Die Co-Konspiration

Bawag-Refco: Die Co-Konspiration

Bawag. Warum der ehemalige Banker Thomas Hackl in den USA zu 20 Millionen Dollar Schadenersatz verurteilt wurde

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Der Beklagte hatte es vorgezogen, nicht vor Gericht zu erscheinen. Auch die ihm persönlich zugestellte Zivilklage ließ er fortgesetzt unbeantwortet. Am 14. Mai 2009 schritt ein Richter des Bundesbezirksgerichts für den südlichen Bezirk New Yorks schließlich zur Tat – und verdonnerte den Abwesenden in einem gerade einmal einseitigen Versäumnisurteil („default judgement“) zu einer empfindlichen Schadenersatzzahlung: 20.285.113 US-Dollar und 90 Cent.

„Blitzkredit“
Der Beklagenswerte ist deutscher Staatsbürger mit Lebensmittelpunkt in der Schweiz, wo er sich eine kleine Vermögensberatung aufgebaut hat. Er reise viel und sei schwer zu erreichen, wie sein Zürcher Büro profil vergangene Woche mitteilte. Auch eine Anfrage via E-Mail blieb unbeantwortet.

Bis vor wenigen Jahren noch war Thomas Hackl eine zumindest mittelgroße Nummer im internationalen Finanzgeschäft. In den neunziger Jahren verantwortete er in der Bawag den sensiblen Geschäftsbereich Treasury, ehe es ihn 2002 in die USA verschlug – zu Phillip R. Bennett und dessen rasant wachsendem Wertpapierhandelshaus Refco, wo er bis 2004 Schlüsselpositionen besetzte. Danach machte Hackl sich selbstständig.
Refco – das ist jene bisher schwach ausgeleuchtete Geschäftsbeziehung, die gleichsam am Anfang des Bawag-Skandals steht. Vor nunmehr siebeneinhalb Jahren, im Oktober 2005, löste eine über Nacht gefällte Kreditentscheidung in Wien eine Kettenreaktion aus, welche die Bawag in die schwerste Krise ihrer Geschichte stürzen und den damals längst pensionierten langjährigen Generaldirektor Helmut Elsner zu einem rechtskräftig verurteilten Straftäter machen sollte.

Am 10. Oktober 2005 ließ das Bawag-Management unter der Führung von Elsners Nachfolger Johann Zwettler den notorischen „Blitzkredit“ in der Höhe von 350 Millionen Euro an Bennett überweisen, einen damals gern gesehenen Geschäftspartner. Einen Tag später wurde Bennett wegen vermuteten Bilanzbetrugs im großen Stil in New York verhaftet und später zu 16 Jahren Haft verurteilt; Refco kollabierte; die Bawag schlitterte an den Rand des Ruins; die österreichische Justiz nahm Ermittlungen auf. Doch diese (und mit ihnen das öffentliche Interesse) sollten sich alsbald in eine andere Richtung drehen: Die Aufräumarbeiten förderten die Jahre zuvor vertuschten, desaströsen Karibik-Spekulationen von Investmentberater Wolfgang Flöttl zu Tage, die bekanntlich in einem Schaden von 1,4 Milliarden Euro mündeten. Die Achse Refco geriet rasch in Vergessenheit.
Möglicherweise zu rasch.

Denn bestimmte Vorgänge zwischen Bank und Refco ab Mitte der neunziger Jahre könnten das Verständnis des Bawag-Skandals grundlegend ändern.
Bis heute konnte die mit Abstand wichtigste Frage nicht annähernd befriedigend beantwortet werden: Was hat Flöttl mit den ihm zwischen Mitte der neunziger Jahre und 2000 überantworteten Bawag-Geldern wirklich gemacht? Verspekuliert, wie er nie müde wurde zu beteuern? Zumindest teilweise gestohlen, wie Helmut Elsner seit Jahren mutmaßt?
Die profil nun vorliegenden und in Österreich völlig unbekannten US-Gerichtsakten sind Teil einer 1,8 Milliarden Dollar schweren Betrugsklage, die Elsner in den USA gegen mehrere Personen eingebracht hat – unter ihnen sein Nachnachfolger Ewald Nowotny (heute OeNB-Gouverneur) und der kurzzeitige ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer (heute Sozialminister). Elsner will damit den auf seinem Rücken geschlossenen Vergleich mit Refco-Geschädigten und der US-Justiz aus dem Jahr 2006 aufbrechen (siehe Kasten hier).

Das 2009 in New York ergangene Urteil gegen Ex-Bawag- und Ex-Refco-Manager Thomas Hackl über 20 Millionen Dollar ist ohne Zweifel ein bedeutender Stein in einem Puzzle, welches sich allerdings noch nicht vollständig zusammensetzen lässt.

Hackl war im Oktober 2007, zwei Jahre nach dem Refco-Zusammenbruch, von einem der zahlreichen Refco-Gläubigervertreter auf Schadenersatz geklagt worden. In der profil ebenfalls vorliegenden Zivilklage wird er an mehreren Stellen wörtlich als Bennetts langjähriger „Co-Konspirator“ bezeichnet. Zwischen 2000 und 2005 soll Hackl – zunächst als Bawag-, dann als Refco-Mitarbeiter und schließlich als Bennetts Berater – daran beteiligt gewesen sein, ausufernde Verluste in den Büchern des Wertpapierhandelshauses zu vertuschen. In der Klage heißt es dazu: „Bennett und seine Co-Konspiratoren orchestrierten einen massiven Betrug, der darauf abgestellt war, Refcos finanzielle Position aufzublähen.“
Wie profil bereits vor Jahren ausführlich berichtete, war es hauptsächlich der Bawag geschuldet, dass die Refco-Blase nicht schon früher platzte. Die Gewerkschaftsbank war einst nicht nur zu zehn Prozent an Refco beteiligt, sie gewährte dem Broker auch immer wieder großzügige Zwischenfinanzierungen. Längst steht fest, dass diese Kredite dazu dienten, an Bilanzstichtagen ein hunderte Millionen Dollar großes Minus aus den Refco-Büchern herauszurechnen. Helmut Elsner hat sich stets damit verteidigt, die wahre Natur der „Ultimogeschäfte“ nicht erkannt zu haben. „Refco war ein höchst angesehenes Haus. Die uns vorgelegten Zahlen waren sehr solide. Hätte ich von den Problemen des Herrn Bennett gewusst, hätten wir die Geschäftsbeziehungen sofort abgebrochen“, sagt Elsner heute. Er legt Wert auf die Feststellung, dass die Refco-Kredite stets über den von Hackl geleiteten Geschäftsbereich abgewickelt worden seien.

Das kann man so glauben oder nicht.

„Mitwisser“ und „Mitverschwörer“
Tatsache ist, dass Thomas Hackl in der US-Klage aus 2007 als Bennetts „Mitwisser“ und „Mitverschwörer“ tituliert wird. So gesehen müsste zumindest er um die wahre wirtschaftliche Verfasstheit von Refco gewusst haben – im Gegenzug soll er von Bennett mit Provisionen in der Höhe mehrerer Millionen Dollar bedacht worden sein (weshalb Hackl 2009 auch zu 20 Millionen Dollar Schadenersatz verurteilt wurde). Delikat: Rund 400.000 Dollar flossen von Refco an eine Hackl zugerechnete Clarnet Properties S.A. mit Sitz in Genf, als dieser noch für die Bawag tätig war.
Tatsache ist auch, dass Refco bereits Mitte der neunziger Jahre de facto bankrott war. Bennett stand seinerzeit im Rufe, ausgewählten Partnern Finanzgeschäfte auf Pump zu ermöglichen. Im März 1997 platzte in Indonesien, Südkorea und Thailand eine Spekulationsblase, Investoren verloren innerhalb weniger Wochen ein Vermögen. Unter ihnen auch Bennetts Kunden, die plötzlich Verbindlichkeiten bei Refco in Höhe mehrerer hundert Millionen Dollar hatten und diese nicht bedienen konnten oder wollten. Mittels kreativer Buchführung – und mit Hilfe der Bawag – gelang es, die Pleite hinauszuzögern. Als Refco 2005 zusammenbrach, klaffte jedenfalls ein Loch von 430 Millionen Dollar in der Bilanz.
Und das führt zu Wolfgang Flöttl.

Nach US-Medienberichten soll auch er, genauer sein damals auf Bermuda registriertes Investmenthaus Ross Capital, in der Asienkrise hohe Summen verspielt und hohe Schulden bei Refco angehäuft haben. Flöttl hat die Geschäftsbeziehungen zwischen Ross Capital und Refco zwar nie bestritten, will Bennett aber auch nie einen Cent schuldig geblieben sein.
Es fällt allerdings auf, dass Wolfgang Flöttl die ihm ab 1997 übertragenen Bawag-Millionen – in Summe 639 Millionen Dollar – über Refco veranlagte. Es fällt weiters auf, dass Refco im Gegenzug regelmäßig „Wertbestätigungen“ an Flöttl schickte, welche er der Bawag – genauer: Thomas Hackl, seinem damaligen Kontaktmann in der Bank – zuleitete.
Bis 30. September 1998 lief denn auch alles wie geschmiert. Laut den von Refco übermittelten Meldungen lagen alle Veranlagungen deutlich im Plus. Aus 639 Millionen Dollar hatte Flöttl auf dem Papier mehr als 767 Millionen Dollar gemacht. Zwei Wochen später war der gesamte Einsatz verloren, nachdem Flöttl sich bei einer Dollar-Yen-Spekulation verhoben hatte. Das behauptet jedenfalls er. Elsner warf ihm daraufhin immer neues Geld nach, ehe im Dezember 2000 insgesamt 1,4 Milliarden Euro perdu waren.
So sehr Elsner Flöttl auch bezichtigt, dabei Geld abgezweigt zu haben – dem Vorwurf der Untreue, für den er rechtskräftig zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, entkommt der frühere Bawag-Chef nicht einfach.
Hat Flöttl das Geld wirklich samt und sonders verspekuliert? Könnte es sein, dass er Bawag-Gelder auch dazu verwendet hat, um schon 1998 eigene Schulden bei Refco zu tilgen? Waren die von Refco an die Bawag verschickten „Wertbestätigungen“ wirklich werthaltig? Und welche Rolle spielte dabei Flöttls Vis-à-vis Thomas Hackl?

Wie passt das alles zusammen?
profil hat in diesem Zusammenhang auch das im ersten Bawag-Prozess vorgelegte Gutachten des Sachverständigen Fritz Kleiner einer Revision unterzogen. Und stieß dabei auf Erstaunliches. Im Oktober 1998 – also zu einem Zeitpunkt, da Flöttl die gesamten 639 Millionen Dollar der Bawag und zudem 120 Millionen an eigenem Geld verzockt haben will, waren andere Flöttl-Konten noch immer deutlich im Plus. So konnte Kleiner per 31. Oktober 1998 Guthaben von 337 Millionen Dollar zuordnen. Verteilt auf zwei Handelsbücher, also interne Rechnungskreise, mit Namen „Nexus“ und „Deerhurst“. Und Ende März 1999, zu einem Zeitpunkt, da Flöttl offiziell längst mittellos war, lagen auf einem der Bücher immer noch 157 Millionen Dollar. Im Kleiner-Gutachten heißt es dazu wörtlich: „Aus den vorgefundenen Unterlagen, insbesondere der Aufstellung über das Nexus-Buch, geht hervor, dass auch nach Oktober 1998 bis März 1999 weitere Handelstätigkeiten stattfanden. Ob danach auch noch eine Handelstätigkeit fortgesetzt wurde, oder was mit dem im erwähnten Dokument per Ende März 1999 festgestellten Vermögen von USD 156.707.028 geschah, ist nicht dokumentiert beziehungsweise habe ich das nicht weiter verfolgt.“

Wie passt das alles zusammen? Von profil darauf angesprochen repliziert Kleiner: „Ich habe das nicht weiter verfolgt, weil es nicht mein Auftrag war. Ich hatte lediglich das Handelsverhalten von Flöttl zu beurteilen.“ Er, Kleiner, habe nicht feststellen können, dass Flöttl Geld gestohlen hätte. Vielsagender Nachsatz: „Es war umgekehrt aber auch nicht festzustellen, wo das Geld nun genau hingegangen ist.“

Die Guthaben „Nexus“ und „Deerhurst“ wurden auch im Bawag-Prozess thematisiert – wenn auch nur sehr oberflächlich. Flöttl beließ es bei der Erklärung, es habe sich um Geld anderer Kunden gehandelt. Wer das gewesen sein soll? Unklar. Weder Staatsanwalt Georg Krakow noch Richterin Claudia Bandion-Ortner zeigten gesteigertes Interesse an diesen manifesten Diskrepanzen. Dass Flöttl – wie von diesem Magazin mehrfach nachgewiesen – niemals so mittellos war, wie er die Öffentlichkeit Glauben machen wollte, passt da nur zu gut ins Bild.

Wie überhaupt der heute 57-Jährige vom Glück verfolgt zu sein scheint. Im ersten Bawag-Prozess hatte Flöttl eher überraschend ein Teilgeständnis in Zusammenhang mit einem Bawag-Kredit („Ophelia“) über 90 Millionen Dollar abgelegt. Die Finanzierung hatte er nach Eintreten der ersten „Totalverluste“ 1998 erhalten, um die Pleite seiner Unternehmensgruppe abwenden zu können. Flöttl gestand, dass er beim Erhalt des Betriebsmittelkredits „Ophelia“ nicht sicher gewesen sei, dass er den Kredit zurückzahlen könne. Was er auch nie tat. Im ersten Bawag-Verfahren wurde er unter anderem auch deshalb zu zweieinhalb Jahren teilbedingter Haft verurteilt, im zweiten Prozess wurde er – Geständnis hin oder her – gleich ganz freigesprochen. Dieses Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Causa Bawag-Refco jemals vor einem österreichischen Gericht landet, geht mittlerweile überhaupt gegen null. Formell ermittelt die Staatsanwaltschaft Wien zwar schon seit 2005 die Hintergründe des „Blitzkredits“. Von einer Anklageschrift ist jedoch nichts zu sehen.

Justizintern ist zu vernehmen, man habe zu wenig Ressourcen.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.