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Europa: Die Wege aus der Krise sind umstritten wie nie

Europa. Die Wege aus der Krise sind umstritten wie nie

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Wenn die Kontrolleure von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds demnächst ihren Bericht über die Sparfortschritte Griechenlands vorlegen und damit über die Zukunft der Hellenen in Europa entscheiden, wenn sich Wachstum in der Eurozone nicht einstellen will und der Kontinent direkt auf eine Rezession zusteuert, wenn selbst Regierungspolitiker laut über das Ende des Euro nachdenken: Dann ist das nur der Beginn des schwierigsten Kapitels der Europäischen Union in ihrer Geschichte.

In den bevorstehenden Wochen geht es nicht nur um den Verbleib Griechenlands in der Eurozone. Es geht nicht nur um die Ansteckungsgefahr für die Krisenstaaten Italien, Spanien und Portugal. Letztlich geht es um das Überleben der Gemeinschaftswährung.

Dringendes Handeln ist gefordert, vor allem von Deutschland und Frankreich. Doch die beiden mächtigsten EU-Staaten ziehen nicht an einem Strang. Berlin und Paris stehen an der Spitze eines innereuropäischen Konflikts, in dem sich seltsame Allianzen herauskristallisiert haben.

Die Front verläuft nicht notwendigerweise entlang der Parteigrenzen. Auch die geografische Lage bestimmt nicht die Zugehörigkeit zu einem der beiden Lager. In den südeuropäischen Krisenstaaten etwa regieren konservative Regierungen. Doch die haben sich mehrheitlich auf die Seite des Sozialisten François Hollande geschlagen. Die konservative Kanzlerin Angela Merkel wiederum kann sich vorerst auf den Rückhalt der nordeuropäischen Staaten - ob sozialdemokratisch oder konservativ regiert, ob Euromitglied oder nicht - verlassen.

Es ist ein Streit zweier wirtschaftspolitischer Denkschulen, in dem es vereinfacht gesagt um Folgendes geht: Die Not leidenden Euromitglieder im Süden müssen erst sparen, erst dann kann Europa ihnen helfen - sagen die Deutschen. Die reichen Länder müssen den ärmeren dabei helfen, ihre Wirtschaft anzukurbeln, nur dann kann man sie zu Spar- und Reformprogrammen zwingen - kontern die Franzosen.

Die Fronten sind verhärtet, keiner der beiden scheint in den jeweiligen Grundsätzen nachzugeben. profil zeichnet die Landkarte dieses ökonomischen Glaubenskriegs nach.

Selbst besonnene Köpfe wie etwa Jürgen Stark, der ehemalige Chefökonom der Europäischen Zentralbank (EZB), sind für das Ende der europäischen Währungsunion, wie wir sie kennen: Notfalls müsse man sich der maroden Staaten entledigen, um den Kern der EU zu retten, forderte Stark kürzlich. Gelinge das nicht, dann drohe Europa ein "politisches und ökonomisches Desaster historischen Ausmaßes“.

Dass Griechenland letztlich zur Drachme zurückkehren müsse, wird immer mehr zur Mainstream-Meinung. Der finnische Außenminister Erkki Tuomioja etwa spekulierte zuletzt in aller Öffentlichkeit über den Zerfall der Währungsunion. Sein österreichischer Amtskollege Michael Spindelegger plädiert für "Möglichkeiten, dass man jemanden aus der Eurozone rausschmeißt“, wenn dieser nicht seine Sparauflagen erfüllt.

Am vergangenen Donnerstag drohte der deutsche Wirtschaftsminister Philipp Rösler dem eigens nach Berlin angereisten griechischen Premier Andonis Samaras, Hellas pleitegehen zu lassen, wenn Athen nicht seine "Hausaufgaben“ erledigt. Und der vom Griechen erflehten erneuten Fristverlängerung für die Umsetzung des verordneten radikalen Sparkurses erteilte der Chef der Liberalen eine klare Abfuhr. Auf hart schaltet auch Wirtschaftsminister Wolfgang Schäuble. Der findet: "Mehr Zeit ist keine Lösung der Probleme.“

Die Perspektive des Endes der gemeinsamen Währung ist aus der Rhetorik der Rechtspopulisten ins Zentrum des politischen Spektrums gerückt.

Angeheizt wird die prekäre Situation Europas durch düstere Konjunkturprognosen. Die Eurozone steuert mit Volldampf auf die zweite Rezession in drei Jahren zu. Ihr gesamter Privatwirtschaftssektor schrumpfte im August bereits den siebenten Monat in Folge. Selbst die als europäische Wirtschaftslokomotive gepriesene deutsche Ökonomie verliert an Tempo: Die Rezession in den europäischen Krisenländern werde zunehmend auch in Deutschland spürbar, meint Norbert Irsch, Chefvolkswirt der Bankengruppe KfW. "Die Konjunktur wird schlechter, es breitet sich Investitionsunsicherheit aus.“

Kein Wunder, dass der Glaubenskrieg zwischen den zwei wirtschaftspolitischen Denkschulen Europas - zwischen dem deutsch dominierten "Sparverein“ und den südlichen Freunden des Wachstums auf Pump - eskaliert.

Dabei könnte der Konflikt um Griechenland trotz martialischer Kampfrhetorik noch am ehesten ein Happy End finden. Letzten Endes wird man mit Athen einen Deal zustande bringen. So wird es allgemein angenommen, denn: Ein Bankrott der hellenischen Wirtschaft und ein Ausscheiden des südöstlichen EU-Landes aus der Währungsunion wäre denn doch ökonomisch zu teuer und politisch zu riskant. Der Konflikt darüber, wie Europa aus der Krise finden kann, dürfte sich aber weiter zuspitzen.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die vom US-Magazin "Forbes“ schon wieder zur mächtigsten Frau der Welt gekürt wurde, gerät in Europa zunehmend in die Defensive.

Ihre langjährigen Partner fallen einer nach dem andern ab. Die Europäische Zentralbank, einst Flaggschiff der deutschen Austeritätsdogmatik, geht gegenüber Berlin auf Konfrontationskurs. EZB-Chef Mario Draghi verkündete bereits im Juli zur Freude der Märkte, dass er, "was immer notwendig“ sei, tun würde, um die Eurozone zu retten. Und er setzte nach: "Glauben Sie mir, es wird reichen.“ Es war klar, dass diese Ankündigung, massiv Anleihen maroder Staaten zu kaufen, um deren Zinsen zu senken, eine indirekte Kampfansage an Merkels Lager ist.

Trotz Bedenken des deutschen Bundesbank-Chefs Jens Weidemann bleibt die EZB bei ihrem Kurs: Vergangene Woche wurde bekannt, dass Draghis Leute in Frankfurt so genannte Zinsschwellen planen, ab denen die EZB automatisch mit dem Kauf von Anleihen einschreiten würde. So könnte sichergestellt werden, dass die Zinsen für Staatsanleihen von Ländern wie Spanien oder Italien ein bestimmtes Niveau nicht überschreiten.

Auf mehreren Ebenen steigt der Druck auf die Deutschen, mit verschiedenen Mechanismen finanziell für die Krisenstaaten einzuspringen und so letztlich den Euro zu retten. Die Idee, dem Eurorettungsschirm ESM eine Banklizenz zu geben, findet immer mehr Befürworter. Demnach soll es dem ESM erlaubt werden, ohne jedes Limit Kredite bei der Europäischen Zentralbank (EZB) aufzunehmen und sie zu Anleihenkäufen zu verwenden. Auch nimmt das Projekt einer Bankenunion immer konkretere Gestalt an: Ein Zusammenschluss der großen europäischen Finanzinstitute und nicht die einzelnen Staaten sollen insolvente Geldhäuser auffangen und die Einlagenhaftung übernehmen.

Alles Projekte, die der deutschen Regierung zutiefst zuwider sind.

Nicht genug damit. Der Internationale Währungsfonds (IWF) ist für seine rigorosen Auflagen berüchtigt. Vergangene Woche veröffentlichten IWF-Ökonomen aber eine Studie, welche die Merkel’sche Sparpolitik fundamental infrage stellt: Wer mitten in einer Wirtschaftskrise die Staatsfinanzen in Ordnung bringen will, brauche Geduld und eine ruhige Hand - so die Kernthese der Publikation. Die Autoren haben historische Sparprogramme in Industrieländern untersucht und festgestellt, dass sie in einer Rezession in einen Teufelskreis zu münden drohten: Sinkende Wirtschaftsleistung, schrumpfende Steuereinnahmen und niedrigere Staatausgaben verstärken sich dann gegenseitig. "Der Schutz des Wirtschaftswachstums ist der Schlüssel für erfolgreiche fiskalische Konsolidierung“, heißt es in der Studie.

Damit untermauert der IWF nicht nur die Bitte von Griechenlands Premier Andonis Samaras nach mehr Zeit für die Implementierung der Reform- und Sparmaßnahmen. Er stellt sich so auch unmissverständlich auf die Seite der von Frankreichs sozialistischem Premier François Hollande angeführten südeuropäischen Allianz, die sich dem deutschen Spardiktat widersetzt.

Die Fronten sind zunehmend verhärtet. Welcher der beiden Blöcke sich letztlich durchsetzen wird, ist noch nicht absehbar. Das Kräfteverhältnis verschiebt sich aber immer mehr zuungunsten der deutschen Regierung.

In einem sind sich freilich alle einig: Wie immer die kurz- bis mittelfristigen Antworten auf die Eurokrise aussehen mögen - langfristig ist eine grundlegende Erneuerung der europäischen Konstruktion notwendig.

So versucht sich die Eurozone parallel zum akuten Krisenmanagement neu zu erfinden. Die "vier Präsidenten“ von Kommission, EZB, Europäischem Rat und Eurogruppe sollen im Oktober neue Pläne für neue europäische Strukturen vorlegen. Dabei geht es nicht nur um eine gemeinsame Bankenaufsicht, um Rettungsfonds und eine Teileuropäisierung der Schulden. Vielmehr sollen staatliche Souveränitäten weg von den Nationen auf die EU-Ebene verlagert werden.

Im Krisenmanagement dürfte Deutschland einige Konzessionen machen. In der Frage des Umbaus der Europäischen Union wird sich hingegen Frankreich bewegen müssen. "Ein starkes Europa“ und eine vertiefte politische Integration Europas propagiert Angela Merkel schon lange. Teile der Berliner Regierung sprechen sogar von einer Perspektive der "Vereinigten Staaten von Europa“. Paris aber, das in der Tradition des gaullistischen "Europa der Vaterländer“ steht, hat bislang noch allemal abgewunken, wenn es darum ging, Brüssel mehr politische Macht zu geben. Frankreich besteht auf der intergouvernementalen Methode und fürchtet jede Stärkung gesamteuropäischer Entscheidungsstrukturen.

Soll die viel beschworene deutsch-französische Achse, die so zentral für die europäische Entwicklung ist, weiter bestehen, müssen Paris und Berlin jeweils von ihren Positionen Abstriche machen - die einen in Fragen der Währungskrise, die anderen beim Thema Integration. Nur ein derartiger Kompromiss könnte dann Europa aus der so bedrohlichen Krise herausführen.