Familie: Papa muss draußen bleiben

Familie: Papa muss draußen bleiben - Immer mehr Väter kämpfen um ihre Kinder

Immer mehr Väter kämpfen um ihre Kinder

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Das Fahndungsfoto der 14 Monate alten Mareja dominierte vergangene Woche die Chronikseiten der Tageszeitungen. Das Drama dahinter lässt den Grad der Verzweiflung beim „Täter“ erahnen: Ein 37-jähriger niederländischer Diplomingenieur hatte der Mutter seiner Tochter vor deren Wohnhaus im steirischen Bezirk Leonhard aufgelauert und ihr das Kind aus den Armen gerissen, um in das Fluchtauto zu steigen, an dessen Steuer bereits sein Vater wartete. Die desperate Mutter versuchte, das Fahrzeug zu stoppen, und kam schließlich auf der Motorhaube zu liegen, als der Wagen sich in Bewegung setzte. Einer der Männer stieg aus und stieß die verletzte Grazerin vom Auto, ehe sie davon rasten. Inzwischen ist die kleine Mareja wieder bei seiner Mutter; der geschiedene Ehemann hatte sich der Polizei gestellt und seine Tochter zurückgebracht. Damit war das Chronik-Potenzial der Story auch schon wieder erschöpft.

Die Chancen, dass Mareja eine gesunde Vaterbeziehung und ein unbelastetes Männerbild entwickeln wird, stehen nach dem Entführungsdrama jedenfalls noch schlechter als vorher. „Wenn die Mütter nicht wollen“, so die Wiener Scheidungsanwältin Andrea Wukovits, „sind die Väter hilflos.“ Ein Wohnsitz im Ausland verschärft die Situation für die kämpfenden Männer zusätzlich: „Das kommt einem Lotteriespiel gleich“, so Wukovits, „auch im umgekehrten Fall: Hält die Mutter das alleinige Sorgerecht und geht mit den Kindern ins Ausland, ist das durchwegs legal und der Vater bleibt mit seiner Ohnmacht zurück.“

2003 mussten in Österreich 16.400 Scheidungskinder damit klarkommen, dass ein Elternteil, in 90 Prozent der Fälle der Vater, nicht viel mehr als eine Randerscheinung in ihrem Leben ist. Die Euphorie der Regierung über eine im Vergleich zum Vorjahr um 2,2 Prozent gesunkene Scheidungsrate – und damit 1300 weniger Scheidungswaisen – muss relativiert werden. Denn der Rückgang ist einfach zu begründen: In den vergangenen Jahren wurden einerseits deutlich weniger Ehen geschlossen, andererseits mindert die Rezession die Trennungsfreude. Denn eine Scheidung, so der deutsche Soziologe Gerhard Amendt im profil-Interview, bedeutet „immer für alle Beteiligten einen erheblichen Verlust von Lebensstandard“.

Laut Amendts umfassender Studie, bei der 3600 Scheidungsväter in Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt worden waren, verliert jeder fünfte Vater den Kontakt zum Kind ganz, und zwar nicht, „weil er die Flinte einfach so ins Korn wirft, sondern weil er nach monate- oder auch jahrelangen Querelen irgendwann einmal sagt: ‚Jetzt kann ich nicht mehr.‘“

Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch der Wiener Kinderpsychologe Helmut Figdor bei seinen Studien von Trennungskindern: „75 Prozent der Kinder sehen ihre Väter innerhalb der ersten drei Jahre nach der Trennung nicht mehr regelmäßig. Es gibt aber auch Untersuchungen, denen zufolge die Hälfte die Beziehung zum Vater gänzlich verlieren.“

Vaterlose Gesellschaft. Die Anzahl trennungsbedingt vaterloser Kinder seriös zu beziffern fällt auch aus einem anderen Grund schwer: 2002, so die aktuellste erhobene Quote, kamen 33,8 Prozent aller Neugeborenen in Österreich „unehelich“ zur Welt, was einer Steigerung von fast sieben Prozent innerhalb der vergangenen neun Jahre entspricht. Gesetzlich sind „uneheliche“ und „geschiedene“ Kinder seit der Justizreform von Christian Broda in den siebziger Jahren gleichgestellt – eine Judikatur, die für viele der von profil interviewten Männer „nicht einmal das Papier wert ist, auf dem sie geschrieben ist“, so Hans K. (Name der Redaktion bekannt), Wiener Scheidungsvater von zwei Buben, der verzweifelt um mehr Zeit mit seinen Kindern kämpft.

Warum Väter, trotz rechtlicher Gleichstellung, nur in wenigen Fällen das Sorgerecht zugesprochen bekommen, erklärt Anwältin Wukovits so: „Formal wird natürlich geprüft, wer der geeignetere Elternteil ist. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Bindung von Kleinkindern zur Mutter einfach stärker ist. Der Vater wird erst später ähnlich wichtig. Das ist keine Ideologie, das ist ein Faktum.“

Der öffentliche Diskurs um die Opferrolle des Vaters nach Scheidungs- und Trennungsdramen wurde im deutschsprachigen Raum erstmals von Matthias Matussek losgetreten, mit seinem 1998 erschienenen Buchpamphlet „Die vaterlose Gesellschaft“. Der „Spiegel“-Redakteur unterstellte den Scheidungsbetreiberinnen pauschal den Wunsch „nach einer Versorgungs-Vollkasko“, mit „der sie dann fortlaufend sicheren Zugriff auf das seelische und finanzielle Konto des Mannes“ hätten. Diese „Muttermacht“ gestehe den Vätern allenfalls den Status „von abgeliebtem Beziehungsmüll“ zu.

Matusseks Anti-Mütter-Polemik wirkte so berechtigt und zugleich so hysterisch wie das Männer-Bashing radikaler Feministinnen, die dem Mann außer Egoismus wenig zugestehen – vor allem keine Gefühle. Die Scheidungsväter, die zu Weihnachten in zweiter Spur parken, um schnell ihre Geschenke über den Gartenzaun zu werfen – ja, es gibt sie, genauso wie jene, die von ihren Ex-Frauen unerbittlich aus dem Leben der gemeinsamen Kinder ausgesperrt werden.

„Ich konnte mir wenig Schlimmeres vorstellen – außer, dass meine Kinder gestorben wären“, sagt der Immobilienmakler Franz S. (Name der Redaktion bekannt), dem von seiner früheren Lebensgefährtin der Kontakt zu seinen beiden Töchtern fünf Jahre lang verwehrt worden war.

Bislang galt die Erforschung der väterlichen Befindlichkeit nach einem Trennungsdrama als lässlicher Aspekt in der Sozialwissenschaft. Das ändert sich sukzessive. Wie hart Väter mit einer Scheidung (oder Trennung) und deren Folgen zu kämpfen haben, belegt eine neue Studie des Bremer Instituts für Geschlechter- und Generationenforschung unter der Ägide von Gerhard Amendt (siehe Interview). In dem bislang größten Forschungsprojekt zu dem Thema kamen die Forscher zu alarmierenden Ergebnissen: Mehr als drei Viertel der Befragten gaben an, dass sich der Trennungsschmerz in akuten gesundheitlichen Problemen geäußert habe – und weiterhin äußert. 6,6 Prozent klagen über ständige körperliche Beschwerden, 26,1 Prozent der geschiedenen Väter haben mit dauerhaften seelischen Beschwerden zu kämpfen. Amendt: „Eine Trennung wird vom Mann in jedem Fall als traumatisierendes Erlebnis empfunden.“ Rund 60 Prozent der Väter gaben an, durch die Trennung von den Kindern mit dem Gefühl konfrontiert zu sein, „alles verloren zu haben“.

Besuchspapas und Zahlväter. Die Sorgerechtspraxis erscheint im Licht der Scheidungsväter-Studie als deutlich verbesserungsfähig: Nur knapp 40 Prozent der geschiedenen Väter sind mit der vereinbarten Lösung zufrieden. Für viele Scheidungsväter bleiben die Besuchszeiten das dominierende Thema: 42,2 Prozent definieren ihre Rolle – analog zur Häufigkeit der Kontakte mit ihren Kindern – als „Wochenendpapa“, ein Viertel sieht sich gar überhaupt nur noch als „Zahlvater“.

Laut der Bremer Studie reagieren 23,8 Prozent der Väter auf die Frustration, ihre Kinder nur selten sehen zu können, irgendwann mit einem völligen Abbruch des Kontakts. Daneben bleibt das klassische Muster des „Besuchspapas“ vorherrschend: Rund 43 Prozent der geschiedenen Väter sehen ihre Kinder jedes oder jedes zweite Wochenende.

„Die öffentliche Debatte zur Sensibilisierung für Vaterschaft“, erklärt der Geschäftsführer der SPÖ-nahen „Kinderfreunde“, Gernot Rammer, „darf unter keinen Umständen zu einer neuen Frauenfeindlichkeit führen; sie muss ergänzend zu den Anliegen des Feminismus geführt werden.“

Mit Kampagnen wie „papa aktiv“ und dem Kampf um den Vaterschaftsmonat versucht Rammer an der Spitze der größten Kinder- und Familienorganisation des Landes, Präventionsarbeit zu leisten: „Aktive Vaterschaft während einer Beziehung bedeutet in der Regel auch aktive Vaterschaft nach einer Trennung.“ Dieser These kann auch Johannes Berchtold, Leiter von Sozialminister Herbert Haupts Männerabteilung, beipflichten: „Die Rollenverteilung, die vor der Scheidung herrschte, wird in der Regel auch danach weiterbetrieben.“

2005 will Haupts Männertruppe die erste umfassende Studie zum Thema Scheidung und die Folgen für alle Familienmitglieder vorlegen. Die häufigste Klage der Männer gilt laut Berchtold den Richtern und deren „Unfähigkeit, ein Besuchsrecht konsequent durchzusetzen. Wenn diese Rechte ständig verweigert werden, resigniert selbst der engagierteste Vater.“

Doch auch die von Berchtold gepriesene gemeinsame Obsorge, die seit 2001 nach deutschem Vorbild in Österreich gesetzlich verankert ist, hält in der Praxis nicht, was sie in der Theorie verspricht, meint der Wiener Scheidungsvater Hans K. Bei seiner „gerade noch einvernehmlichen“ Scheidung vor eineinhalb Jahren hatte der Beamte „ein gemeinsames Sorgerecht“ für seine beiden Söhne, sechs und vier Jahre, zugesprochen bekommen. Neun Monate später hatte seine Ex-Frau, trotz pünktlich geleisteter Unterhaltszahlung, gerichtlich gegen diese Entscheidung berufen; als Begründung nannte sie „schlechte Kommunikation“ zum Kindesvater. Nach kurzer Befassung des Bezirksgerichts Klosterneuburg wurde der Mutter das alleinige Sorgerecht zugesprochen. Als besonders beklemmend empfand Hans K. die Anschwärzungsstrategie seiner Ex-Frau: „Sie trichterte den Kindern ein: Der Papa hat euch verlassen, eigentlich gehört er ins Gefängnis‚ etc. Später verbot sie ihnen sogar, dass sie mich Papa nennen.“

Das Jugendamt verkommt immer mehr zum Papierfriedhof: Allein in der Scheidungshochburg Wien blieben 2003 22.329 Akten in Sorge- und Besuchsrechtsfragen sowie Unterhaltscausen unerledigt.

Die Literatur zu den seelischen Folgen der Aussperrung des Vaters aus dem Leben eines Kindes füllt inzwischen ganze Regale. Die Buben leiden an den fehlenden gleichgeschlechtlichen Orientierungsvorbildern und kompensieren das Manko mit übertriebenem Männlichkeitswahn, verstärkter Aggression und vermindertem Leistungswillen. Die Töchter reagieren häufig mit Ersatzbefriedigungen wie Fresssucht, sind von Verlustängsten geplagt und suchen später weniger nach einem Partner als nach dem verlorenen Vater. Statistisch ist bewiesen, dass Kinder, die mit elterlichen Trennungskonflikten konfrontiert waren, viel geringere Chancen haben, zukünftig funktionierende Beziehungen eingehen zu können.

Vater-Aktionismus. Europaweit hat sich in den letzten Jahren eine Scheidungsväterbewegung formiert, die vehement gegen ihre eingeschränkte Vaterschaft protestiert – bisweilen auch mit skurrilen Aktionen: Die militante englische Gruppe „Fathers 4 Justice“ erregte im September weltweit Aufsehen, als der 32-jährige Maler und Tapezierer Jason Hatch in einem Batman-Kostüm die Sicherheitsschranken des Buckingham Palace überwand und geraume Zeit auf dem königlichen Balkon mit einem Transparent seiner Bewegung und dem dazugehörigen Bannerspruch „Fighting For Your Right To See Your Kid“ verharrte. Daraufhin wurde er von „Fathers 4 Justice“ zum „Mitglied fünften Grades“ befördert. Hatch zum Nachrichtenmagazin „Time“, dem das Ereignis sogar eine Titelgeschichte wert war: „Mitglieder ersten Grades versenden Mails und verteilen Flugblätter. Fünfer-Typen wie ich sind hingegen bereit, für ihre Mission Gefängnisstrafen zu riskieren.“

Andere Aktivisten der Gruppe hatten bereits Weihnachtsmänner-Ketten vor Gerichtssälen gebildet und mit roter Farbe gefüllte Kondome auf Premierminister Tony Blair geschleudert. In Spanien hat die Protestkultur der Väter das Spaß-Territorium bereits verlassen: Vor zwei Jahren übergossen sich zwei Männer in Madrid mit Benzin und setzten sich (freilich mit Asbestanzügen geschützt) selbst in Brand.

Für seinen Palastfriedensbruch wird „Batman“ Hatch sich vor Gericht verantworten müssen. Paradoxon am Rande: Der zweifach Geschiedene hat den Kontakt zu seinem Sohn völlig verloren; seine zweite Frau und Mutter einer gemeinsamen Tochter hatte sich vor zwei Jahren von ihm scheiden lassen, „weil er vor lauter Engagement für die Bewegung kaum Zeit für die Familie hatte“.

In Österreich ist Günther Tews mit seinem „Verein für das Recht des Kindes auf beide Eltern“ die Galionsfigur entrechteter Väter. In liberalen Kreisen gilt der Linzer Anwalt als ideologisch fragwürdige Figur, weil er, so die SPÖ-Abgeordnete Bettina Stadlbauer, „besonders aggressiv und diskriminierend gegen Frauen“ vorgehe. „Es gibt beides“, wehrt sich Tews: „Väter, die sich vertschüssen, und Frauen, die ihre Ex-Partner wegbeißen. Man muss beide Gruppen getrennt betrachten.“ Zusatz: „Manche Väter geben auch viel zu schnell auf. Trotz unserer Warnungen.“

Ans Aufgeben denkt der im Nahen Osten geborene Chirurg Amir M. (Name von der Redaktion geändert) zwar nicht, doch sein Glaube an den Rechtsstaat ist schwer lädiert. „Wer wird mir und meinen Kindern die Zeit, die man uns gestohlen hat, je zurückgeben?“, fragt der Mann, dem die geschiedene Ehefrau seit April jeglichen Kontakt mit seinen beiden Kindern, einem siebenjährigen Buben und einem vierjährigen Mädchen, verweigert. Die ihm bei der Scheidung zuerkannte „teilweise gemeinsame Obsorge in religiösen, gesundheitlichen und schulischen Belangen“ und das vereinbarte Besuchsrecht wurden ignoriert. In einem Rundumschlag hatte die Familie der Mutter versucht, ihn mit falschen Gerüchten und einer (mittlerweile niedergelegten) Anzeige wegen „gefährlicher Drohung“ zu kriminalisieren.

Der für Anfang November anberaumten Verhandlung sieht der Arzt, der aufgrund des Rosenkriegs und des langen Verlusts der Kinder fünf Monate lang arbeitsunfähig war, mit Fatalismus entgegen: „Ich erwarte mir nichts von diesem Gerichtstermin. In diesem System bist du als Vater verloren, während die Seite der Mütter sehr, sehr gesichert ist.“ Während seine Ex-Frau ständig deponiere, dass sie in großer Sorge vor einer Entführung ihrer Kinder ins Ausland lebe, „hat der Staat sanktioniert, dass sie die Kinder, ohne die geringsten Konsequenzen fürchten zu müssen, von ihrem Vater entführt“.