. Diese doch recht simplen Zusammenhänge sollten eigentlich von Anfang an klar gewesen sein. Auch dass im Regelfall eher Frauen das Recht auf Elternteilzeit, das immerhin bis zum siebten Geburtstag des Kindes besteht, in Anspruch nehmen, kann niemanden überrascht haben.
Der scheinbare Sinneswandel in der Frauenpolitik ist polittaktisch zu erklären. Ideologisch war den Feministinnen die Teilzeit wohl nie ganz geheuer, andererseits wollten sie sich nicht gegen ein Recht stellen, das von vielen Frauen ersehnt wurde. Das Ganze nun in einen Kampf um Lohngerechtigkeit neu zu verpacken, scheint ein glorreicher Ausweg zu sein.
Mythos Schlusslicht Österreich
Die nackte Statistik spricht eine klare Sprache: Österreich ist bei der Lohngerechtigkeit zwischen den Geschlechtern so ziemlich das Letzte. Präzise ist es das Vorletzte, denn zusammen mit unserem Nachbarland, der Tschechischen Republik, liegt Österreich nur besser als Estland. In diesem Elend suhlen sich heimische Gender-Pay-Gap-Fans gern, denn wenn ein Land im europäischen Vergleich so mies abschneidet, muss einfach alles im Argen liegen.
Für Selbsthass besteht freilich kein Anlass. Alle seriösen Studien zum Gender Pay Gap weisen darauf hin, dass sich eine hohe Frauenerwerbsquote tendenziell negativ auf den statistischen Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen auswirkt. Malta etwa erzielt beim Gender Pay Gap Traumwerte im einstelligen Bereich. Gleichzeitig grundelt der Prozentsatz der erwerbstätigen Frauen auf Malta im europäischen Vergleich bei 39 Prozent.
Ähnlich ist es bei Polen oder Italien. Das Phänomen wird im Fachjargon self selection genannt. Arbeiten in einem Land vor allem Frauen, die aufgrund höherer Qualifikation entsprechend motiviert sind, ergibt sich ein höheres weibliches Durchschnittsgehalt, denn aufseiten der Männer stehen auch die Unqualifizierten im Erwerbsleben. So handelt es sich bei den auf Malta erwerbstätigen Frauen im EU-Vergleich überproportional um besser gebildete Arbeitnehmerinnen, denen die Mittelmeerinsel auch den guten Wert beim Gender Pay Gap verdankt. In Wirklichkeit handelt es sich bei Malta eher um ein unterentwickeltes Land, was die Stellung von Frauen am Arbeitsmarkt betrifft.
In Polen wiederum verdienen Frauen, die in den fünf am meisten von Männern dominierten Branchen arbeiten, um fast 17 Prozent mehr als ihre männlichen Kollegen. Auch da ist keine Diskriminierung am Werk: Während die Masse der ungelernten Arbeiter männlich ist, finden sich in der Verwaltung einige Frauen. So schlägt der Gender Pay Gap im Einzelfall in die Gegenrichtung aus.
Doch eine Situation, in der nur wenige Frauen arbeiten und sei es auch in gut bezahlten Jobs , ist weder aus feministischer noch aus volkswirtschaftlicher Sicht wünschenswert. Deshalb steht Österreich weit besser da, als es die Gender-Pay-Gap-Skala vermuten lässt. Auch die Erwerbsquote von Müttern mit Kleinkindern liegt laut Eurostat in Österreich bei 58 Prozent und damit bloß um zwei Prozentpunkte hinter Frankreich, das gern als Paradies der Kinderbetreuungseinrichtungen gepriesen wird.
Ohnehin liefern internationale Studien zur finanziellen Gleichstellung von Mann und Frau mitunter zweifelhafte Ergebnisse. Im viel zitierten Gender Gap Report des World Economic Forum erreicht Österreich bei der Kennzahl Lohngerechtigkeit den 116. Platz. In nur 19 Ländern der Welt ist die Gehaltsschere noch größer, darunter freilich nicht nur Tschechien, sondern auch Spanien, Italien und Frankreich. Die Sieger in der Kategorie Lohngerechtigkeit sind eine Überraschung: Auf Platz 1 des Rankings liegt Ägypten. Danach folgen Lesotho und Albanien.
Mythos Die Frau ein ewiges Opfer
Die Experten der Arbeiterkammer Niederösterreich wollten es genau wissen, und jetzt ist es amtlich: In exakt 62 Jahren, im Jahr 2074, wird in Österreich Lohngerechtigkeit zwischen den Geschlechtern herrschen. Die Prognose der Arbeiterkämmerer kommt an Aussagekraft und Verlässlichkeit dem Maya-Kalender nahe. Aber immerhin enthält die Berechnung die Annahme, dass ein Fortschritt bei der Bezahlung von Frauen möglich sei. Denn üblicherweise ist das Lamento, dass sich die Lohnschere nicht schließe, ein Fixpunkt auf der Gerechtigkeits-Mängelliste von Frauenpolitikerinnen aller Parteien. Doch auch das beliebte Postulat Nichts hat sich verbessert löst sich durch einfaches Fact-Checking auf. Aus der oben zitierten Wifo-Studie zu den Lohnunterschieden geht nicht nur hervor, dass der bereinigte Pay Gap weit kleiner ist als bisher angenommen er hat sich auch im Lauf der Jahre verringert. Betrug der unerklärliche Anteil beim Lohnunterschied 1983 noch 17 Prozent, so waren es 1997 noch 14 und zuletzt maximal zwölf Prozent.
Frauen haben fast alle Bereiche des Arbeitsmarkts erobert, die Frauenbeschäftigung nahm in den vergangenen 25 Jahren um 40 Prozent zu. Mittlerweile sind 66,4 Prozent der Frauen berufstätig. Legistische Meilensteine wie das Gleichbehandlungsgesetz aus dem Jahr 1993 sorgten für eine Verringerung der Diskriminierung.
Seit dem Jahr 1999 ist das Ausbildungsniveau von Frauen in Österreich höher als jenes der Männer. Zusätzliche Hilfestellungen, wie die Bevorzugung von Frauen bei Aufnahmetests zum Medizinstudium an der Medizinischen Universität Wien dank genderspezifischer Ermittlung der Testwerte, sorgen dafür, dass ein numerischer Gleichstand zwischen Männern und Frauen erzielt wird.
Die Wifo-Studie hält dezidiert fest: Wenn der Gender Wage Gap eine Folge von Diskriminierung der Frauen ist und nicht eine Folge deren unterschiedlicher Produktivität, dann erwarten wir, dass sich diese Lücke mit der Zeit und dank der Einführung von Gleichbehandlungsgesetzen schließt. Die Tendenz ist eindeutig und wohl unumkehrbar.
Doch statt ihre Erfolge zu vermarkten, pflegen die heimischen Politikerinnen lieber weiterhin den Mythos der immerwährenden Opferrolle der Frauen. Anlässlich des hundertjährigen Jubiläums des Internationalen Frauentags am 8. März 2011 wagte Nationalratspräsidentin Barbara Prammer einen noch weiteren Blick in die Zukunft als die Arbeiterkammer Niederösterreich: Sie glaube, beim 200. internationalen Frauentag werde man staunen: 2011! Nicht vorstellbar! Das war das Mittelalter!
Die positive Realität, dass Frauen hierzulande real eben nicht um ein Viertel weniger verdienen, wird geleugnet. Die Vorsitzende der ÖGB-Frauen Brigitte Ruprecht: Wir bilden uns diese Unterschiede nicht ein. Es gibt sie.
Richtig ist: Beharrt man auf der Verwendung des unbereinigten Gender Pay Gap, so wird die Lage weiterhin trist erscheinen. Es wird sich nicht ändern, dass Frauen mit unterdurchschnittlicher Qualifikation und längeren Erwerbspausen, die in Niedriglohnbranchen arbeiten, weniger verdienen als höher qualifizierte Männer, die nicht in Karenz gehen und besser bezahlte Berufe ergreifen.
Da taugt der Slogan Gleicher Lohn für gleiche Arbeit nichts, da bräuchte es kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen. Seit der legendären Johanna Dohnal scheiterten alle Frauenministerinnen von SPÖ und ÖVP daran, Mädchen für männlich dominierte, besser bezahlte Lehrberufe zu begeistern. Die OMV schrieb unlängst 15 Technik-Stipendien für Maturantinnen aus, um zukünftige weibliche Ingenieure für das Unternehmen zu rekrutieren. Die Bewerbungen halten sich dem Vernehmen nach in Grenzen. Weibliche Techniker im Österreich des Jahres 2012 sind noch immer so selten wie männliche Frauenminister. In den Familien mit Kindern geht weiterhin die Mutter (länger) in Karenz und arbeitet danach eher Teilzeit als der Vater.
Dass die gewaltigen Lohnlücken ein Mythos sind, gilt auf jeden Fall für die Parteizentralen der Koalitionspartner. Bei der Einführung der verpflichtenden Einkommensberichte vergangenes Jahr erklärte die ÖVP stolz, keinen Handlungsbedarf zu haben, da eine Überprüfung keine strukturellen Unterschiede bei der Bezahlung von Frauen und Männern ergeben habe.
Und auch Gabriele Heinisch-Hosek frohlockte: Wir haben es schwarz auf weiß: Keine Einkommensnachteile für Frauen in der SPÖ. An den niedrigen Frauenquoten im roten und schwarzen Parlamentsklub ändert das freilich nichts. Aber wenn es um den eigenen Laden geht, ist die bereinigte Form des Gender Pay Gap höchst willkommen.
Lesen Sie außerdem im profil 14/2012: Warum es nur in Österreich alljährlich gleich zwei Equal Pay Days gibt.